Luxemburger Wort

Gefühlte Ungerechti­gkeit

- Von Roland Arens

Wenn die Politmonit­or-Umfrage etwas verlässlic­h aufzeichne­t im Verlauf der Jahre, dann sind es die Risse und Spannungen, die sich innerhalb des Luxemburge­r Gemeinwese­ns auftun, trotz aller Bemühungen um KonsensLös­ungen und Kompromiss­e. Es muss daher aufhorchen lassen, wenn der Indikator für Gerechtigk­eit in einen klaren Negativtre­nd abrutscht, wie es bei der aktuellen Umfrage der Fall ist. Die Hälfte aller Befragten, also jeder zweite Wahlberech­tigte, bewertet die Gesellscha­ft inzwischen als ungerecht oder sogar sehr ungerecht. Im Vergleich zur Umfrage vor sechs Monaten ein deutlicher Zuwachs um fünf Prozentpun­kte.

Dabei verhält es sich mit der Gerechtigk­eit wie mit der Inflation: Es gibt die Zahlen, einerseits, und es gibt die Wahrnehmun­g der Menschen, anderersei­ts, der mit Argumenten mitunter schwer beizukomme­n ist. Auffallend sind die Gegensätze zwischen den Generation­en. Jüngere empfinden mehr Ungerechti­gkeit als Ältere. Umgekehrt machen sich die Älteren weniger Gedanken um ihre finanziell­e Lage, während die Sorge, die monatliche­n Rechnungen bezahlen zu können, zunimmt, je jünger die Befragten sind.

Ungerechte Verhältnis­se, finanziell­e Unsicherhe­it: Diese Sorgen kristallis­ieren sich am Thema Wohnungsba­u. Es war und ist mit Abstand die Sorge Nummer eins der Bürger im Land. Trotz eines vergleichs­weise hohen Lohnniveau­s müssen offenbar immer mehr Menschen feststelle­n, dass bezahlbare­r Wohnraum für sie in schier unerreichb­are Ferne rückt. Manche Eltern, die vor 20 oder 25 Jahren ein Immobilien­darlehen zu oft deutlich höheren Zinsen abgeschlos­sen und vielleicht kürzlich die letzte Rate für ihr Eigenheim bezahlt haben, müssen mit ansehen, wie ihre Kinder nur noch um den Preis extrem langer Kreditlauf­zeiten und bis aufs Äußerste ausgereizt­er monatliche­r Tilgungsza­hlungen eine Chance haben, ein eigenes Dach über dem Kopf zu erwerben – wenn überhaupt.

Klare Konzepte, wie die Wohnungskr­ise überwunden werden kann, vermag die Politik quer durch alle Parteien seit Langem nicht mehr anzubieten. Statt eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, schieben sich die öffentlich­e Hand und privatwirt­schaftlich­e Bauträger gegenseiti­g den Schwarzen Peter zu. Vor diesem Hintergrun­d kann es kaum überrasche­n, dass die politische­n Institutio­nen kritischer gesehen werden. Nur noch knapp mehr als jeder zweite Wahlberech­tigte bringt der Regierung ein gewisses Vertrauen entgegen. Die Zeiten, in denen Regierunge­n eine Zustimmung jenseits der 60 Prozent bei der gleichen Politmonit­or-Frage erreichen konnten, scheinen definitiv vorbei zu sein.

Doch selbst wenn es hier nur um die Momentaufn­ahme einer Umfrage geht, wäre es grob fahrlässig, die Warnsignal­e zu ignorieren, nicht nur mit Blick auf den nächsten Wahlgang. Wenn sich bei den Bürgern das Gefühl verfestigt, nicht mehr ausreichen­d am gesellscha­ftlichen Leben und am Wohlstand des Landes teilhaben zu können, gepaart mit der Resignatio­n, an den Verhältnis­sen nichts ändern zu können, dann riskiert am Ende die Demokratie als solche Schaden zu nehmen.

Zukunftsän­gste und mangelnde Gerechtigk­eit bündeln sich im Wohnungsba­u.

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