„Russische Energie zu ersetzen, wird dauern“
Der US-Ökonom Ray Perryman warnt vor übertriebenen Erwartungen im Ölkonflikt
Kann Europa russisches Öl durch Lieferungen aus dem „Permischen Becken“im Westen von Texas ersetzen? Dort liegen die größten bekannten Ölreserven der Welt. Ray Perryman gehört zu den besten Kennern des amerikanischen Energiemarktes. Der Ökonom blickt auf mehr als vier Jahrzehnte Erfahrung in Lehre und Beratung zurück. Er führt heute die „The Perryman Group“mit Sitz in Waco, Texas. Perryman warnt vor übertriebenen Erwartungen.
Ray Perryman, wie wichtig ist das Permische Becken für den Weltmarkt von Gas und Öl?
Sehr wichtig. Es produziert zurzeit etwas mehr als fünf Millionen Barrel pro Tag. Und es hat wahrscheinlich die größten Öl- und Gasreserven aller großen Formationen der Welt. Die meisten Ölfelder bestehen aus einem Reservoir unter der Erdoberfläche. Das Perm-Becken ist wie eine große Torte mit sieben Schichten. Dank des Frackings kann viel von diesem Öl und Gas freigelegt werden. Es wird deshalb für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ein sehr wichtiger Teil des Energiekomplexes sein.
Das Fracking hat das Perm-Becken gewissermaßen wieder zum Leben erweckt?
Ja. Hier wurde seit den 1920er Jahren gebohrt, aber die Ölförderung ging über 35 Jahre lang zurück bevor das Fracking aufkam. Und dann ging es buchstäblich nach oben. Die Förderung ist jetzt zwei- oder dreimal so hoch wie vorher. Es war eine wahre Revolution.
Allein vom Potenzial her sieht es also vielversprechend aus, dass West-Texas die Energielücke füllen kann, die der Ukraine-Krieg gerissen hat. Wie schnell können Produzenten die Förderung steigern?
Das ist ziemlich leicht. Gerade jetzt, wo im letzten Monat mehr Genehmigungen für neue Bohrarbeiten beantragt wurden als je zuvor in der Geschichte der Region. Ein Niveau zu erreichen, die russische Energie zu ersetzen, wird allerdings sehr lange dauern. Die Förderung müsste sich hier verdreifachen. Das erwartet niemand in der Welt. Aber es kann um einen wesentlichen Beitrag zur täglichen Versorgung gehen, der sich innerhalb von ein paar Monaten erhöhen lässt. Vor der Pandemie sind viele Quellen gebohrt, aber nicht fertiggestellt worden. Die lassen sich jetzt schnell ans Netz bringen. Deshalb hatten wir anfangs noch nicht so viele neue Bohraktivitäten gesehen. Jetzt geht es in großem Umfang los.
Sie haben erwähnt, dass die meisten Produzenten im Permischen Becken den Einbruch während der Pandemie im April 2020 wahrscheinlich nie vergessen werden?
Das war eine sehr düstere Zeit. Die weltweite Nachfrage brach in 30 Tagen um etwa 30 Prozent ein. So etwas hatten wir noch nie gesehen.
Sind die Produzenten vorsichtiger geworden?
In den letzten 30 Jahren sind Dinge passiert, die dazu beigetragen haben. Vor der Pandemie steigerten viele die Produktion zu schnell. Gewinne flossen als Inventionen gleich wieder in neue Bohrungen. Investoren wollen mehr Rendite sehen und zwingen deshalb zu einem bescheideneren Tempo. Aber alle erkennen, dass die globale Nachfrage da ist. Es gibt heute einen viel höheren Prozentsatz an Bohrungen, die direkt Quellen sprudeln lassen. Es bleibt Unsicherheit um die Klimapolitik der US-Regierung und welche Auswirkungen diese langfristig haben könnte. Gleichzeitig wissen sie, dass keine Öl-Sorte in der Welt einen so niedrigen Kohlenstoffgehalt hat wie hier. Das könnte während des Übergangsprozesses die Nachfrage in Richtung des Perm-Beckens verlagern.
Wie viele Produzenten sind im Permian-Basin tätig?
Es gibt vier oder fünf große Unternehmen – Exxon Mobil, Conoco, Phillips – und viele kleinere und mittelgroße Firmen, die wieder anfangen. Ich kann von meinem Garten aus eine Menge Aktivität sehen. Dazu gehören moderne Jackup-Rigs, die sich innerhalb von 72 Stunden vom Lager zum Bohren einer Quelle bewegen lassen. Es ist erstaunlich, was sie mit der Technologie machen können.
Es steht außer Frage, dass sie viel Öl aus dem Becken pumpen und auch viel Gas produzieren könnten. Gibt es genügend Kapazität, dieses Gas aus Texas schnell mit Schiffen nach Europa zu bringen?
Die Antwort darauf lautet: Nein. Wir haben nur sieben LNGAnlagen in den USA und vier an der Golfküste von Texas, die über Pipelines aus dem Permian Becken
beliefert werden können. Das ist nicht genug. Obwohl wir mehr tun, reicht das nicht, um das russische Gas zu ersetzen. Wir könnten Russlands Macht in der Welt neutralisieren, wenn wir Deutschland und andere Länder in ausreichenden Mengen durchgängig versorgen könnten. Das lässt sich gewiss über die Zeit schaffen. Aber das ist ein mehrjähriger Prozess. Das löst das aktuelle Problem nicht, weil die Größenordnung zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden ist.
Wenn Sie über einen mehrjährigen Ansatz sprechen, was ist dann das beste Szenario? Wie schnell könnten zusätzliche Kapazitäten online gehen?
Zwischen der Genehmigung und Fertigstellung von LNG-Terminals vergehen ungefähr vier bis fünf Jahre. Es gibt viele die Genehmigungen beantragen oder sich gerade in diese Richtung bewegen. Der Krieg hat das Interesse wieder erhöht. Einige, die eine Weile an der Seitenlinie gesessen hatten, versuchen jetzt wieder
Ray Perryman führt in Texas die „Perryman Group“. einzusteigen. Aber das geht nicht schnell. Es sind sehr große Anlagen im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Das aktuelle Problem lässt sich nicht sofort lindern, aber wir können zur Besserung beitragen.
Und es braucht wohl auch langfristige Bindungen. Auf der anderen Seite, um diese Investitionen zu tätigen?
Die meisten LNG-Anlagen, die jetzt im Bau sind, haben sogar Langzeitverträge für ihr Gas. Es wird ein gewisses Maß an langfristiger Operabilität und Rentabilität brauchen.
Der Preis an der Zapfsäule ist ein Anliegen, das Amerikaner und Europäer gleichermaßen besorgt. Warum sind die USA trotz Energieunabhängigkeit weiterhin abhängig von der OPEC?
Offensichtlich können die USA selbst viel mehr produzieren.
Aber die Schwierigkeit ist die Formel an Ölen, die in Raffinerien gebraucht wird. Viele dieser Mischungen enthalten etwa russisches Öl, Öl aus dem Nahen Osten und aus Lateinamerika. Das lässt sich nicht einfach sofort wechseln, weil dafür umgerüstet werden muss. Das lässt sich sicherlich langfristig lösen.
Während der jüngsten Covid-Pleite gingen Produzenten in WestTexas zur Texas Railroad Commission und baten um eine Intervention. Welche Rolle könnte oder sollte der Staat in diesem speziellen Markt spielen?
Ich bin kein Fan von Förderquoten. Ich mag diese Art von Markteingriffen nicht. Natürlich obliegt es der Regierung, Klimapolitiken und solche Dinge festzulegen. Es ist wichtig, dass wir erneuerbare Ressourcen entwickeln und unsere Klimaprobleme angehen. Aber jede Prognose zeigt, dass in der Zukunft weiter mehr Öl und Gas benötigt werden als heute. Die größte Sorge, die ich im Moment habe, ist eine Behinderung der Entwicklung dieses Marktes durch Hindernisse. Im Allgemeinen neigen die Märkte dazu, Probleme mit ihren eigenen Mitteln zu lösen. Die Railroad Commission hat glücklicherweise die Dinge nicht getan, um die sie gebeten wurde. Das war eine weise Entscheidung.
Sie haben die erneuerbaren Energien angesprochen, dass viele Produzenten, die auch in Solarund Windenergie investieren. Könnte das Permian Becken auch zu einem Energiezentrum für erneuerbare Energien werden?
Das passiert bereits. Zwischen zehn oder 15 Prozent der Windenergie im Bundesstaat Texas kommt aus dem Permischen Becken. Außerdem gibt es eine große Solaranlage und mehrere andere werden im Perm-Becken gerade gebaut. Als jemand, der dort lebt, kann ich Ihnen sagen, dass der Wind sehr stark weht. Und es gibt viele wirklich große Landstücke, auf die die Sonne strahlt. Zudem gibt es das intellektuelle Kapital, Leute, die etwas von Energie verstehen und wissen, wie man Energie macht. Die Bedingungen sind reif für Winde- und Solarenergie. Einige der Ölfirmen nutzen Windenergie, um die Ölfelder mit Strom zu versorgen. Das Perm-Becken sollte auf jeden Fall ein Zentrum für alle Arten von Energie sein.
Das klingt nach einer rosigen Zukunft für die Region.
Danach sieht es gewiss aus. Die natürliche Ressourcen-Basis in einer Reihe von verschiedenen Bereichen ist vorhanden, um dies zu erreichen.