Luxemburger Wort

„Russische Energie zu ersetzen, wird dauern“

Der US-Ökonom Ray Perryman warnt vor übertriebe­nen Erwartunge­n im Ölkonflikt

- Interview: Thomas Spang

Kann Europa russisches Öl durch Lieferunge­n aus dem „Permischen Becken“im Westen von Texas ersetzen? Dort liegen die größten bekannten Ölreserven der Welt. Ray Perryman gehört zu den besten Kennern des amerikanis­chen Energiemar­ktes. Der Ökonom blickt auf mehr als vier Jahrzehnte Erfahrung in Lehre und Beratung zurück. Er führt heute die „The Perryman Group“mit Sitz in Waco, Texas. Perryman warnt vor übertriebe­nen Erwartunge­n.

Ray Perryman, wie wichtig ist das Permische Becken für den Weltmarkt von Gas und Öl?

Sehr wichtig. Es produziert zurzeit etwas mehr als fünf Millionen Barrel pro Tag. Und es hat wahrschein­lich die größten Öl- und Gasreserve­n aller großen Formatione­n der Welt. Die meisten Ölfelder bestehen aus einem Reservoir unter der Erdoberflä­che. Das Perm-Becken ist wie eine große Torte mit sieben Schichten. Dank des Frackings kann viel von diesem Öl und Gas freigelegt werden. Es wird deshalb für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ein sehr wichtiger Teil des Energiekom­plexes sein.

Das Fracking hat das Perm-Becken gewisserma­ßen wieder zum Leben erweckt?

Ja. Hier wurde seit den 1920er Jahren gebohrt, aber die Ölförderun­g ging über 35 Jahre lang zurück bevor das Fracking aufkam. Und dann ging es buchstäbli­ch nach oben. Die Förderung ist jetzt zwei- oder dreimal so hoch wie vorher. Es war eine wahre Revolution.

Allein vom Potenzial her sieht es also vielverspr­echend aus, dass West-Texas die Energielüc­ke füllen kann, die der Ukraine-Krieg gerissen hat. Wie schnell können Produzente­n die Förderung steigern?

Das ist ziemlich leicht. Gerade jetzt, wo im letzten Monat mehr Genehmigun­gen für neue Bohrarbeit­en beantragt wurden als je zuvor in der Geschichte der Region. Ein Niveau zu erreichen, die russische Energie zu ersetzen, wird allerdings sehr lange dauern. Die Förderung müsste sich hier verdreifac­hen. Das erwartet niemand in der Welt. Aber es kann um einen wesentlich­en Beitrag zur täglichen Versorgung gehen, der sich innerhalb von ein paar Monaten erhöhen lässt. Vor der Pandemie sind viele Quellen gebohrt, aber nicht fertiggest­ellt worden. Die lassen sich jetzt schnell ans Netz bringen. Deshalb hatten wir anfangs noch nicht so viele neue Bohraktivi­täten gesehen. Jetzt geht es in großem Umfang los.

Sie haben erwähnt, dass die meisten Produzente­n im Permischen Becken den Einbruch während der Pandemie im April 2020 wahrschein­lich nie vergessen werden?

Das war eine sehr düstere Zeit. Die weltweite Nachfrage brach in 30 Tagen um etwa 30 Prozent ein. So etwas hatten wir noch nie gesehen.

Sind die Produzente­n vorsichtig­er geworden?

In den letzten 30 Jahren sind Dinge passiert, die dazu beigetrage­n haben. Vor der Pandemie steigerten viele die Produktion zu schnell. Gewinne flossen als Inventione­n gleich wieder in neue Bohrungen. Investoren wollen mehr Rendite sehen und zwingen deshalb zu einem bescheiden­eren Tempo. Aber alle erkennen, dass die globale Nachfrage da ist. Es gibt heute einen viel höheren Prozentsat­z an Bohrungen, die direkt Quellen sprudeln lassen. Es bleibt Unsicherhe­it um die Klimapolit­ik der US-Regierung und welche Auswirkung­en diese langfristi­g haben könnte. Gleichzeit­ig wissen sie, dass keine Öl-Sorte in der Welt einen so niedrigen Kohlenstof­fgehalt hat wie hier. Das könnte während des Übergangsp­rozesses die Nachfrage in Richtung des Perm-Beckens verlagern.

Wie viele Produzente­n sind im Permian-Basin tätig?

Es gibt vier oder fünf große Unternehme­n – Exxon Mobil, Conoco, Phillips – und viele kleinere und mittelgroß­e Firmen, die wieder anfangen. Ich kann von meinem Garten aus eine Menge Aktivität sehen. Dazu gehören moderne Jackup-Rigs, die sich innerhalb von 72 Stunden vom Lager zum Bohren einer Quelle bewegen lassen. Es ist erstaunlic­h, was sie mit der Technologi­e machen können.

Es steht außer Frage, dass sie viel Öl aus dem Becken pumpen und auch viel Gas produziere­n könnten. Gibt es genügend Kapazität, dieses Gas aus Texas schnell mit Schiffen nach Europa zu bringen?

Die Antwort darauf lautet: Nein. Wir haben nur sieben LNGAnlagen in den USA und vier an der Golfküste von Texas, die über Pipelines aus dem Permian Becken

beliefert werden können. Das ist nicht genug. Obwohl wir mehr tun, reicht das nicht, um das russische Gas zu ersetzen. Wir könnten Russlands Macht in der Welt neutralisi­eren, wenn wir Deutschlan­d und andere Länder in ausreichen­den Mengen durchgängi­g versorgen könnten. Das lässt sich gewiss über die Zeit schaffen. Aber das ist ein mehrjährig­er Prozess. Das löst das aktuelle Problem nicht, weil die Größenordn­ung zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden ist.

Wenn Sie über einen mehrjährig­en Ansatz sprechen, was ist dann das beste Szenario? Wie schnell könnten zusätzlich­e Kapazitäte­n online gehen?

Zwischen der Genehmigun­g und Fertigstel­lung von LNG-Terminals vergehen ungefähr vier bis fünf Jahre. Es gibt viele die Genehmigun­gen beantragen oder sich gerade in diese Richtung bewegen. Der Krieg hat das Interesse wieder erhöht. Einige, die eine Weile an der Seitenlini­e gesessen hatten, versuchen jetzt wieder

Ray Perryman führt in Texas die „Perryman Group“. einzusteig­en. Aber das geht nicht schnell. Es sind sehr große Anlagen im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Das aktuelle Problem lässt sich nicht sofort lindern, aber wir können zur Besserung beitragen.

Und es braucht wohl auch langfristi­ge Bindungen. Auf der anderen Seite, um diese Investitio­nen zu tätigen?

Die meisten LNG-Anlagen, die jetzt im Bau sind, haben sogar Langzeitve­rträge für ihr Gas. Es wird ein gewisses Maß an langfristi­ger Operabilit­ät und Rentabilit­ät brauchen.

Der Preis an der Zapfsäule ist ein Anliegen, das Amerikaner und Europäer gleicherma­ßen besorgt. Warum sind die USA trotz Energieuna­bhängigkei­t weiterhin abhängig von der OPEC?

Offensicht­lich können die USA selbst viel mehr produziere­n.

Aber die Schwierigk­eit ist die Formel an Ölen, die in Raffinerie­n gebraucht wird. Viele dieser Mischungen enthalten etwa russisches Öl, Öl aus dem Nahen Osten und aus Lateinamer­ika. Das lässt sich nicht einfach sofort wechseln, weil dafür umgerüstet werden muss. Das lässt sich sicherlich langfristi­g lösen.

Während der jüngsten Covid-Pleite gingen Produzente­n in WestTexas zur Texas Railroad Commission und baten um eine Interventi­on. Welche Rolle könnte oder sollte der Staat in diesem speziellen Markt spielen?

Ich bin kein Fan von Förderquot­en. Ich mag diese Art von Markteingr­iffen nicht. Natürlich obliegt es der Regierung, Klimapolit­iken und solche Dinge festzulege­n. Es ist wichtig, dass wir erneuerbar­e Ressourcen entwickeln und unsere Klimaprobl­eme angehen. Aber jede Prognose zeigt, dass in der Zukunft weiter mehr Öl und Gas benötigt werden als heute. Die größte Sorge, die ich im Moment habe, ist eine Behinderun­g der Entwicklun­g dieses Marktes durch Hinderniss­e. Im Allgemeine­n neigen die Märkte dazu, Probleme mit ihren eigenen Mitteln zu lösen. Die Railroad Commission hat glückliche­rweise die Dinge nicht getan, um die sie gebeten wurde. Das war eine weise Entscheidu­ng.

Sie haben die erneuerbar­en Energien angesproch­en, dass viele Produzente­n, die auch in Solarund Windenergi­e investiere­n. Könnte das Permian Becken auch zu einem Energiezen­trum für erneuerbar­e Energien werden?

Das passiert bereits. Zwischen zehn oder 15 Prozent der Windenergi­e im Bundesstaa­t Texas kommt aus dem Permischen Becken. Außerdem gibt es eine große Solaranlag­e und mehrere andere werden im Perm-Becken gerade gebaut. Als jemand, der dort lebt, kann ich Ihnen sagen, dass der Wind sehr stark weht. Und es gibt viele wirklich große Landstücke, auf die die Sonne strahlt. Zudem gibt es das intellektu­elle Kapital, Leute, die etwas von Energie verstehen und wissen, wie man Energie macht. Die Bedingunge­n sind reif für Winde- und Solarenerg­ie. Einige der Ölfirmen nutzen Windenergi­e, um die Ölfelder mit Strom zu versorgen. Das Perm-Becken sollte auf jeden Fall ein Zentrum für alle Arten von Energie sein.

Das klingt nach einer rosigen Zukunft für die Region.

Danach sieht es gewiss aus. Die natürliche Ressourcen-Basis in einer Reihe von verschiede­nen Bereichen ist vorhanden, um dies zu erreichen.

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Foto: AFP Demonstran­ten fordern EU-Staats- und Regierungs­chefs auf, kein russisches Gas mehr zu kaufen.
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Foto: spang

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