„Es bleibt eine indirekte Verwundbarkeit“
Wie Claude Turmes Luxemburgs Energieversorgung absichern und die Energiewende schaffen will
Anders als etwa Bulgarien oder Polen, denen Russland Ende April den Gashahn zudrehte, braucht Luxemburg nicht in Sorge zu sein, dass dem Land das Gas ausgeht. Zusammen mit Belgien bildet Luxemburg einen Gasmarkt und dieser bezieht rund 80 Prozent seiner Energie aus der Nordsee.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sich Politik und Wirtschaft beruhigt zurücklehnen können. „Es bleibt die indirekte Verwundbarkeit“, betont Claude Turmes und verweist auf die ausgeprägte Abhängigkeit von Ländern wie Deutschland, Italien oder den Niederlanden gegenüber Russland: „Wenn dort aufgrund von Versorgungsengpässen die industrielle Produktion ausfällt, trifft das auch Unternehmen in Luxemburg, die auf Zulieferungen angewiesen sind“, gibt der Energieminister zu bedenken.
Alle europäischen Länder sind aufgefordert, ihre Gasspeicher bis in den Herbst hinein massiv aufzufüllen, um die EU-weite Versorgungssicherheit besser regulieren zu können. „Das sorgt für einen gewissen zusätzlichen Puffer“, so der Minister, der sich in Brüssel für diese Regulierung stark gemacht hat. Die Situation bleibe aber angespannt, die Preise weiterhin sehr hoch und man bereite sich aktiv auf alle möglichen Szenarien vor.
Eine doppelte Herausforderung
Da die Folgen des Ukraine-Krieges den Europäern nunmehr schonungslos ihr Abhängigkeit vor Augen führen, unterstreicht Turmes die doppelte Herausforderung: Zum einen ist eine kollektive Anstrengung nötig, weshalb eine gemeinsame Einkaufsplattform geschaffen wurde. Und zum anderen muss eine derartige Abhängigkeit von einem Produzenten, wie sie zu Russland besteht, vermieden werden, weshalb die entsprechenden Verträge beispielsweise kürzere Laufzeiten haben werden.
Am besten gegen etwaige Abhängigkeiten wappnen könne sich die Europäische Union, indem sie resolut auf die Karte von mehr erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz und Energiesparmaßnahmen setze, ist sich der Grünen-Minister sicher. So wie es die Europäische Kommission vor einer Woche vorgeschlagen hat. Nun klingen die nach oben korrigierten
Energieminister Turmes: Nochmals zulegen. Ziele – beispielsweise 45 Prozent Erneuerbare bis 2030 statt 40 Prozent – sehr ambitiös, insbesondere gemessen an den bislang bewältigten Hausaufgaben. Für Turmes sind sie dennoch einlösbar: „Der Druck und das Bewusstsein zu handeln ist so groß wie noch nie“, verweist er auf die Klimakrise, „die täglich akuter wird“und die größere Vielfalt der verfügbaren technischen Lösungen.
Auch müsse sich jeder in der EU mittlerweile darüber im Klaren sein, dass es „politisch und moralisch ein No-Go ist, dass wir mit unseren Energiezahlungen die Kriegsmaschinerie von Putin finanzieren“. Zudem bleibe Europa durch die sich daraus ergebende Preisgestaltung „abhängig und erpressbar“.
Ein grüner Strompark im Meer
An Initiativen hin zu mehr Unabhängigkeit fehlt es nicht. Claude Turmes nennt die jüngste Vereinbarung zwischen Belgien, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden, mit der sie die Nordsee in einen riesigen grünen Strompark verwandeln wollen. Bis 2030 soll eine Kapazität von 65 Gigawatt entstehen, bis 2050 soll das Produktionsvermögen auf 150 Gigawatt gesteigert werden – was dann der Kapazität von 100 Atomkraftwerken entsprechen würde. Die aktuelle Leistung liegt bei 15 Gigawatt. Am dazu gehörenden dänischen „Energy-Island“-Projekt, das einmal Strom für zehn Millionen Haushalte erzeugen soll, will sich Luxemburg beteiligen; eine entsprechende Übereinkunft fand der Energieminister bereits im Sommer
2021 mit seinem dänischen Amtskollegen.
Windkraft, Fotovoltaik, Wärmepumpen: In diesen drei Bereichen will der Grünen-Minister, dass Luxemburg „nochmals zulegt“. Was Fotovoltaik und Erdwärme betrifft, setzt er große Hoffnungen in den Klimabonus, der vor zwei Wochen vorgestellt wurde und der dazu verhelfen soll, dass Luxemburg sein sektorielles CO2-Ziel für den Wohnungsbau, die Emissionen bis 2030 um 64 Prozent zu reduzieren, schafft. Begründen tut Turmes seine Hoffnungen mit vier Argumenten: der gesellschaftlich vorhandene Konsens zur Abkehr von fossilen Energien, das großzügige Beihilfenpaket von BlauRot-Grün, eine breite Beratungsstruktur durch die Klima-Agence, sowie die fachgerechte Umsetzung durch gut geschulte Handwerker.
Die Unabhängigkeit beginnt für Claude Turmes indes nicht erst bei der Energieerzeugung. Für ihn muss die EU auch dafür sorgen, in puncto Technologie und Infrastruktur auf eigenen Füßen zu stehen. Als eine Art „game changer“sieht er die jüngste Öffnung der Europäischen Kommission, dass nunmehr auch öffentliche Investitionen bei der Produktion von Solaranlagen möglich sind. Luxemburg
habe dabei mitgeholfen, diese Tür zu öffnen – was für ihn Sinn ergibt, denn: „Wenn wir in Europa mehr Sonnenenergie nutzen wollen, können wir dafür nicht von der Technologie aus Asien abhängig bleiben, sondern müssen diese Zukunftsindustrien wieder in Europa stärken.“
Beim Energiesparen verweist der Grünen-Politiker auf die Internationale Energieagentur (IEA) und ihr Zehn-Punkte-Programm zum Reduzieren des Erdölverbrauchs, um seine jüngsten Vorstöße – mehr Homeoffice, Tempolimit auf Autobahnen – zu erklären. Und betont dabei, dass solche Maßnahmen nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie im Verbund getroffen würden. „Das Volumen machts“, gibt er zu bedenken und dass nationale Alleingänge, besonders von kleinen Ländern wie Luxemburg, wenig zielführend seien.
Das Beispiel Lehman Brothers
Letztlich gehe es um politischen Druck und politische Verantwortung. Ein EU-weites Tempolimit von 120 anstatt 130 Stundenkilometern würde laut IEA mit Einsparungen von einer halben Millionen Barrel einhergehen und den Preishaussen entgegenwirken; gleiches gelte bei wöchentlich zwei Tagen Homeoffice. Und es gehe darum, ein Szenario wie jenes, das vor 14 Jahren zur Lehman-Brothers-Pleite und der daraus resultierenden Finanzkrise führte, zu verhindern, erinnert Turmes an die preistreibende Kluft zwischen zu wenig Angebot und steigender Nachfrage beim Erdöl.
Der Druck und das Bewusstsein zu handeln ist so groß wie noch nie. Claude Turmes, Energieminister