Mut und Geduld
Der beinamputierte Fritz Kretzschmar ist einer der besonderen Läufer beim ING Night Marathon
Während beim ING Night Marathon viele Augen auf Gewinner Ezekiel Kiprop Koech gerichtet sind, macht Fritz Kretzschmar in aller Ruhe sein Ding. Auf den ersten Blick sind die 48'28'' für die fünf Kilometer nichts Besonderes, beim genaueren Hinschauen zeichnet sich ein anderes Bild. Denn der Deutsche läuft mit einer Beinprothese in Luxemburg mit.
„Rund um das Expo-Gelände war Stunden vorher schon eine super Stimmung. Fast überall standen Zuschauer und an vielen Ecken standen Bands, Musiker oder DJs. Die absolute Krönung war der Zieleinlauf in der Box. Jeder Läufer wurde einfach nur gefeiert“, schilderte der 45-Jährige seine Eindrücke vom Samstag. Er war stolz, dass er den Lauf unter schwierigen Umständen ins Ziel gebracht hat. Es war eine weitere Etappe auf seinem Weg zu mehr Normalität.
„Als Amputierter Sport zu treiben, ist sehr anstrengend. Ich darf nie vergessen, dass ich 60 bis 80 Prozent mehr Kraft verbrauche“, erläutert Kretzschmar. Dass er überhaupt noch Laufen kann, verdankt er einer ganz schwierigen Entscheidung.
Bakterien im Knie
2004 gelangten bei einer RoutineOperation an den Krampfadern Keime in das Knie. Die Bakterien waren über Jahre für septische Schübe verantwortlich, auch mit Blutvergiftungen hatte Kretzschmar zu kämpfen. Nach mehr als 30 Operationen entschied er sich zur Amputation über dem rechten Kniegelenk. „Es war eine schnelle Entscheidung, aber sicherlich keine einfache“, sagt er. „Ich wusste, was auf mich zukommt. Aber als ich aufgewacht bin und mein Bein war weg, das war schon ein sehr seltsames Gefühl.“
Kretzschmar musste zuerst wieder Gehen lernen. Als irgendwann sogar Wanderungen wieder möglich waren, liebäugelte der Deutsche, der mit seiner Frau und zwei Kindern im rheinland-pfälzischen Manderscheid lebt, mit einer Sportprothese. Mittlerweile trainiert er seit rund einem Jahr mit dem Sportbein – und macht stetig Fortschritte.
Ende März brauchte Kretzschmar beim Schweicher Fährturmlauf 50'36'' für die fünf Kilometer. „Es ist sehr kraftraubend, weil der Muskel im Oberschenkel schnell ermüdet. Vor allem bergauf fehlt häufig die Kraft“, erklärt er. „Man muss viel Impuls reingeben, damit die Prothese das umsetzen kann. Dafür muss ich viel trainieren.“
Neben den Läufen, meistens nach dem Feierabend, absolviert Kretzschmar ein regelmäßiges Stabilisationstraining in Bitburg und besucht eine Para-Breitensportgruppe in Leverkusen. Wenn er weiter so große Fortschritte macht, will der 45-Jährige die AchtKilometer-Strecke anpeilen.
Neues Material in Planung
Obwohl der ING Night Marathon für sein Ambiente bekannt ist, hatte Kretzschmar in diesem Jahr zum ersten Mal von dem Lauf im Großherzogtum gehört. „Mir war nicht klar, dass das so eine große Veranstaltung ist. Dementsprechend habe ich mich gefreut, hatte aber auch ein bisschen Bammel.“
Dennoch war das Rennen nicht Kretzschmars erste sportliche Erfahrung in Luxemburg. Denn der letzte Lauf, den der Deutsche vor seiner Erkrankung absolvierte, fand in Grevenmacher statt. Dass er nun wieder seinen Hobbys nachgehen kann, ist kaum hoch genug zu bewerten. „Ich habe mir schon während der Krankheit Gedanken gemacht, ob das mit Familie und Haus alles so funktioniert. Umso glücklicher bin ich jetzt. Ich habe sehr viel Lebensqualität hinzugewonnen.“
Parallel laufen bereits die Planungen für die nächsten Wettkämpfe. Auch das Material soll überarbeitet werden. Kretzschmar will von der deutschen Firma Ottobock auf eine Sportfeder eines isländischen Herstellers umsteigen. „In solch einer Lebenssituation braucht man Mut und Geduld“, verrät Kretzschmar. „Man sollte ehrlich zu sich selbst sein, aber dennoch nie aufgeben.“
Als ich aufgewacht bin und mein Bein war weg, das war schon ein sehr seltsames Gefühl. Fritz Kretzschmar