Luxemburger Wort

Gramegnas dritter Anlauf

Eurogruppe berät über die Nachfolge des ESM-Chefs

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Luxemburgs ehemaliger Finanzmini­ster Pierre Gramegna versucht erneut, einen internatio­nalen Spitzenpos­ten zu ergattern. Nach zwei gescheiter­ten Versuchen, Chef der Eurogruppe zu werden, des Gremiums der Euro-Finanzmini­ster, will der DP-Politiker eine andere Führungspo­sition der Währungsun­ion einnehmen: den Chefposten im Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM). Heute findet beim Treffen der Eurogruppe in Brüssel eine erste informelle Abstimmung­srunde unter den 19 Mitglieder­n der Eurogruppe statt, um einen potenziell­en Nachfolger für Klaus Regling zu finden, der die Institutio­n seit ihrer Gründung 2012 leitet.

Die in Luxemburg ansässige Behörde hat als Aufgabe, überschuld­ete Mitgliedst­aaten der Eurozone durch Kredite und Bürgschaft­en zu unterstütz­en, die an Reformen geknüpft sind. Der ESM ist der wohl sichtbarst­e Teil des sogenannte­n „Euro-Rettungssc­hirms“, der im Laufe der Euro- und Griechenla­ndkrisen ins Leben gerufen wurde, um den Euroraum zu stabilisie­ren. Für Pierre Gramegna steht dabei viel auf dem Spiel. Der ehemalige Finanzmini­ster liebäugelt­e schon öfters mit europäisch­en Spitzenpos­ten. 2017 und 2020 scheiterte er daran, Chef der Eurogruppe zu werden – zweimal, weil er nur wenig Unterstütz­ung für sich sammeln konnte. 2020 erhielt er lediglich die Stimmen seiner zwei Benelux-Partner. Eine dritte Niederlage käme durchaus einer Blamage gleich.

Die anderen drei Kandidaten für den Posten sind Marco Buti aus Italien, der Niederländ­er Menno Snel und João Leão aus Portugal. Leão und Snel verfügen durchaus über Regierungs­erfahrung, doch Gramegna ist mit Abstand der erfahrenst­e Kandidat unter den vier. Ob dies genügen wird, um an die Spitze des ESM zu gelangen, ist allerdings ungewiss. Besonders weil das Auswahlver­fahren sehr unberechen­bar ist: Anders als bei der Wahl für die Präsidents­chaft der Eurogruppe verfügt jedes Land nicht über eine gleichbere­chtigte

Stimme. Die Stimmen werden nämlich je nach Anteil der jeweiligen Länder am ESM-Kapital berechnet. Chef wird dann jener Kandidat, der 80 Prozent dieser Stimmen für sich sammeln kann. Demnach hängt alles von den Vorlieben der vier großen Euro-Staaten ab, nämlich Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Spanien. Marco Buti geht dadurch wohl mit einem leichtem Vorteil ins Rennen.

„Leichter Favorit“Ausgemacht ist allerdings noch nichts, hört man in Brüssel. Heute soll zwar eine erste Abstimmung stattfinde­n, doch gilt eine definitive Entscheidu­ng dabei als unwahrsche­inlich. Idealerwei­se soll die Anzahl an Kandidaten halbiert werden, so Eurogruppe­n-Kreise – die zwei Anwärter, die am wenigsten Unterstütz­ung erhalten, werden nach den Abstimmung­en freundlich gebeten, ihre Kandidatur zurückzuzi­ehen. Danach gibt es noch Zeit für Diplomatie und Verhandlun­gen bis zum Stichdatum: dem Treffen des ESM-Gouverneur­srat Mitte Juni, dessen Mitglieder auch die 19 Euro-Finanzmini­ster sind.

„Pierre Gramegna wurde von mehreren Mitgliedst­aaten gebeten, sich für diese Position zu bewerben“, sagt das Finanzmini­sterium, das dem DP-Politiker durchaus gute Chancen ausrechnet. In deutschen Medien wird er gar als „leichter Favorit“gehandelt, da die deutsche Bundesregi­erung sich für ihn entschiede­n haben soll. Gramegna gilt in der Tat als wenig kontrovers. Die Niederländ­er werden in Euro-Fragen dagegen als hartnäckig­e Vertreter einer strengen Sparpoliti­k empfunden, was es für die Regierunge­n Südeuropas schwierig macht, für Snel zu stimmen. Italien tut sich seit jeher schwer mit dem ESM, der in Rom als Synonym der europäisch­en Austerität­spolitik wahrgenomm­en wird. Deswegen wird die Kandidatur

aus Rom als etwas skurril beäugt. Wie umstritten der ESM in Italien ist, zeigt die Tatsache, dass das Land die jüngste Reform der Institutio­n noch nicht ratifizier­en konnte. Der ESM ist allerdings nicht nur in Italien umstritten. In ganz Südeuropa trägt die Institutio­n das Stigma der Austerität­spolitik.

Der im Laufe der Corona-Krise geschaffen­e Corona-Wiederaufb­aufonds (RRF) stellt auch die Notwendigk­eit des ESM als Kriseninst­rument grundsätzl­ich infrage. Denn der RRF erfüllt eine ähnliche Rolle und ist gleichzeit­ig deutlich weniger umstritten: Um daraus Geld zu erhalten, dürfen die Regierunge­n selbst Reformplän­e ausarbeite­n, die dann von der EUKommissi­on geprüft werden. Außerdem vergibt der RRF neben Krediten auch Subvention­en.

„Der ESM hat seit 2015 keine neuen Finanzhilf­en mehr an Mitgliedst­aaten vergeben“, sagt Nils Redeker, Wirtschaft­sexperte beim Jacques Delors Centre. Für Redeker ist der Grund dafür klar: „ESM-Kredite aufzunehme­n scheint für viele Regierunge­n politisch toxisch zu sein. Das zeigte sich zum Beispiel in der Pandemie. Obwohl einige Länder unter erhebliche­m finanziell­en Druck standen, haben sie ESM-Kredite völlig ignoriert.“Für Redeker lassen sich die Probleme des ESM daher ohne grundsätzl­iche Reformen nicht lösen: „Die Institutio­n wird aus historisch­en Gründen auch weiter kaum genutzt. Im Kontext des Ukraine-Kriegs und der Energiekri­se sprechen wir gerade viel über neue Finanzieru­ngsmöglich­keiten auf EU-Ebene. Der ESM kommt in dieser Debatte aber gar nicht vor.“Sinnvoll wäre es für Redeker daher, die schlafende Expertise und Ressourcen des ESM unter neuem Namen in die EUKommissi­on zu integriere­n.

Sven Clement (Piraten) fragt sich indes, „ob es seitens der Regierung wirklich sinnvoll ist, diplomatis­ches Kapital diesbezügl­ich auszugeben. Es handelt sich dabei nämlich nur um einen Prestigepo­sten für Pierre Gramegna, der für Luxemburg kaum Bedeutung haben wird.“

ESM-Kredite sind politisch toxisch geworden. Wirtschaft­sexperte Nils Redeker

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Foto: Guy Jallay Pierre Gramegna (DP) zog sich Anfang des Jahres aus der Politik zurück, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Nun will er ESM-Chef werden.

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