Einer muss es uns sagen
Wolodymyr Selenskyj hat es verstanden: Ein Krieg lässt sich zwar nicht durch emotionale Appelle gewinnen, neue Alliierte dagegen schon. Nicht umsonst bemüht sich der ukrainische Präsident seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf sein Land, die Parlamente der Welt per Videoschalte direkt anzusprechen. Am 2. Juni ist es dann auch für Luxemburg so weit: Selenskyj wird dann eine Rede vor der Chamber halten. Dem Großherzogtum täte es dabei unheimlich gut, wenn der ukrainische Staatschef kein Blatt vor dem Mund nimmt. Denn Luxemburgs Volksvertreter verdienen es, ähnlich strenge Worte zu hören wie ihre Kollegen aus Malta, Deutschland oder Zypern.
Dort hat sich Selenskyj nämlich nicht davor gescheut, Politikern ins Gewissen zu reden: Er hat unverblümt beschrieben, wie skrupellos sie das russische Regime in den vergangenen Jahren hofiert haben. Dabei war längst bekannt, dass Russland sich unter Wladimir Putin konsequent Richtung Diktatur bewegt, in der Ukraine die internationale Friedensordnung mit Füßen getreten wird und es im Kreml kein Interesse daran gibt, etwas an diesem Kurs zu ändern.
Diese Kritik trifft auch auf die Politik im Großherzogtum zu. Die luxemburgischen Regierungen der vergangenen Jahre – unter dem Christdemokraten Jean-Claude Juncker genau so wie unter dem Liberalen Xavier Bettel – haben im Umgang mit Russland die wirtschaftlichen Beziehungen stets priorisiert – Putins innen- und außenpolitischen Übergriffe wurden dabei konsequent kleingeredet. Auf EU-Ebene bedeutete dies, dass die luxemburgische Regierung stets auf Dialog mit Moskau setzte anstatt auf abschreckende Sanktionen. Bei bilateralen Treffen mit der russischen Führung bemühten sich die Luxemburger Regierungsvertreter immer wieder, Gemeinsamkeiten und Wirtschaftsinteressen in den Fokus zu rücken – die Lage in der Ukraine, Moskaus Unterstützung von anti-europäischen Bewegungen oder die desolate Lage der Demokratie in Russland wurden dabei öffentlich kaum erwähnt. Die Staatsvisite von Dmitri Medvedev 2019, bei der die gesamte Regierung dem damaligen russischen Premier den roten Teppich ausrollte, war ein grotesker Höhepunkt dieser gescheiterten Politik. Und die Chamber spielte dabei stets kopfnickend mit.
Das Luxemburger Parlament verfehlt obendrein seit Kriegsbeginn jede denkbare Gelegenheit, um dies wieder gut zu machen. Die Regierungsmehrheit (zusammen mit ADR und Déi Lénk) hat beispielsweise dagegen gestimmt, die Regierung dazu zu zwingen, in Brüssel für ein Energieembargo gegen Moskau zu werben. Und auch sonst kommt kaum Druck aus den Reihen der Koalitionsparteien, um die Regierung aus ihrer passiven Rolle zu drängen.
In Deutschland ist seit dem Angriffskrieg wenigstens eine Debatte über die russlandpolitischen Versäumnisse losgetreten worden. In Luxemburg gibt es dagegen noch keinerlei Anzeichen auf kritische Introspektion. Dabei ist die luxemburgische Russlandpolitik von ähnlichen Fehlern geprägt wie die deutsche: nämlich Naivität, Egoismus und Arroganz. Hoffentlich wird Selenskyjs Rede in der Chamber dazu beitragen, dies zu verdeutlichen.
Luxemburgs Russlandpolitik war stets naiv und egoistisch.
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