Abkehr vom Sonderweg
In Dänemark steht die bisherige ablehnende Haltung zur gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU auf dem Prüfstand
Moskaus Angriffskrieg in der Ukraine hat eine Zeitenwende in vielen europäischen Staaten ausgelöst: Nach dem beantragten NATO-Beitritt der traditionell bündnisfreien Länder Finnland und Schweden steht nun auch im EU-Land Dänemark eine vollständige Abkehr von der bisher ablehnenden Haltung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union an. Das Land, das in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mit gemeinsamen EU-Beschlüssen gehadert hat, will nun seine Ausnahmeregeln von der EU-Sicherheitsund Verteidigungspolitik abschaffen. Heute sollen die Däninnen und Dänen in einem Referendum über die Abschaffung der Ausnahmeregel abstimmen, die Dänemark seit 1992 hat.
„Historische Zeiten erfordern historische Entscheidungen“, erklärte Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen. Durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine sei eine neue Ära in der europäischen Geschichte eingeleitet worden, begründete die Ministerpräsidentin die vollständige Kehrtwende von der bisherigen Skepsis gegenüber allen europäischen Integrationsversuchen. Bislang beteiligt sich das NATO-Land Dänemark als einziges EU-Mitglied nicht an militärischen Einsätzen der EU und stellt keine finanziellen und militärischen Mittel dafür zur Verfügung. Ausnahme sind zivile Einsätze.
Sorge um Souveränität
Die EU-Ausnahmeregeln waren notwendig geworden, nachdem 1991 eine knappe Mehrheit der Dänen den Vertrag von Maastricht abgelehnt hatte. In dem Maastrichter Vertrag wurde die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsländer in verschiedenen Bereichen geregelt.
Dazu gehört auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Angst vor einem Verlust der eigenen Souveränität war der Grund für die knappe Ablehnung.
Mit ihrem „Nein zu Maastricht“stürzte Dänemark die EU in eine schwere Krise. Deshalb wurden dem EU-skeptischen Land einige Ausnahmen, darunter bei der EUSicherheitsund Verteidigungspolitik, vom Maastrichter Vertrag zugebilligt. Dänemark braucht auch nicht an der Währungsunion teilzunehmen. Und in den Bereichen Justiz und Inneres sowie Staatsbürgerschaft findet die angestrebte weitere Integration ohne Dänemark statt.
Diese Ausnahmeregeln ermöglichten ein zweites Referendum, in dem eine Mehrheit der Dänen „Ja zu Maastricht“sagte. Seitdem verlässt der dänische Außenminister stets den Raum, wenn seine Amtskollegen
in Brüssel über Sicherheitsund Verteidigungsthemen beraten. Dieser Vorbehalt soll nach dem Willen der dänischen Regierung nun gestrichen werden. Denn auch in Kopenhagen hat man eingesehen, dass nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik immer wichtiger geworden ist. Um der Abschaffung der Ausnahmeregel mehr Gewicht zu verleihen, sicherte sich
Frederiksen auch die Unterstützung von fünf Oppositionsparteien.
Nach jüngsten Umfragen könnte die dänische Abseitsstellung tatsächlich bald vorüber sein. 42 Prozent der befragten Dänen will mit „Ja zur Abschaffung des EU-Verteidigungsvorbehalts“stimmen. Anfang Mai waren es nur 38 Prozent. Die Zahl der „Nein-Sager“stieg ebenfalls leicht von 27 auf 28 Prozent. Rund ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler hat sich noch nicht entscheiden.
Deutlich mehr Geld fürs Militär
Die regierenden Sozialdemokraten haben sich mit Teilen der Opposition ebenfalls auf eine deutliche Erhöhung des Militärhaushalts geeinigt. Gab Dänemark bisher nur 1,44 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus, soll dieser Anteil bis 2033 auf zwei Prozent erhöht werden. In der dänischen Presse wurde spekuliert, dass die Ankündigung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), den Verteidigungshaushalt kräftig aufzustocken, eine wichtige Rolle für die dänische Entscheidung gespielt hat.
Dänemark geht seit vielen Jahren seinen eigenen Weg. Mit seiner Asylpolitik, die deutlich schärfer ist als in den meisten anderen EU-Ländern, brüskierte man immer wieder Brüssel. Nun hat man in Kopenhagen offenbar die Bedeutung eines gemeinsamen Vorgehens zumindest in der Sicherheitsund Verteidigungspolitik verstanden.
Dänemark beteiligt sich als einziges EUMitglied nicht an militärischen Einsätzen der EU.