Gefühlte Ungerechtigkeit
Wenn die Politmonitor-Umfrage etwas verlässlich aufzeichnet im Verlauf der Jahre, dann sind es die Risse und Spannungen, die sich innerhalb des Luxemburger Gemeinwesens auftun, trotz aller Bemühungen um KonsensLösungen und Kompromisse. Es muss daher aufhorchen lassen, wenn der Indikator für Gerechtigkeit in einen klaren Negativtrend abrutscht, wie es bei der aktuellen Umfrage der Fall ist. Die Hälfte aller Befragten, also jeder zweite Wahlberechtigte, bewertet die Gesellschaft inzwischen als ungerecht oder sogar sehr ungerecht. Im Vergleich zur Umfrage vor sechs Monaten ein deutlicher Zuwachs um fünf Prozentpunkte.
Dabei verhält es sich mit der Gerechtigkeit wie mit der Inflation: Es gibt die Zahlen, einerseits, und es gibt die Wahrnehmung der Menschen, andererseits, der mit Argumenten mitunter schwer beizukommen ist. Auffallend sind die Gegensätze zwischen den Generationen. Jüngere empfinden mehr Ungerechtigkeit als Ältere. Umgekehrt machen sich die Älteren weniger Gedanken um ihre finanzielle Lage, während die Sorge, die monatlichen Rechnungen bezahlen zu können, zunimmt, je jünger die Befragten sind.
Ungerechte Verhältnisse, finanzielle Unsicherheit: Diese Sorgen kristallisieren sich am Thema Wohnungsbau. Es war und ist mit Abstand die Sorge Nummer eins der Bürger im Land. Trotz eines vergleichsweise hohen Lohnniveaus müssen offenbar immer mehr Menschen feststellen, dass bezahlbarer Wohnraum für sie in schier unerreichbare Ferne rückt. Manche Eltern, die vor 20 oder 25 Jahren ein Immobiliendarlehen zu oft deutlich höheren Zinsen abgeschlossen und vielleicht kürzlich die letzte Rate für ihr Eigenheim bezahlt haben, müssen mit ansehen, wie ihre Kinder nur noch um den Preis extrem langer Kreditlaufzeiten und bis aufs Äußerste ausgereizter monatlicher Tilgungszahlungen eine Chance haben, ein eigenes Dach über dem Kopf zu erwerben – wenn überhaupt.
Klare Konzepte, wie die Wohnungskrise überwunden werden kann, vermag die Politik quer durch alle Parteien seit Langem nicht mehr anzubieten. Statt eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, schieben sich die öffentliche Hand und privatwirtschaftliche Bauträger gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass die politischen Institutionen kritischer gesehen werden. Nur noch knapp mehr als jeder zweite Wahlberechtigte bringt der Regierung ein gewisses Vertrauen entgegen. Die Zeiten, in denen Regierungen eine Zustimmung jenseits der 60 Prozent bei der gleichen Politmonitor-Frage erreichen konnten, scheinen definitiv vorbei zu sein.
Doch selbst wenn es hier nur um die Momentaufnahme einer Umfrage geht, wäre es grob fahrlässig, die Warnsignale zu ignorieren, nicht nur mit Blick auf den nächsten Wahlgang. Wenn sich bei den Bürgern das Gefühl verfestigt, nicht mehr ausreichend am gesellschaftlichen Leben und am Wohlstand des Landes teilhaben zu können, gepaart mit der Resignation, an den Verhältnissen nichts ändern zu können, dann riskiert am Ende die Demokratie als solche Schaden zu nehmen.
Zukunftsängste und mangelnde Gerechtigkeit bündeln sich im Wohnungsbau.