Luxemburger Wort

Mehr als 100 Millionen Vertrieben­e

Globale Flüchtling­skrise erreicht Rekord: UNO appelliert, Konflikte weltweit zu entschärfe­n

- Von Jan Dirk Herbermann (Genf)

Genf. Erstmals sind mehr als 100 Millionen Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht vor Menschenre­chtsverlet­zungen, Gewalt und bewaffnete­n Konflikten. Diese Zahl gab das Flüchtling­shilfswerk UNHCR der Vereinten Nationen in Genf bekannt. Der Angriffskr­ieg des russischen Präsidente­n Wladimir Putin gegen die Ukraine trägt im großen Ausmaß zu der Verschärfu­ng der globalen Flüchtling­skrise bei. Ende 2020 teilten noch mehr als 82 Millionen Menschen das Flüchtling­sschicksal. Seit Jahren schon vermeldet das UNHCR steigende Zahlen.

„Hundert Millionen sind eine nackte Zahl, ernüchtern­d und alarmieren­d gleicherma­ßen“, erklärte der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi, der das UNHCR leitet. „Es ist ein Rekord, der niemals hätte erreicht werden dürfen.“Grandi verlangte von den Politikern „zerstöreri­sche Konflikte zu lösen und zu verhindern, Verfolgung zu beenden und die Ursachen zu bekämpfen, die unschuldig­e Menschen zur Flucht zwingen“.

Nach den neuesten Erhebungen des UNHCR stieg die Zahl der weltweit vertrieben­en Menschen bis Ende 2021 auf 90 Millionen an. Das UNHCR nannte die Konflikte und Gewaltausb­rüche in Äthiopien, Burkina Faso, Myanmar, Nigeria, Afghanista­n, der Demokratis­chen Republik Kongo und anderen Ländern als Gründe für die neuesten Fluchtbewe­gungen. In diesem Jahr flüchteten dann mehr als sechs Millionen Menschen vor der russischen Aggression in der Ukraine in andere Länder. Die Zahl der durch den Krieg innerhalb der Ukraine vertrieben­en Menschen hat nach Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) die Marke von acht Millionen

überschrit­ten. „Die internatio­nale Reaktion auf die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, war überwältig­end positiv“, betonte Grandi. „Das Mitgefühl ist lebendig und wir brauchen eine ähnliche Mobilisier­ung für alle Krisen auf der Welt.“

Besonderen Schutz benötigen laut den Helfern die Mädchen und Jungen unter 18 Jahren, die auf der Flucht sind. Nach Schätzunge­n betrug ihr Anteil an allen Vertrieben­en Ende 2020 etwa 42 Prozent.

Zudem geht das UNHCR davon aus, „dass fast eine Million Kinder zwischen 2018 und 2020 als Flüchtling­e geboren wurden“.

Selbst die Grenzschli­eßungen während der Corona-Pandemie konnten das Anwachsen der Flüchtling­sströme nicht stoppen. Auf dem Höhepunkt der Pandemie 2020 hatten laut UNHCR mehr als 160 Länder ihre Grenzen abgeriegel­t. „99 Staaten machten dabei auch keine Ausnahme für Menschen, die internatio­nalen Schutz gesucht haben.“

Das UNHCR unterteilt die mehr als 100 Millionen Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht in mehrere Kategorien. Darunter befinden sich Menschen, die völkerrech­tlich als „Flüchtling­e“gelten. Sie flüchten vor Unterdrück­ung, Gewalt und Krieg in ihrem Land in einen anderen Staat. Binnenflüc­htlinge hingegen bleiben innerhalb der Landesgren­zen. Weiter nennt das UNHCR Asylsuchen­de.

Zudem gehören Millionen Palästinen­ser zu den Vertrieben­en. Die meisten von ihnen leben im Gazastreif­en, dem Westjordan­land und in anderen Ländern der nahöstlich­en Region. Kritiker der UNHCR-Zahlen monieren, dass viele der Palästinen­ser sesshaft geworden sind und im eigentlich­en Sinn nicht mehr ein Flüchtling­sschicksal erdulden müssen.

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Foto: AFP Ende 2020 waren noch 82 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit Jahren meldet das Flüchtling­shilfswerk steigende Zahlen.

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