In der „Kalkwerk“-Hölle
Wie Felix Römer allein auf der Bühne die Form des Monodrama-Festivals eindrucksvoll unterstreicht
Im Rahmen des diesjährigen Monodrama-Festivals wurde Thomas Bernhards Roman „Das Kalkwerk“in einer Bühnenfassung von Philipp Preuss in der Banannefabrik aufgeführt. Die Produktion der Schaubühne Berlin ist seit der Premiere von 2014 das erste Mal außer Haus zu sehen. Ein wunderbares, zugleich leicht verstörendes Einpersonenstück mit Felix Römer, das neue Perspektiven auf Bernhards Text und seinen Protagonisten Konrad ermöglicht.
Bernhards Figuren sind Geistesmenschen und Wahnsinnige: Sie nabeln sich von der Gesellschaft ab und sehnen sich nach der totalen Isolation, um sich in ihrer eigenen Welt vollkommen der Kunst oder der Wissenschaft zu widmen. So auch im Roman und gleichnamigen Theaterstück „Das Kalkwerk“, in dem nicht nur Themen wie Entfremdung und (Geistes)Krankheit eine Rolle spielen, sondern auch der Genie-Gedanke, Monomanie, Misanthropie und Dilettantismus angeschnitten werden.
Zwischen Wahnsinn und Genie
Der Privatgelehrte Konrad zieht gemeinsam mit seiner, im Rollstuhl sitzenden Frau in ein stillgelegtes Kalkwerk, um dort ungestört an seiner fruchtlosen Studie über „Das Gehör“arbeiten zu können. Täglich führt er nach der Urbantschitschen Methode (diese ist auf Viktor Urbantschitschs Schrift „Über methodische Hörübungen und deren Bedeutung für Schwerhörige“zurückzuführen) Versuche an seiner Frau durch und quält sie Stunden lang mit minutiösen Geräusch- und Hörexperimenten. Schlichtweg: Er missbraucht sie für seine Studie, von der er wie besessen ist und für die er alles opfern würde. Im Endeffekt haben
Konrads Experimente allerdings nichts mehr mit der Methode des österreichischen Mediziners gemein. Vielmehr grenzt sein Verhalten an Geistesgestörtheit und Wahnsinn, wobei diese Begriffe oftmals mit dem des (gescheiterten) Genius einhergehen.
Dabei gelingt es Konrad bis zum Ende nicht, seine Studie zu Papier zu bringen. Immer wieder betont er, dass er seine Studie im Kopf habe, versichert sich selbst und damit auch dem Publikum, dass er bald mit der Niederschrift anfangen würde.
Grandios wie Felix Römer als Konrad sich hierfür zu Boden wirft, sich gegen den Kopf schlägt und um sich schreit – besser hätte man ein monomanisches Genie, das unter seinem eigenen Dilettantismus leidet, nicht darstellen können.
Dass das Kalkwerk – Idylle und Hölle zugleich – Konrad immer fanatischer, ihn vollends verrückt werden lässt, zeigt die Inszenierung auf gekonnte Art und Weise. Die Bühne wird wie das Kalkwerk zu einem Ort, an dem die Ruhe einen hellhörig und hypersensibel für jeden Ton macht. Demnach werden Geräusche wie Nägelkauen, Zähneknirschen und Kratzen überlaut durch die Lautsprecher wiedergegeben – so muss es also in Konrads Kopf klingen.
Die Studie im Stück und als Stück
Das multimediale Stück, während dem zwischenzeitlich Kassettenaufnahmen aus dem Off ertönen und Videos an die Wand projiziert werden, spielt ebenfalls mit der Beleuchtung: Das Publikum blickt zunächst in einen vollkommen dunkeln Raum und hört Konrad
monologisieren. Hier wird das alleinige Zuhören ohne visuelle Eindrücke trainiert. Dabei hat es den Anschein, dass die Aufführung selbst zur Studie wird, wenn Römer das Publikum auffordert, an seinen Versuchen teilzunehmen, ihm verschiedene Klänge und Sätze indoktrinieren möchte und damit die vierte Wand durchbricht.
Die Monomanie des Misanthropen verdeutlicht das Stück in einer phänomenalen, nahezu ad absurdum führenden Szene, während der Konrad sich fast nackt in Eigelb, Mehl und Panierbrösel wälzt und vor sich hin jammert.
Obwohl das Stück deutlich ironischer und humorvoller daherkommt als der durchaus sperrige Originaltext, gehen die eigentliche Schwere und Tiefgründigkeit nicht verloren. Ganz im Gegenteil: „Das Kalkwerk“erschüttert umso mehr.