Boris, der Brandstifter
DBrüssel darf sich keinesfalls von Johnson auf der Nase herumtanzen lassen.
ieser Mann ist ein echter Überlebenskünstler. Mit einem blauen Auge und lediglich einer Geldstrafe ist der britische Premier bislang aus der peinlichen „Partygate“-Affäre um verbotene Lockdown-Partys herausgekommen. Und bei den Kommunalwahlen Anfang Mai waren die Verluste für die konservativen Tories weniger heftig als befürchtet. Auch ist es ihm gelungen, mit beherzter Hilfe an die überfallene Ukraine sein angeschlagenes Image aufzupolieren. Doch Boris Johnson wäre nicht Boris Johnson, wenn er nicht wieder zündeln würde.
Tatort ist dieses Mal die britische Provinz Nordirland. Dort hat die katholisch-republikanische Partei Sinn Féin die Wahlen gewonnen. Allerdings blockiert die protestantischunionistische Democratic Unionist Party (DUP) die Regierungsbildung, weil ihr das Nordirland-Protokoll, das Teil des Brexit-Deals ist, ein Dorn im Auge ist. Das Protokoll verlegt die Zollgrenze in die Irische See und vermeidet somit eine harte Landgrenze und Kontrollen mit dem EU-Mitglied Irland. Die DUP, die eine Entfremdung von London befürchtet, fordert nun ein Ende der verhassten Vereinbarung.
Diese explosive Gemengelage bietet dem Mann in Downing Street 10 eine willkommene Gelegenheit, sich wieder einmal als Hardliner zu profilieren und auf das Feindbild Brüssel einzudreschen. Es erlaubt ihm, einerseits von seinen Patzern abzulenken und andererseits, die Reihen seiner eigenen Partei wieder – teilweise – zu schließen. Denn dort war er ob seiner Fehltritte arg unter Beschuss geraten. Mögliche Nachfolger hatten sich bereits in Stellung gebracht.
Vergangene Woche kündigte Außenministerin Liz Truss im Londoner Unterhaus ein Gesetzesvorhaben an, das die seit dem Brexit neu entstandenen Handelsbarrieren zwischen Nordirland und Großbritannien abbauen soll. Obwohl Truss betonte, dass das Vorgehen im Einklang mit internationalem Recht stehe, entspricht dies nicht der Wahrheit. Es wäre vielmehr ein einseitiger Bruch eines rechtlich bindenden internationalen Handelsvertrags, den Johnson selbst mit der EU unterzeichnet und in den höchsten Tönen gelobt hatte.
Zum einen verspielt Johnson das bisschen Vertrauen, das er in Brüssel noch genießt. Zum anderen dürfte der geplante Rechtsbruch die internationale Glaubwürdigkeit der britischen Regierung arg infrage stellen. Dabei hatte Johnson doch lukrative Deals mit anderen Ländern in Aussicht gestellt, sie sollten Teil der rosigen Post-Brexit-Zukunft sein. Doch vor allem ein heiß ersehntes Freihandelsabkommen mit den USA ist nun ironischerweise aufgrund der Eskalation im Streit um die Nordirland-Regelung in weite Ferne gerückt, wie Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, am Donnerstag deutlich machte.
Johnsons Strategie ist bekannt. Mit Drohungen und Erpressungsversuchen probiert er erneut, ein Maximum für sich und seine Regierung herauszuschlagen. Die EU darf sich von ihm jedoch keinesfalls auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Handelskrieg zu Zeiten steigender Inflation und drohender Rezession ist das Letzte, was beide Seiten gebrauchen können. Und das weiß Johnson auch.
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