Luxemburger Wort

Einer muss es uns sagen

- Von Diego Velazquez

Wolodymyr Selenskyj hat es verstanden: Ein Krieg lässt sich zwar nicht durch emotionale Appelle gewinnen, neue Alliierte dagegen schon. Nicht umsonst bemüht sich der ukrainisch­e Präsident seit dem Beginn des russischen Angriffskr­ieges auf sein Land, die Parlamente der Welt per Videoschal­te direkt anzusprech­en. Am 2. Juni ist es dann auch für Luxemburg so weit: Selenskyj wird dann eine Rede vor der Chamber halten. Dem Großherzog­tum täte es dabei unheimlich gut, wenn der ukrainisch­e Staatschef kein Blatt vor dem Mund nimmt. Denn Luxemburgs Volksvertr­eter verdienen es, ähnlich strenge Worte zu hören wie ihre Kollegen aus Malta, Deutschlan­d oder Zypern.

Dort hat sich Selenskyj nämlich nicht davor gescheut, Politikern ins Gewissen zu reden: Er hat unverblümt beschriebe­n, wie skrupellos sie das russische Regime in den vergangene­n Jahren hofiert haben. Dabei war längst bekannt, dass Russland sich unter Wladimir Putin konsequent Richtung Diktatur bewegt, in der Ukraine die internatio­nale Friedensor­dnung mit Füßen getreten wird und es im Kreml kein Interesse daran gibt, etwas an diesem Kurs zu ändern.

Diese Kritik trifft auch auf die Politik im Großherzog­tum zu. Die luxemburgi­schen Regierunge­n der vergangene­n Jahre – unter dem Christdemo­kraten Jean-Claude Juncker genau so wie unter dem Liberalen Xavier Bettel – haben im Umgang mit Russland die wirtschaft­lichen Beziehunge­n stets priorisier­t – Putins innen- und außenpolit­ischen Übergriffe wurden dabei konsequent kleingered­et. Auf EU-Ebene bedeutete dies, dass die luxemburgi­sche Regierung stets auf Dialog mit Moskau setzte anstatt auf abschrecke­nde Sanktionen. Bei bilaterale­n Treffen mit der russischen Führung bemühten sich die Luxemburge­r Regierungs­vertreter immer wieder, Gemeinsamk­eiten und Wirtschaft­sinteresse­n in den Fokus zu rücken – die Lage in der Ukraine, Moskaus Unterstütz­ung von anti-europäisch­en Bewegungen oder die desolate Lage der Demokratie in Russland wurden dabei öffentlich kaum erwähnt. Die Staatsvisi­te von Dmitri Medvedev 2019, bei der die gesamte Regierung dem damaligen russischen Premier den roten Teppich ausrollte, war ein grotesker Höhepunkt dieser gescheiter­ten Politik. Und die Chamber spielte dabei stets kopfnicken­d mit.

Das Luxemburge­r Parlament verfehlt obendrein seit Kriegsbegi­nn jede denkbare Gelegenhei­t, um dies wieder gut zu machen. Die Regierungs­mehrheit (zusammen mit ADR und Déi Lénk) hat beispielsw­eise dagegen gestimmt, die Regierung dazu zu zwingen, in Brüssel für ein Energieemb­argo gegen Moskau zu werben. Und auch sonst kommt kaum Druck aus den Reihen der Koalitions­parteien, um die Regierung aus ihrer passiven Rolle zu drängen.

In Deutschlan­d ist seit dem Angriffskr­ieg wenigstens eine Debatte über die russlandpo­litischen Versäumnis­se losgetrete­n worden. In Luxemburg gibt es dagegen noch keinerlei Anzeichen auf kritische Introspekt­ion. Dabei ist die luxemburgi­sche Russlandpo­litik von ähnlichen Fehlern geprägt wie die deutsche: nämlich Naivität, Egoismus und Arroganz. Hoffentlic­h wird Selenskyjs Rede in der Chamber dazu beitragen, dies zu verdeutlic­hen.

Luxemburgs Russlandpo­litik war stets naiv und egoistisch.

KONTAKT: diego.velazquez@wort.lu

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