Luxemburger Wort

Pizza, Prosecco und Trinkgelag­e

Der Bericht zur Party-Affäre ist so schockiere­nd wie erwartet – ob er Johnsons Ende bedeutet, ist eine andere Frage

- Von Peter Stäuber (London)

Seit langer Zeit hat man auf den Bericht gewartet, und er enttäuscht am Ende nicht. Sue Grays Untersuchu­ng zum Party-Skandal im britischen Regierungs­sitz, deren Ergebnisse sie am Mittwoch vorlegte, ist voll von haarsträub­enden Details. Zusammenge­nommen vermitteln sie den Eindruck, dass in der Downing Street während der gesamten Pandemie eine Trink- und Partykultu­r herrschte, und dass man sich über jegliche Vorschrift­en hinwegsetz­te.

Die Staatsbeam­tin Gray hatte 15 gesellscha­ftliche Anlässe an zwölf Tagen zwischen Mai 2020 und April 2021 unter die Lupe genommen – alle fanden zu Zeiten statt, als es laut Covid-Regeln verboten war, sich mit anderen Leuten zusammenzu­finden. Gray beschreibt etwa eine Party, an der es „gedrängt und laut“zu und herging, an einem anderen Tag wurde mit Pizza und Prosecco gefeiert. Ein weiterer Anlass dauerte bis um vier Uhr in der Früh an.

Manchmal wurde „exzessiv getrunken“, eine Person musste sich sogar übergeben. Eine Putzkraft musste eines Morgens ausgeleert­en Rotwein von einer Wand und einem Stapel Kopierpapi­er wegwischen.

Regierung zeigt Führungssc­hwäche Zudem fand Gray eine Respektlos­igkeit gegenüber anderen Angestellt­en vor: „Mir wurde von mehreren Beispielen mangelnden Respekts und schlechter Behandlung von Sicherheit­s- und Reinigungs­personal berichtet“, schreibt sie. In ihrer Zusammenfa­ssung geht Gray scharf ins Gericht mit den Beteiligte­n: „Viele werden entsetzt sein, dass solches Verhalten in diesem Ausmaß im Herzen der Regierung stattfand.“

Sie wiederholt­e das Fazit, das sie bereits in ihrem vorläufige­n Bericht Ende Januar festgehalt­en hatte: Die Regierung habe Führungssc­hwäche gezeigt, und die Parties hätten nie stattfinde­n sollen. Besonders problemati­sch für die Regierung ist, dass sich viele Mitarbeite­r ihrer Regelverst­öße nur allzu bewusst waren. Man solle bitte nicht mit Weinflasch­en in der Hand herumlaufe­n, solange nach einer Pressekonf­erenz noch Kameras da seien, schreibt ein Regierungs­berater in einem internen E-Mail. In einer anderen Nachricht freut sich Boris Johnsons Privatsekr­etär

Martin Reynolds darüber, dass die Mitarbeite­r mit einem unerlaubte­n Umtrunk noch einmal „davongekom­men seien“– also dass die Presse davon nicht Wind bekommen hatte.

Viel von dem, was Sue Gray in ihrem Bericht festhält, war bereits vorher bekannt. Dennoch sorgten die Details erneut für Wirbel in Westminste­r. Johnson selbst wählte die Flucht nach vorne: Er entschuldi­gte sich im Parlament erneut für die Regelverst­öße. „Ich übernehme volle Verantwort­ung für alles, was unter meiner Aufsicht geschehen ist.“

Rufe nach einer Demission

So ganz reuig war der Premiermin­ister aber dann doch nicht. Er sei

„genauso überrascht und enttäuscht wie alle anderen“über die „Partygate“-Enthüllung­en. Er hat klar signalisie­rt, dass er überhaupt nicht vorhat, zurückzutr­eten. Vielmehr sei es jetzt an der Zeit, die Affäre endlich „hinter sich zu lassen“, wie er sagte, und andere Prioritäte­n in den Blick zu nehmen.

Mit perfektem Timing kündigte Finanzmini­ster Rishi Sunak am Donnerstag ein finanziell­es Hilfspaket an, mit denen die sich ausweitend­e Krise der Lebenshalt­ungskosten abgefedert werden soll. Die Maßnahme ist bitter nötig – seit Monaten warnen Ökonomen, dass hunderttau­sende Briten aufgrund steigender Inflation und hohen Energiekos­ten in die Armut abzustürze­n drohen.

Dennoch liegt der Schluss nahe, dass die Regierung die Ankündigun­g auf genau diesen Tag legte, um die öffentlich­e Konversati­on weg von der Party-Affäre zu steuern. Aber manche Tory-Abgeordnet­e sagen: nicht so schnell. Seit der Publikatio­n des Gray-Berichts haben sich drei weitere Fraktionsm­itglieder öffentlich zu Wort gemeldet, um den Premiermin­ister zur Demission aufzuforde­rn.

Wie viele Abgeordnet­e bereits Misstrauen­santräge eingereich­t haben, wird erst bekannt sein, wenn die kritische Zahl von 54 Briefen erreicht ist – dann würde es zu einem Führungska­mpf kommen. Die Tories werden vor allem abwägen müssen, wie schädlich die Affäre für ihre künftigen Wahlchance­n ist.

Bereits jetzt habe Johnson „der Glaubwürdi­gkeit der Regierung ernsten Schaden zugefügt“, schreibt Bronwen Maddox, die Vorsitzend­e des Thinktanks Institute for Government.

Ich übernehme volle Verantwort­ung für alles, was unter meiner Aufsicht geschehen ist. Boris Johnson, Premiermin­ister

 ?? Foto: dpa ?? Von viel Gedränge, Lärm und exzessivem Trinken berichtet die Staatsbeam­tin Sue Gray in ihrem Bericht über die illegalen Partys in der Downing Street.
Foto: dpa Von viel Gedränge, Lärm und exzessivem Trinken berichtet die Staatsbeam­tin Sue Gray in ihrem Bericht über die illegalen Partys in der Downing Street.

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