Luxemburger Wort

Abwehrkamp­f im Bauschutt

An der Donbass-Front droht zehntausen­d ukrainisch­en Soldaten die Einkesselu­ng – der Armee mangelt es an schweren Waffen

- Von Dmytro Durnjew

Auf der Straße von Bachmut nach Lisitschan­sk habe man die russischen Okkupanten ordentlich unter Feuer genommen und zurückgewo­rfen, schrieb der ukrainisch­e Telegramka­nal Ressentime­nt gestern. „Jetzt wird heftig gekämpft, der Feind wird zermürbt und in Feuertasch­en gelockt. Alle Mittel sind aktiv im Einsatz, einschließ­lich Kamikaze-Drohnen.“Und das Portal focus.ua berichtet, die ukrainisch­en Truppen hätten eine russische Straßenspe­rre mit einer 50 Mann starken Besatzung vernichtet.

Aber diese Siegesnach­richten haben einen Pferdefuß. Weil der Feind danach offenbar die Hauptstraß­e erreicht hat, die die umkämpften Frontstädt­e Lisitschan­sk und Sewerodone­zk mit dem ukrainisch­en Hinterland verbindet. Beiden Städten droht die Einkreisun­g, auch wenn sich die russischen Zangenarme nordwestli­ch von Poposna und südöstlich von

Liman nur langsam aufeinande­r zubewegen. Damit könnte sich die Kesselschl­acht von Debalzewo 2015 wiederhole­n, als das ukrainisch­e Oberkomman­do den Transportk­notenpunkt Debalzewo trotz der offensicht­lichen Einkreisun­gsgefahr nördlich von Donezk nicht aufgeben wollte. Am Ende mussten mehrere tausend ukrainisch­e Soldaten fliehen und ihre schweren Waffen zurücklass­en. Wie damals droht der Verlust der Hauptrückz­ugstraße, auch eine noch offene Nebenstraß­e liegt im Schussfeld russischer Haubitzen.

Weit überlegene Feuerkraft

Witali Kisseljow, Innenminis­ter der Lugansker Rebellenre­publik, verkündete bereits am 17. Mai, im Kessel von Sewerodone­zk befänden sich 15 000 bis 16 000 Ukrainer. Laut ukrainisch­en Experten sollen dort vier ukrainisch­e Brigaden mit noch 10 000 bis 15 000 Soldaten konzentrie­rt sein.

Dass der Feind seit Wochen versucht, sie einzukesse­ln, ist keine

Neuigkeit. „Die russischen Kräfte koordinier­en weiter ihre Kräfte zur Eroberung Sewerodone­zks von Norden und Süden, was zu einer kleineren Einkreisun­g führen könnte.“Das schrieb das US-Institut für Kriegsfors­chung ISW schon am 15. Mai über den offensicht­lichen Verzicht des russischen Oberkomman­dos auf eine umfassende Kesselschl­acht im Donbass zugunsten begrenzter Zangenbewe­gungen.

Dabei setzen die Russen vor allem auf ihre weit überlegene Feuerkraft. „Ihre Taktik hat sich nicht geändert“, sagt der Frontkomma­ndeur Petro Kusyk dem Portal Ukrainska Prawda. „Sie bearbeiten unsere Stellungen massiv mit

Artillerie, dann rückt Infanterie vor, manchmal zusammen mit Panzern.“Die Infanterie erleide Verluste, weiche zurück, die Artillerie schalte sich wieder ein. „Die Artillerie arbeitet vier Stunden, dann Infanterie­angriff, drei oder vier Stunden Artillerie, wieder Infanterie­angriff.“Die Russen eroberten keine Städte, sondern machten Bauschutt aus ihnen. „Auf jede unserer Granaten antworten sie mit 20 bis 50.“

50 bis 100 Gefallene am Tag

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach unlängst von täglich 50 bis 100 Gefallenen an der Front. „An dem Punkt, an dem wir kämpfen“, kommentier­t Kusyk, „ist diese Zahl untertrieb­en.“Aber in der Öffentlich­keit dominieren Durchhalte­parolen. „Wenn die Russen bis Ende dieser Woche keinen Erfolg haben“, verspricht Serhi Haidai, der Chef der Lugansker Gebietsver­waltung, „wird ihnen der Atem ausgehen und sich unsere Lage zumindest stabilisie­ren.“

Aber die Übermacht der russischen Artillerie bleibt. Und auf das schwere Geschütz, das der Westen liefern will, wartet die Ukraine zum großen Teil noch. Bisher würden nur Einzelstüc­ke eingesetzt, sagt Verteidigu­ngsministe­r Oleksi Resnikow, es sei ungewiss, wie viele Wochen es dauere, bis das Gros der Waffen und die daran ausgebilde­ten Artilleris­ten an der Front eintreffen. „Die Zeit vergeht unbeschrei­blich langsam.“In den Vororten von Sewerodone­zk wird schon gekämpft, aber ein Rückzug der Ukrainer aus der umklammert­en Stadt ist nicht in Sicht.

„Ich verstehe, ich soll sagen, dass wir siegen, dass wir durchhalte­n, aber ich beurteile die Lage nüchtern“, erklärt Frontkomma­ndeur Kusyk.

Es werde bis auf Weiteres keine Waffenpari­tät geben und die Lage noch schwierige­r werden. „Es ist falsch, sich nur auf das Heldentum unserer Soldaten zu verlassen.“

Auf jede unserer Granaten antworten sie mit 20 bis 50. Frontkomma­ndeur Petro Kusyk

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg