Der gewiefte Dr. Tedros
Äthiopier bleibt Chef der Weltgesundheitsorganisation
Genf. Die Stimme des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation klingt noch weicher als sie ohnehin ist. „Als ein Kind des Krieges, das ich selbst bin, weiß ich sehr gut, was die Ukrainer durchmachen“, sagt Tedros Adhanom Ghebreyesus. Dann appelliert der oberste Wächter der globalen Gesundheit an Russland, den Krieg zu stoppen. „Die Medizin, die die Ukraine jetzt am dringendsten braucht ist der Frieden.“Bei seinem Besuch Anfang Mai in der Ukraine zeigt sich der WHO-Chef von seinen besten Seiten: Tedros, der selbstlose Helfer, Tedros, der fürsorgliche Ratgeber, Tedros, der aufmerksame Zuhörer.
Tedros punktete in den vergangenen Monaten auch in anderen Ländern – und warb für seine Wiederwahl als WHO-Generaldirektor. Gestern war Tedros dann am Ziel. Die Weltgesundheitsversammlung ernannte ihn für eine zweite fünfjährige Amtszeit. Der frühere Außenminister und Ex-Gesundheitsminister
einer autoritären Regierung in Äthiopien trat als einziger Kandidat an.
In den kommenden Jahren will der gewiefte Politstratege die Welt „wirklich bereit“machen, um eine mögliche neue Pandemie zu bewältigen. Zunächst aber muss sich Tedros, der in öffentlicher Gesundheit promovierte und als Immunologe wirkte, weiter mit der zähen Corona-Pandemie herumschlagen. Er äußert sich zwar zuversichtlich, dass die Welt die „akute“Pandemie-Phase in diesem Jahr beenden könne. Doch noch immer haben viel zu wenige Menschen, zumal in den armen Ländern, eine Impfung gegen Covid-19 erhalten. Tedros prangert unermüdlich dieses „katastrophale moralische Versagen“der Weltgemeinschaft an.
Bei all seinen Bemühungen, die Seuche zu besiegen, stößt der Chef der 8 000 Mitarbeiter starken WHO immer wieder auf ein Problem: Tedros verfügt über keine Weisungsbefugnis gegenüber den Mitgliedsländern. Der erste Mann der obersten internationalen Gesundheitsbehörde kann gewissermaßen nur die Medizin verschreiben. Die Medizin schlucken müssen die Mitgliedsländer selbst. Läuft es aber schief, muss Tedros auch schon mal als Sündenbock herhalten, etwa unter Ex-US-Präsident Donald Trump. jdh