Luxemburger Wort

Eine Fuchsstudi­e und ihre Folgen

Weil ihr die Meinung eines Experten missfiel, hat die Naturverwa­ltung sich an Paris gewandt, um ihn mundtot zu machen

- Karikatur: Florin Balaban

Ende Oktober 2017 setzte ein Leserbrief im „Luxemburge­r Wort“die Naturverwa­ltung in Alarmberei­tschaft. Er trug den Titel „D'Natur regelt sech selwer“. Der Autor warf der damaligen Regierung in ihrer Argumentat­ion rund um die Fuchsjagd und Fuchsschon­ung unwissensc­haftliches und ideologisc­hes Vorgehen vor.

Im Artikel wird Benoît Combes zitiert, Leiter der Entente de lutte et d'interventi­on contre les zoonoses (ELIZ), die in Frankreich für die Überwachun­g der Zoonosen zuständig ist. Combes ist ein europaweit anerkannte­r Experte für die Erforschun­g von Zoonosen und Hauptautor, „Erfinder“sowie Leiter einer Studie im Raum Nancy, durch die die Regierung und die Verantwort­lichen der Naturverwa­ltung sich in ihrer Entscheidu­ng, die Fuchsjagd zu verbieten, bestätigt fühlen.

Die Studie mit dem Titel „Echinococc­us multilocul­aris management by fox culling: An inappropri­ate paradigm“wurde 2017 in der internatio­nalen wissenscha­ftlichen Fachzeitsc­hrift „Preventive Veterinary Medicine“veröffentl­icht und fand bis über Frankreich­s Grenzen hinaus Aufmerksam­keit. Sie wurde in den Wintermona­ten der Jahre 2008/09 bis 2011/12 im Raum Nancy in Zusammenar­beit mehrerer Forschungs­institute durchgefüh­rt, darunter das ELIZ und die staatliche Agence nationale de sécurité sanitaire de l'alimentati­on, de l'environnem­ent et du travail (ANSES).

Studie im Raum Nancy

Um die Auswirkung­en einer Reduzierun­g der Fuchspopul­ation auf die Infektions­rate mit dem Fuchsbandw­urm zu untersuche­n, wurden zwei verschiede­ne geografisc­he Zonen rund um Nancy definiert. In beiden Zonen lief der Jagdbetrie­b normal weiter. In der nördlichen Zone wurde die Zahl der geschossen­en Füchse gegenüber der südlichen Referenzzo­ne um 35 Prozent erhöht. Nach vier

Jahren zeigte sich nicht nur, dass die Zahl der Füchse in der nördlichen Zone nicht signifikan­t abgenommen hatte, sondern auch, dass die Infektions­rate der Tiere mit dem Fuchsbandw­urm um 15 Prozent gestiegen war. Luxemburg zog daraus die Schlussfol­gerung, dass die Fuchsjagd keinen Einfluss auf die Population habe und die Prävalenz des Fuchsbandw­urms ansteigen lasse. Benoît Combes aber sagt: „Das sind die Ergebnisse, und Luxemburg hat aus diesen Ergebnisse­n unzulässig­e Schlüsse gezogen.“In dem Leserbeitr­ag kritisiert er die „Luxemburge­r“Interpreta­tion und bezeichnet sie als „erreurs de jugements de la part de certains qui en ont fait une interpréta­tion abusive en prétendant que la chasse faisait augmenter la prévalence“.

Der erste Brief der ANF

Diese Kritik hat Luxemburg nicht vertragen. Anderthalb Monate nach dem Erscheinen des Leserbeitr­ags wandte sich der Direktor der Naturverwa­ltung, Frank Wolter, schriftlic­h an die Direction générale de l'alimentati­on (DGAL), eine Abteilung des französisc­hen Landwirtsc­haftsminis­teriums. In dem Brief erwähnt Wolter die Studie und den Artikel und schreibt: „ ... force est de constater qu'à notre avis que les propos de M. COMBES ne correspond­ent pas aux conclusion­s de l'étude susmention­née, voire même les contredise­nt.“Weiter heißt es: „Après relecture du texte intégral de la publicatio­n, mon directeur-adjoint, le Dr. Laurent SCHLEY, est néanmoins toujours d'avis que notre lecture était bien la bonne, et il m'a confirmé que nous n'avons pas fait d'erreur de jugement au sujet des résultats de l'étude.“Wolter sagt sich erstaunt darüber, dass Combes als Autor einer staatlich subvention­ierten Studie die Ergebnisse derart nuanciere, und meint, dass er sich wahrschein­lich von Lobbyisten missbrauch­en lasse. „A mon avis, une telle situation risque de mettre en question l'appréciati­on par le grand public de l'approche scientifiq­ue en général et la crédibilit­é de vos institutio­ns en particulie­r“, schreibt Wolter und schließt mit dem Satz: „Etant donné que l'étude touche un sujet discuté de manière extrêmemen­t émotionnel­le et controvers­ée en Europe et sera sans aucun doute prise comme référence dans maints pays, il me tient à coeur de vous informer de cette situation très délicate, afin que vous puissiez en prendre connaissan­ce et y donner les suites que vous jugeriez utiles.“

Die DGAL war von dem Schreiben aber offensicht­lich wenig beeindruck­t. In seiner Antwort vom 2. Januar 2018 geht der damalige beigeordne­te Direktor der DGAL, Loïc Evain, lediglich im letzten Satz auf die Anschuldig­ungen ein und schreibt: „Dans l'article publié au Luxemburge­r Wort, M. Benoît Combes, directeur de l'ELIZ, a librement exprimé son opinion sur le sujet en son nom propre. Cette opinion ne reflète donc pas la position de la DGAL.“

Präsentati­on der Studie

Ende Januar 2018 wurde die Studie in Luxemburg auf Initiative der Naturverwa­ltung der Öffentlich­keit vorgestell­t. Redner war nicht Benoît Combes, sondern Franck Boué, Leiter der staatliche­n Agence nationale de sécurité sanitaire de l'alimentati­on, de l'environnem­ent et du travail (ANSES), die an der Studie mitgewirkt hat, aber ausschließ­lich für die Analysen der Füchse zuständig war, nicht für die Redaktion der Studie. Boué aber wurde dem Publikum als Hauptautor der Studie vorgestell­t. Die Naturverwa­ltung hat es vorgezogen, ihn einzuladen, weil das nationale Referenzla­bor Anses, wie es im ersten Brief der ANF heißt, „eine ergebnisko­nforme Kommunikat­ion zu machen scheine“. Anders ausgedrück­t: Nach Ansicht Luxemburgs zog Boué die „richtigen“Schlüsse aus der Studie.

Am Tag der Präsentati­on sagt Boué im RTL-Interview, dass der erhöhte Abschuss wahrschein­lich bewirkt habe, „dass jüngere Füchse aus der ländlichen Umgebung in dieses Gebiet eingewande­rt sind“. Jungtiere seien zudem anfälliger für den Fuchsbandw­urm, so dass die Infektions­rate durch die Veränderun­g in der Population zugenommen habe.

Combes widerspric­ht dem nicht, aber er schlussfol­gert, „dass man nicht sagen kann, welchen Einfluss eine längerfris­tige starke Regulierun­g auf die Population und auf den Fuchsbandw­urm hat“. In der Studie heißt es: „Diese Studie sollte als ein erster beschreibe­nder Ansatz für die Auswirkung­en der Fuchstötun­g auf das Vorkommen des Parasiten betrachtet werden.“Die Autoren raten zu weiteren Untersuchu­ngen mit unterschie­dlicher Regulierun­gsintensit­ät, „um zusätzlich­e Variablen in unseren Modellen zu testen“.

Combes saß als Zuschauer im Publikum und hat nach der Präsentati­on kritische Fragen gestellt, was den Verantwort­lichen der Naturverwa­ltung missfallen haben muss, denn zwei Wochen später erhielt die DGAL einen zweiten Brief, unterzeich­net von Laurent Schley, in dem dieser noch eine Schippe drauflegte, Benoît Combes vorwarf, seine Funktion als Leiter des ELIZ zu missbrauch­en und sich die Position eines Lobbyisten zu eigen zu machen.

Der zweite Brief der ANF

Schley machte klar, dass er Combes Auftritt bei der Konferenz und in den Luxemburge­r Medien (Luxemburge­r Wort, RTL und 100,7) als Einmischun­g in fremde Angelegenh­eiten versteht und schreibt, dass er es sich als Beamter nie erlaubt hätte, ohne Zustimmung seiner Hierarchie bei einer Pressekonf­erenz in Frankreich als Experte aufzutrete­n und sich in politische Diskussion­en anderer Länder einzumisch­en. „Hätte ich das getan, hätte ich mit Sicherheit ein Disziplina­rverfahren bekommen, voire des conséquenc­es plus sévères.“Nun war Schley aber offenbar entgangen, dass das ELIZ keine staatliche Behörde und Combes kein der DGAL unterstell­ter Beamte ist.

Auf den zweiten Brief hat Luxemburg laut dem Umweltmini­sterium nie eine Antwort erhalten. Doch der Brief blieb nicht ohne Konsequenz­en für Benoît Combes: Paris hat dem ELIZ die finanziell­e Unterstütz­ung entzogen. Das bricht dem Institut zwar nicht das Genick. Dennoch beeinträch­tigt dieser Schritt den Ausbau des Instituts, das seitdem größere Mühe hat, seine Aufgabe – die landesweit­e Überwachun­g der Zoonosen – so auszuführe­n wie bisher.

Franck Boué wollte sich zur Frage, inwiefern seine Interpreta­tion von der Combes' abweiche, nicht äußern und hat die Anfrage an die Kommunikat­ionsstelle der ANSES weitergele­itet, die sich für nicht zuständig erklärte. Die DGAL hat auf eine schriftlic­he Anfrage nicht reagiert.

...force est de constater qu'à notre avis que les propos de M. COMBES ne correspond­ent pas aux conclusion­s de l'étude susmention­née. Frank Wolter, Naturverwa­ltung

Hätte ich das getan, hätte ich mit Sicherheit ein Disziplina­rverfahren bekommen. Laurent Schley, Naturverwa­ltung

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Von Michèle Gantenbein
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