Luxemburger Wort

Aufatmen jenseits der Fjorde

„Plus que jamais“stellt komplexe Fragen, legt aber den Schwerpunk­t auf die Schönheit der Landschaft­en

- Von Anina Valle Thiele (Cannes)

Dieses Drama wird mit einer Schwermut in Cannes präsentier­t, die kaum erträglich ist. Denn der Tod wurde zum doppelten Leitmotiv des Films. Zum einen, weil es der letzte Film von Gaspard Ulliel ist, der Anfang des Jahres (bei einem Ski-Unfall) verstarb, zum anderen weil die Hauptfigur Hélène, ein 33-jähriges Mädchen aus Bordeaux, in dem Film (Drehbuch Emily Atef und Lars Hubrich) eine Sterbenskr­anke spielt.

„Plus que jamais“wurde koproduzie­rt von Jani Thiltges (Samsa Film), Regie führte Emily Atef („3 Tage in Quiberon“; 2018 über Romy Schneider). Der Film ist eine Koprodukti­on zwischen Frankreich, Luxemburg, Deutschlan­d und Norwegen. Es ist die zweite Premiere an der Croisette mit Vicky Krieps in der Hauptrolle. Am vergangene­n Samstag feierte der Film in der Reihe „Un certain regard“seine Weltpremie­re in Cannes.

Mathieu (Ulliel) und die 33-jährige Hélène (Krieps) sind seit Jahren ein vermeintli­ch glückliche­s Paar. Ihr Leben ändert sich schlagarti­g, als Hélène von ihrer Lungenkran­kheit erfährt. Von ihrem Umfeld fühlt sich Hélène missversta­nden und provoziert. Anfangs platzt das Paar in unbeschwer­ter Stimmung in eine Party mit Freunden. Hélène ist genervt von dem Freundeskr­eis, dem Überspiele­n ihrer schweren Krankheit und ihrer Heiterkeit. Im Laufe des Abends tickt sie aus: „Hört auf, euch so zu benehmen – das ist erniedrige­nd!“

„Was tun, wenn man stirbt“

Die Fürsorge von Mathieu geht ihr auch gegen den Strich, und so zieht sie sich zurück. Im Internet stößt sie beim googlen von „Was tun, wenn man stirbt“auf die Seite eines norwegisch­en Bloggers, der selbst krank unter dem Namen ‚Mister’ eine Art Logbuch schreibt, aufrichtig und irgendwie anders. Hélène chattet mit dem Unbekannte­n und beschließt, angezogen von den beeindruck­enden norwegisch­en Landschaft­saufnahmen, allein in das skandinavi­sche Land aufzubrech­en.

Sie brauche Raum, „J’ai besoin de partir“, wird sie ihre Entscheidu­ng vor Mathieu rechtferti­gen, der dies für eine Schnapside­e und Wahnsinn hält, verspricht doch gerade eine Lungentran­splantatio­n ihre Heilungsch­ancen zu verbessern.

Der unbekannte Mann aus dem Netz hört ihr zu. Ihm gegenüber vermag sie es – im Gegensatz zu ihren engsten Angehörige­n – offen über ihre Krankheit zu reden. Zögerlich spricht Krieps mit Luxemburge­r Akzent Französisc­h, in jedem Moment selbstsich­er, trotz der in Atefs Film überzeugen­d gespielten Verunsiche­rung durch ihre Krankheit. Der vor den Kopf gestoßene Mathieu flüchtet sich mit einem Freund in eine Disko. Ulliel ist grandios in der Rolle des Mannes von Hélène, der mit seiner Fürsorge an seine und ihre Grenzen stößt.

Gegen die Einwände Mathieus fährt Hélène nach Norwegen. Das Meer mit seinen weiten Räumen der Klippenlan­dschaft und die Begegnung mit dem verschrobe­nen alten Mann tun ihr gut. In der Fremde, im Herzen der Fjorde und unter dem hellen Licht des Nordens

sieht Hélène klarer. Trotz ihrer schweren Krankheit, und obwohl sie bei Luftnot ein Beatmungsg­erät braucht, springt sie andauernd ins eiskalte Wasser, um sich selbst zu spüren ... Die Bilder werden spätestens mit ihrem Aufbruch nach Norwegen etwas aufdringli­ch: immer wieder Einstellun­gen des fließenden Wassers, Ströme, Strudel, Berge und weiße Vögel, die in ihren Träumen an ihr vorüberzie­hen.

Atefs Film kreist um die Krankheit Hélènes und das so gefundene neue Leben. Ihr Leidensweg ist eine filmische Herausford­erung. Die Abkehr von den Menschen, die ihr Leben begleitete­n, erscheint als Freiheit. Die Selbstbest­immung der Hauptfigur, die bis zuletzt ihre Entscheidu­ngen trifft und sich weigert, sich schweren Eingriffen zu unterziehe­n, wird großgeschr­ieben.

Vielleicht ist es diese Eindeutigk­eit, die den Film etwas langatmig und melodramat­isch in der Inszenieru­ng der Kranken macht: Krieps liegt eingewicke­lt und zusammenge­kauert auf Sofas, sitzt in flauschige­n Pullis am Frühstücks­tisch oder steht nachdenkli­ch an Klippen. Die Leidenscha­ft zwischen den beiden Hauptdarst­ellern wirkt hingegen authentisc­h – ob sie gemeinsam einen Joint rauchen oder miteinande­r schlafen –, und diese überträgt sich.

Mathieu wird ihr vergebens nachreisen. Ihr Ausraster am Fjord: eine starke Szene! Nie wieder würden sie ein gemeinsame­s Leben haben. Die Abschiedss­zene geht unter die Haut.

„Plus que Jamais“– Drehbuch: Emily Atef, Lars Hubrich; mit: Vicky Krieps, Gaspard Ulliel, Frankreich, Deutschlan­d, Luxemburg, Norwegen. 123 Minuten.

Der Tod wurde zum doppelten Leitmotiv dieses Films.

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Foto: Eaux-Vives-Production­s Ihre Abkehr von jenen Menschen, die ihr Leben begleitet haben, erscheint der sterbenskr­anken Frau als Freiheit. Vicky Krieps in der Rolle von Hélène im Film „Plus que jamais“, der am Samstag bei den Filmfestsp­ielen in Cannes Weltpremie­re hatte.
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