Pizza, Prosecco und Trinkgelage
Der Bericht zur Party-Affäre ist so schockierend wie erwartet – ob er Johnsons Ende bedeutet, ist eine andere Frage
Seit langer Zeit hat man auf den Bericht gewartet, und er enttäuscht am Ende nicht. Sue Grays Untersuchung zum Party-Skandal im britischen Regierungssitz, deren Ergebnisse sie am Mittwoch vorlegte, ist voll von haarsträubenden Details. Zusammengenommen vermitteln sie den Eindruck, dass in der Downing Street während der gesamten Pandemie eine Trink- und Partykultur herrschte, und dass man sich über jegliche Vorschriften hinwegsetzte.
Die Staatsbeamtin Gray hatte 15 gesellschaftliche Anlässe an zwölf Tagen zwischen Mai 2020 und April 2021 unter die Lupe genommen – alle fanden zu Zeiten statt, als es laut Covid-Regeln verboten war, sich mit anderen Leuten zusammenzufinden. Gray beschreibt etwa eine Party, an der es „gedrängt und laut“zu und herging, an einem anderen Tag wurde mit Pizza und Prosecco gefeiert. Ein weiterer Anlass dauerte bis um vier Uhr in der Früh an.
Manchmal wurde „exzessiv getrunken“, eine Person musste sich sogar übergeben. Eine Putzkraft musste eines Morgens ausgeleerten Rotwein von einer Wand und einem Stapel Kopierpapier wegwischen.
Regierung zeigt Führungsschwäche Zudem fand Gray eine Respektlosigkeit gegenüber anderen Angestellten vor: „Mir wurde von mehreren Beispielen mangelnden Respekts und schlechter Behandlung von Sicherheits- und Reinigungspersonal berichtet“, schreibt sie. In ihrer Zusammenfassung geht Gray scharf ins Gericht mit den Beteiligten: „Viele werden entsetzt sein, dass solches Verhalten in diesem Ausmaß im Herzen der Regierung stattfand.“
Sie wiederholte das Fazit, das sie bereits in ihrem vorläufigen Bericht Ende Januar festgehalten hatte: Die Regierung habe Führungsschwäche gezeigt, und die Parties hätten nie stattfinden sollen. Besonders problematisch für die Regierung ist, dass sich viele Mitarbeiter ihrer Regelverstöße nur allzu bewusst waren. Man solle bitte nicht mit Weinflaschen in der Hand herumlaufen, solange nach einer Pressekonferenz noch Kameras da seien, schreibt ein Regierungsberater in einem internen E-Mail. In einer anderen Nachricht freut sich Boris Johnsons Privatsekretär
Martin Reynolds darüber, dass die Mitarbeiter mit einem unerlaubten Umtrunk noch einmal „davongekommen seien“– also dass die Presse davon nicht Wind bekommen hatte.
Viel von dem, was Sue Gray in ihrem Bericht festhält, war bereits vorher bekannt. Dennoch sorgten die Details erneut für Wirbel in Westminster. Johnson selbst wählte die Flucht nach vorne: Er entschuldigte sich im Parlament erneut für die Regelverstöße. „Ich übernehme volle Verantwortung für alles, was unter meiner Aufsicht geschehen ist.“
Rufe nach einer Demission
So ganz reuig war der Premierminister aber dann doch nicht. Er sei
„genauso überrascht und enttäuscht wie alle anderen“über die „Partygate“-Enthüllungen. Er hat klar signalisiert, dass er überhaupt nicht vorhat, zurückzutreten. Vielmehr sei es jetzt an der Zeit, die Affäre endlich „hinter sich zu lassen“, wie er sagte, und andere Prioritäten in den Blick zu nehmen.
Mit perfektem Timing kündigte Finanzminister Rishi Sunak am Donnerstag ein finanzielles Hilfspaket an, mit denen die sich ausweitende Krise der Lebenshaltungskosten abgefedert werden soll. Die Maßnahme ist bitter nötig – seit Monaten warnen Ökonomen, dass hunderttausende Briten aufgrund steigender Inflation und hohen Energiekosten in die Armut abzustürzen drohen.
Dennoch liegt der Schluss nahe, dass die Regierung die Ankündigung auf genau diesen Tag legte, um die öffentliche Konversation weg von der Party-Affäre zu steuern. Aber manche Tory-Abgeordnete sagen: nicht so schnell. Seit der Publikation des Gray-Berichts haben sich drei weitere Fraktionsmitglieder öffentlich zu Wort gemeldet, um den Premierminister zur Demission aufzufordern.
Wie viele Abgeordnete bereits Misstrauensanträge eingereicht haben, wird erst bekannt sein, wenn die kritische Zahl von 54 Briefen erreicht ist – dann würde es zu einem Führungskampf kommen. Die Tories werden vor allem abwägen müssen, wie schädlich die Affäre für ihre künftigen Wahlchancen ist.
Bereits jetzt habe Johnson „der Glaubwürdigkeit der Regierung ernsten Schaden zugefügt“, schreibt Bronwen Maddox, die Vorsitzende des Thinktanks Institute for Government.
Ich übernehme volle Verantwortung für alles, was unter meiner Aufsicht geschehen ist. Boris Johnson, Premierminister