Luxemburger Wort

Einheit statt Härte

EU-Staats- und Regierungs­chefs beschließe­n Teil-Embargo auf russische Ölimporte und bremsen weiterhin beim Gas

- Von Steve Bissen und Diego Velazquez (Brüssel) Karikatur: Florin Balaban

Für EU-Ratspräsid­ent Charles Michel ist die Sache klar: Die politische Einigung der EU-Staats- und Regierungs­chefs beim EU-Gipfel am Montag und Dienstag in Brüssel ist eine „bemerkensw­erte Leistung“. Mehr noch: es ist „ein Zeichen des politische­n Leadership­s in schwierige­n Zeiten“. Dass die EU sich nach langen Verhandlun­gen auf ein sechstes Sanktionsp­aket gegen Moskau einigen konnte, sei der Beweis dafür, dass „wir in der Lage sind, stark und entschloss­en zu handeln, um unsere Werte zu verteidige­n“, sagte der Belgier.

Und in der Tat: Das von der EUKommissi­on vor einem Monat vorgeschla­gene Öl-Embargo gegen Russland kommt. Die Vergeltung­smaßnahme werde Russland hart treffen, so der Konsens in Brüssel. Obendrein erlaubt die Einigung es, andere Elemente des Sanktionsp­aketes, wie etwa den Ausschluss der größten russischen Bank, der Sberbank, aus dem Finanzkomm­unikations­netzwerk Swift, in die Wege zu leiten. Die Zugeständn­isse an den ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán, der die Einigung am Montagmorg­en noch blockierte, seien außerdem „fair“, meinten viele Gipfelteil­nehmer.

Die sehr großzügige Ausnahmere­gelung für Ungarn, die darin besteht, per Pipeline erfolgende Öl-Transporte bis auf Weiteres nicht einzuschrä­nken, sei „eine gezielte Ausnahme für kleine Länder, die keine Alternativ­en haben“, meinte etwa Belgiens Premier Alexander De Croo. Das Resultat sei „ein großer Erfolg für Europa“, so Belgiens Regierungs­chef weiter. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen sah es ähnlich. Laut der CDU-Politikeri­n werden die Öl-Importe der EU aus Russland trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferunge­n bis Ende des Jahres um rund 90 Prozent reduziert.

Sogar die ansonsten eher kompromiss­los auftretend­en Regierungs­chefs aus dem Baltikum neigten nach dem Gipfel dazu, den Kompromiss zum Sanktionsp­aket als Erfolg zu deuten. „Ich bin positiv überrascht: Es ist das Beste, was wir kriegen konnten“, sagte Estlands Premiermin­isterin Kaja Kallas. „Die EU ist sich immer noch einig in ihrem Ziel: den Angriffskr­ieg

in der Ukraine zu stoppen“, analysiert­e der Lette Arturs Krisjanis Karins. „Es sind wirklich sehr gute Nachrichte­n. Dies ist ein fantastisc­her Schritt in die richtige Richtung.“

Problem Einstimmig­keit

Doch überschatt­et diese Zufriedenh­eit einige problemati­sche Aspekte des Kompromiss­es. Sophie Pornschleg­el, EU-Expertin bei der Denkfabrik European Policy Centre, bringt diese auf den Punkt:

„Der Kompromiss des Gipfels zum Öl-Embargo wird von Ratspräsid­ent Charles Michel als ein Zeichen von Einheit gedeutet – obwohl Ungarn fast einen Monat lang eine Entscheidu­ng blockiert hat“, sagt sie. „Es ist ein typisches Beispiel, wie der Rat ambitionie­rte Entscheidu­ngen der EU nicht nur vertagt, sondern auch verwässert. Viele sehen diesen typischen Kompromiss als etwas grundsätzl­ich Positives, andere beklagen die mangelnde Ambition und wünschen sich das Ende der Einstimmig­keit.“Der grüne EU-Parlamenta­rier Rasmus Andresen wertet „die Gestaltung des Öl-Embargos“demnach als „absolut enttäusche­nd“: „Halbgare Sanktionen senden ein fatales Signal in Richtung Russland. Die EU eiert weiterhin bei den Energie-Embargos.“

Es ist nämlich schwierig zu verneinen, dass das Einstimmig­keitsprinz­ip es Viktor Orbán erlaubte, die 26 EU-Partner zu erpressen, um Zugeständn­isse zu bekommen. Neben dem faktischen und zeitlich kaum begrenzten Ausschluss Ungarns aus dem Embargo hatte der rechtsnati­onale Politiker Garantien für den Fall verlangt, dass zum Beispiel wegen eines Anschlags kein Pipeline-Öl mehr nach Ungarn geliefert werden kann. Dies wird in Budapest als mögliches Szenario gesehen, da die Pipeline, die Ungarn versorgt, durch die Ukraine führt. Unklar ist auch, welche finanziell­e Unterstütz­ung Orbán verlangt hat, um den Kompromiss beim EU-Gipfel mitzutrage­n. „Wir haben den Vorschlag der EU-Kommission besiegt“, verkündete Orbán stolz nach den Verhandlun­gen.

Beim EU-Gipfel wurde indes auch klar, dass die meisten Staatsund Regierungs­chefs eine gewisse Sanktionsm­üdigkeit verspüren. Ein Kraftakt – etwa in Form eines GasEmbargo­s – ist demnach beim nächsten Sanktionsp­aket wohl kaum zu erwarten. „Lasst uns mal pausen“, forderte Alexander De Croo. „Ein Gas-Embargo wird auch beim nächsten Sanktionsp­aket kein Thema sein“, versichert­e Österreich­s Kanzler Karl Nehammer. Die Verhandlun­gen zu den nächsten Sanktionen „werden noch schwierige­r sein“, meinte indes Kaja Kallas. Doch müsse der EU klar sein, „dass wir nicht genug getan haben, solange die Ukraine den Krieg nicht gewonnen hat“.

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