Einheit statt Härte
EU-Staats- und Regierungschefs beschließen Teil-Embargo auf russische Ölimporte und bremsen weiterhin beim Gas
Für EU-Ratspräsident Charles Michel ist die Sache klar: Die politische Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am Montag und Dienstag in Brüssel ist eine „bemerkenswerte Leistung“. Mehr noch: es ist „ein Zeichen des politischen Leaderships in schwierigen Zeiten“. Dass die EU sich nach langen Verhandlungen auf ein sechstes Sanktionspaket gegen Moskau einigen konnte, sei der Beweis dafür, dass „wir in der Lage sind, stark und entschlossen zu handeln, um unsere Werte zu verteidigen“, sagte der Belgier.
Und in der Tat: Das von der EUKommission vor einem Monat vorgeschlagene Öl-Embargo gegen Russland kommt. Die Vergeltungsmaßnahme werde Russland hart treffen, so der Konsens in Brüssel. Obendrein erlaubt die Einigung es, andere Elemente des Sanktionspaketes, wie etwa den Ausschluss der größten russischen Bank, der Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift, in die Wege zu leiten. Die Zugeständnisse an den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, der die Einigung am Montagmorgen noch blockierte, seien außerdem „fair“, meinten viele Gipfelteilnehmer.
Die sehr großzügige Ausnahmeregelung für Ungarn, die darin besteht, per Pipeline erfolgende Öl-Transporte bis auf Weiteres nicht einzuschränken, sei „eine gezielte Ausnahme für kleine Länder, die keine Alternativen haben“, meinte etwa Belgiens Premier Alexander De Croo. Das Resultat sei „ein großer Erfolg für Europa“, so Belgiens Regierungschef weiter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sah es ähnlich. Laut der CDU-Politikerin werden die Öl-Importe der EU aus Russland trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres um rund 90 Prozent reduziert.
Sogar die ansonsten eher kompromisslos auftretenden Regierungschefs aus dem Baltikum neigten nach dem Gipfel dazu, den Kompromiss zum Sanktionspaket als Erfolg zu deuten. „Ich bin positiv überrascht: Es ist das Beste, was wir kriegen konnten“, sagte Estlands Premierministerin Kaja Kallas. „Die EU ist sich immer noch einig in ihrem Ziel: den Angriffskrieg
in der Ukraine zu stoppen“, analysierte der Lette Arturs Krisjanis Karins. „Es sind wirklich sehr gute Nachrichten. Dies ist ein fantastischer Schritt in die richtige Richtung.“
Problem Einstimmigkeit
Doch überschattet diese Zufriedenheit einige problematische Aspekte des Kompromisses. Sophie Pornschlegel, EU-Expertin bei der Denkfabrik European Policy Centre, bringt diese auf den Punkt:
„Der Kompromiss des Gipfels zum Öl-Embargo wird von Ratspräsident Charles Michel als ein Zeichen von Einheit gedeutet – obwohl Ungarn fast einen Monat lang eine Entscheidung blockiert hat“, sagt sie. „Es ist ein typisches Beispiel, wie der Rat ambitionierte Entscheidungen der EU nicht nur vertagt, sondern auch verwässert. Viele sehen diesen typischen Kompromiss als etwas grundsätzlich Positives, andere beklagen die mangelnde Ambition und wünschen sich das Ende der Einstimmigkeit.“Der grüne EU-Parlamentarier Rasmus Andresen wertet „die Gestaltung des Öl-Embargos“demnach als „absolut enttäuschend“: „Halbgare Sanktionen senden ein fatales Signal in Richtung Russland. Die EU eiert weiterhin bei den Energie-Embargos.“
Es ist nämlich schwierig zu verneinen, dass das Einstimmigkeitsprinzip es Viktor Orbán erlaubte, die 26 EU-Partner zu erpressen, um Zugeständnisse zu bekommen. Neben dem faktischen und zeitlich kaum begrenzten Ausschluss Ungarns aus dem Embargo hatte der rechtsnationale Politiker Garantien für den Fall verlangt, dass zum Beispiel wegen eines Anschlags kein Pipeline-Öl mehr nach Ungarn geliefert werden kann. Dies wird in Budapest als mögliches Szenario gesehen, da die Pipeline, die Ungarn versorgt, durch die Ukraine führt. Unklar ist auch, welche finanzielle Unterstützung Orbán verlangt hat, um den Kompromiss beim EU-Gipfel mitzutragen. „Wir haben den Vorschlag der EU-Kommission besiegt“, verkündete Orbán stolz nach den Verhandlungen.
Beim EU-Gipfel wurde indes auch klar, dass die meisten Staatsund Regierungschefs eine gewisse Sanktionsmüdigkeit verspüren. Ein Kraftakt – etwa in Form eines GasEmbargos – ist demnach beim nächsten Sanktionspaket wohl kaum zu erwarten. „Lasst uns mal pausen“, forderte Alexander De Croo. „Ein Gas-Embargo wird auch beim nächsten Sanktionspaket kein Thema sein“, versicherte Österreichs Kanzler Karl Nehammer. Die Verhandlungen zu den nächsten Sanktionen „werden noch schwieriger sein“, meinte indes Kaja Kallas. Doch müsse der EU klar sein, „dass wir nicht genug getan haben, solange die Ukraine den Krieg nicht gewonnen hat“.