Mehr als nur 24 Stunden
Die Stadt Le Mans bietet nicht nur Autorennen – auch geschichtsträchtige Orte laden zum Verweilen ein
Wer Le Mans sagt, nennt im gleichen Atemzug in aller Regel auch „24 Stunden“und spricht dabei von einem der bekanntesten Autorennen der Welt. Der Ruf als Mekka der Automobilfans stellt die anderen Anziehungspunkte der Stadt in den Schatten. Dabei hat die Hauptstadt des Departements Sarthe beträchtlich mehr zu bieten als einige Kilometer Asphalt.
Dem Namen Plantagenêt etwa begegnet man in Le Mans auf Schritt und Tritt. Er führt bis ins 12. Jahrhundert zurück. Als Gründer der Herrscherdynastie Plantagenêt gilt gemeinhin Geoffroy der Schöne, Graf von Anjou. Sämtliche zeitgenössischen Malereien zeigen ihn mit einem Ginsterzweig geschmückt, was den Namen „Plantagenêt“erklärt. Was jedoch nicht einwandfrei überliefert ist, ist die Ursache, warum er sich entsprechend schmückte. Auch wenn die Herrschaft der Plantagenêt nur ein gutes Jahrhundert dauerte, so haben sie trotzdem einige berühmte Namen hervorgebracht. Der wohl bekannteste Name jedoch dürfte Richard Löwenherz sein, ein Enkel des Gründers.
Plantagenêts überall
Die Cité Plantagenêt gilt als Seele der Stadt. Um sie zu verstehen, muss man sich zunächst die geografische Lage der Stadt vergegenwärtigen. Am Ufer des Flusses Sarthe erstreckt sich ein natürliches Felsplateau, das schon zu Römerzeiten befestigt war. Die Festungsmauer ist heute noch sichtbar. Dort oben hat sich dann im Laufe der Jahrhunderte die Cité breitgemacht. Die alten Fachwerkhäuser sind größtenteils erhalten, ebenso wie die schmalen, gepflasterten Gassen. Wegen ihrer Authentizität eignen sie sich bestens für historische Filmaufnahmen, was denn auch dazu führt, dass regelmäßig Filme wie zuvor schon „Cyrano de Bergerac“oder „Der Mann mit der eisernen Maske“hier gedreht werden.
Beim Schlendern durch die Gassen fallen einige bemerkenswerte Häuser auf. Da wäre das Eckhaus mit dem roten Pfeiler, schräg gegenüber das Haus mit dem grünen Pfeiler und noch etwas weiter der blaue Pfeiler. Die verschiedenen Farben gehen einher mit der Handwerkerzunft, die dort untergebracht war. Und weil seinerzeit Adressen nicht üblich waren, haben die Pfeiler auch dazu gedient, sich in den Gassen zurechtzufinden. So war das dritte Haus beim grünen Pfeiler schnell auszumachen oder das vierte beim roten Pfeiler.
Daneben bemerkt man schnell einige merkwürdige Straßennamen. Die „Rue de la Truie qui File“nimmt darunter eine Sonderstellung ein. Was es mit „der Sau, die abhaut“auf sich hat, soll mit einer lokalen Spezialität zusammenhängen: In dem Viertel war früher die Metzgerzunft untergebracht, wie die „Rue des Bouchers“und auch die „Rue des Poules“bezeugen. Und dass dann von Zeit zu Zeit auch mal eine Sau vor ihrem Schicksal flüchten wollte, hat die
Gasse ihren Namen zu verdanken. So besagt es zumindest die Legende. Wobei das wiederum bei der lokalen Spezialität, den „Rillettes“, keine echte Überraschung sein dürfte. Diese Fleischpaste wird aus gekochtem Schweinefleisch zubereitet und eignet sich als Vorspeise oder als Brotaufstrich.
Pferde für die Müllabfuhr
Die Gassen sind so schmal, dass die Gemeinde beschlossen hat, die Müllabfuhr auf eine ganz ungewöhnliche Art zu organisieren. Anstatt auf Abfallwagen zurückzugreifen, kommen Pferdekutschen zum Einsatz, die entsprechend ausgerüstet sind. Das Geklapper der Hufe auf dem Pflaster kündigt daher die nahende Müllentsorgung an. Auffallend ist auch ein breiter Graben, der die Cité teilt. Weil im 17. Jahrhundert die Bevölkerung zunahm und nicht mehr genügend Platz auf dem Felsplateau war, hat man kurzerhand einen Durchbruch hineingesprengt, um die neu wachsenden Stadtteile beidseits des Plateaus miteinander zu verbinden.
Die Kathedrale Saint Julien ist dagegen ein architektonisches Lehrstück und kann es an Größe und geschichtlicher Substanz ohne Weiteres mit den bekannteren Bauten aus Reims, Chartres oder Straßburg aufnehmen. Eine erste Kirche wurde am jetzigen Standort im 11. Jahrhundert erbaut. Im Laufe der Zeit wurde sie mehrmals erweitert und vergrößert. Dabei musste sogar die Festungsmauer verlegt werden, um die Ausdehnung zu ermöglichen.
Eine Besonderheit stellen die 41 musizierenden Engel dar, die an der Decke einer Muttergotteskapelle aufgemalt sind, die etwas versteckt hinter dem Chor zu finden ist. Die Darstellungen sind nicht nur von künstlerischem Interesse:
Sie sind auch für Musikhistoriker besonders wertvoll, denn jeder Engel hält entweder Instrumente oder Partituren in Händen – und gibt auf diese Art Auskunft über die Musik aus vergangenen Zeiten. Ein Gottesbote gibt dabei den Forschern noch Rätsel auf: Er hält ein Instrument in Händen, bei dem es bis heute nicht gelungen ist, herauszufinden, wie es gespielt wurde und welche Laute es von sich gab.
Die grüne Lunge der Stadt
Auch außerhalb der Stadt haben die Plantagenêts ihre Spuren hinterlassen. Bérengère von Navarra, die Witwe von Richard Löwenherz, hat vor ihren Toren ein Kloster gegründet, in dem sie auch beerdigt wurde. Heute ist die „Abbaye de l’Epau“das Herzstück eines kulturellen Begegnungsortes, der gleichzeitig mit seinen weitläufigen Grünanlagen zum Verweilen einlädt. Entspannung bietet auch das benachbarte Erholungsgebiet, das den Namen „Arche de la Nature“trägt. Mit einer Fläche von 500 Hektar gilt es als „grüne Lunge“der Stadt. Mit den drei Schwerpunkten Erde, Wald und Wasser wird in entsprechenden Häusern den Besuchern der richtige Umgang mit den lebenswichtigen Naturelementen nahegebracht.
Für Autos, Motorräder und Laster Und dann wäre da trotz allem doch noch das Autorennen. Auf der geschlossenen Strecke innerhalb des Rings gibt es verschiedene Rundstrecken. Die Bekannteste unter diesen, die nur drei Mal im Jahr geöffnet wird, verläuft größtenteils über öffentliche Straßen. Die „24 Stunden von Le Mans“gibt es in drei Ausführungen: für Autos, Motorräder und Laster. Auch wenn Start und Zielgerade im Innern des Circuit liegen, so sind die bekanntesten Teile jedoch außerhalb und können von jedem befahren werden.
Dort, wo im Alltag auf der langgezogenen Landstraße D338 ein
Kreisverkehr für flüssigen Verkehr sorgt, bremst während des Autorennens eine Schikane die Boliden ab. Wenn im Alltag 90 Stundenkilometer das Höchste der Gefühle sind, so brettern die Rennwagen mit über 300 Sachen über die Gerade von „Hunaudières“. Nur die doppelreihigen Leitplanken auf der geraden Strecke sowie die teilweise meterhohen Abzäunungen lassen erahnen, dass es hier nicht immer so ruhig zugeht. Um die Strecke vorzubereiten und zu sichern, wird sie für den normalen Verkehr zwei Tage vor dem Event gesperrt. Die diesjährige Auflage des Autorennens findet am Wochenende des 12. Juni statt.
Die Plantagenêt haben einige berühmte Namen hervorgebracht.