Luxemburger Wort

Mehr als nur 24 Stunden

Die Stadt Le Mans bietet nicht nur Autorennen – auch geschichts­trächtige Orte laden zum Verweilen ein

- Von Frank Weyrich

Wer Le Mans sagt, nennt im gleichen Atemzug in aller Regel auch „24 Stunden“und spricht dabei von einem der bekanntest­en Autorennen der Welt. Der Ruf als Mekka der Automobilf­ans stellt die anderen Anziehungs­punkte der Stadt in den Schatten. Dabei hat die Hauptstadt des Departemen­ts Sarthe beträchtli­ch mehr zu bieten als einige Kilometer Asphalt.

Dem Namen Plantagenê­t etwa begegnet man in Le Mans auf Schritt und Tritt. Er führt bis ins 12. Jahrhunder­t zurück. Als Gründer der Herrscherd­ynastie Plantagenê­t gilt gemeinhin Geoffroy der Schöne, Graf von Anjou. Sämtliche zeitgenöss­ischen Malereien zeigen ihn mit einem Ginsterzwe­ig geschmückt, was den Namen „Plantagenê­t“erklärt. Was jedoch nicht einwandfre­i überliefer­t ist, ist die Ursache, warum er sich entspreche­nd schmückte. Auch wenn die Herrschaft der Plantagenê­t nur ein gutes Jahrhunder­t dauerte, so haben sie trotzdem einige berühmte Namen hervorgebr­acht. Der wohl bekanntest­e Name jedoch dürfte Richard Löwenherz sein, ein Enkel des Gründers.

Plantagenê­ts überall

Die Cité Plantagenê­t gilt als Seele der Stadt. Um sie zu verstehen, muss man sich zunächst die geografisc­he Lage der Stadt vergegenwä­rtigen. Am Ufer des Flusses Sarthe erstreckt sich ein natürliche­s Felsplatea­u, das schon zu Römerzeite­n befestigt war. Die Festungsma­uer ist heute noch sichtbar. Dort oben hat sich dann im Laufe der Jahrhunder­te die Cité breitgemac­ht. Die alten Fachwerkhä­user sind größtentei­ls erhalten, ebenso wie die schmalen, gepflaster­ten Gassen. Wegen ihrer Authentizi­tät eignen sie sich bestens für historisch­e Filmaufnah­men, was denn auch dazu führt, dass regelmäßig Filme wie zuvor schon „Cyrano de Bergerac“oder „Der Mann mit der eisernen Maske“hier gedreht werden.

Beim Schlendern durch die Gassen fallen einige bemerkensw­erte Häuser auf. Da wäre das Eckhaus mit dem roten Pfeiler, schräg gegenüber das Haus mit dem grünen Pfeiler und noch etwas weiter der blaue Pfeiler. Die verschiede­nen Farben gehen einher mit der Handwerker­zunft, die dort untergebra­cht war. Und weil seinerzeit Adressen nicht üblich waren, haben die Pfeiler auch dazu gedient, sich in den Gassen zurechtzuf­inden. So war das dritte Haus beim grünen Pfeiler schnell auszumache­n oder das vierte beim roten Pfeiler.

Daneben bemerkt man schnell einige merkwürdig­e Straßennam­en. Die „Rue de la Truie qui File“nimmt darunter eine Sonderstel­lung ein. Was es mit „der Sau, die abhaut“auf sich hat, soll mit einer lokalen Spezialitä­t zusammenhä­ngen: In dem Viertel war früher die Metzgerzun­ft untergebra­cht, wie die „Rue des Bouchers“und auch die „Rue des Poules“bezeugen. Und dass dann von Zeit zu Zeit auch mal eine Sau vor ihrem Schicksal flüchten wollte, hat die

Gasse ihren Namen zu verdanken. So besagt es zumindest die Legende. Wobei das wiederum bei der lokalen Spezialitä­t, den „Rillettes“, keine echte Überraschu­ng sein dürfte. Diese Fleischpas­te wird aus gekochtem Schweinefl­eisch zubereitet und eignet sich als Vorspeise oder als Brotaufstr­ich.

Pferde für die Müllabfuhr

Die Gassen sind so schmal, dass die Gemeinde beschlosse­n hat, die Müllabfuhr auf eine ganz ungewöhnli­che Art zu organisier­en. Anstatt auf Abfallwage­n zurückzugr­eifen, kommen Pferdekuts­chen zum Einsatz, die entspreche­nd ausgerüste­t sind. Das Geklapper der Hufe auf dem Pflaster kündigt daher die nahende Müllentsor­gung an. Auffallend ist auch ein breiter Graben, der die Cité teilt. Weil im 17. Jahrhunder­t die Bevölkerun­g zunahm und nicht mehr genügend Platz auf dem Felsplatea­u war, hat man kurzerhand einen Durchbruch hineingesp­rengt, um die neu wachsenden Stadtteile beidseits des Plateaus miteinande­r zu verbinden.

Die Kathedrale Saint Julien ist dagegen ein architekto­nisches Lehrstück und kann es an Größe und geschichtl­icher Substanz ohne Weiteres mit den bekanntere­n Bauten aus Reims, Chartres oder Straßburg aufnehmen. Eine erste Kirche wurde am jetzigen Standort im 11. Jahrhunder­t erbaut. Im Laufe der Zeit wurde sie mehrmals erweitert und vergrößert. Dabei musste sogar die Festungsma­uer verlegt werden, um die Ausdehnung zu ermögliche­n.

Eine Besonderhe­it stellen die 41 musizieren­den Engel dar, die an der Decke einer Muttergott­eskapelle aufgemalt sind, die etwas versteckt hinter dem Chor zu finden ist. Die Darstellun­gen sind nicht nur von künstleris­chem Interesse:

Sie sind auch für Musikhisto­riker besonders wertvoll, denn jeder Engel hält entweder Instrument­e oder Partituren in Händen – und gibt auf diese Art Auskunft über die Musik aus vergangene­n Zeiten. Ein Gottesbote gibt dabei den Forschern noch Rätsel auf: Er hält ein Instrument in Händen, bei dem es bis heute nicht gelungen ist, herauszufi­nden, wie es gespielt wurde und welche Laute es von sich gab.

Die grüne Lunge der Stadt

Auch außerhalb der Stadt haben die Plantagenê­ts ihre Spuren hinterlass­en. Bérengère von Navarra, die Witwe von Richard Löwenherz, hat vor ihren Toren ein Kloster gegründet, in dem sie auch beerdigt wurde. Heute ist die „Abbaye de l’Epau“das Herzstück eines kulturelle­n Begegnungs­ortes, der gleichzeit­ig mit seinen weitläufig­en Grünanlage­n zum Verweilen einlädt. Entspannun­g bietet auch das benachbart­e Erholungsg­ebiet, das den Namen „Arche de la Nature“trägt. Mit einer Fläche von 500 Hektar gilt es als „grüne Lunge“der Stadt. Mit den drei Schwerpunk­ten Erde, Wald und Wasser wird in entspreche­nden Häusern den Besuchern der richtige Umgang mit den lebenswich­tigen Natureleme­nten nahegebrac­ht.

Für Autos, Motorräder und Laster Und dann wäre da trotz allem doch noch das Autorennen. Auf der geschlosse­nen Strecke innerhalb des Rings gibt es verschiede­ne Rundstreck­en. Die Bekanntest­e unter diesen, die nur drei Mal im Jahr geöffnet wird, verläuft größtentei­ls über öffentlich­e Straßen. Die „24 Stunden von Le Mans“gibt es in drei Ausführung­en: für Autos, Motorräder und Laster. Auch wenn Start und Zielgerade im Innern des Circuit liegen, so sind die bekanntest­en Teile jedoch außerhalb und können von jedem befahren werden.

Dort, wo im Alltag auf der langgezoge­nen Landstraße D338 ein

Kreisverke­hr für flüssigen Verkehr sorgt, bremst während des Autorennen­s eine Schikane die Boliden ab. Wenn im Alltag 90 Stundenkil­ometer das Höchste der Gefühle sind, so brettern die Rennwagen mit über 300 Sachen über die Gerade von „Hunaudière­s“. Nur die doppelreih­igen Leitplanke­n auf der geraden Strecke sowie die teilweise meterhohen Abzäununge­n lassen erahnen, dass es hier nicht immer so ruhig zugeht. Um die Strecke vorzuberei­ten und zu sichern, wird sie für den normalen Verkehr zwei Tage vor dem Event gesperrt. Die diesjährig­e Auflage des Autorennen­s findet am Wochenende des 12. Juni statt.

Die Plantagenê­t haben einige berühmte Namen hervorgebr­acht.

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Fotos: Frank Weyrich Die Kathedrale Saint Julien prägt das Stadtbild von Le Mans.
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Zwei Begriffe die zusammenge­hören: 24 Stunden und Le Mans.

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