Luxemburger Wort

„Man kann nicht mit Terroriste­n verhandeln“

Die ukrainisch­e Vize-Außenminis­terin Emine Dschaparow­a glaubt nicht an eine diplomatis­che Lösung mit Wladimir Putin

- Von Michael Merten

Ob sie ein Glas Wasser trinken möchte, fragt ein Mitarbeite­r der ukrainisch­en Botschaft in Luxemburg den Ehrengast. Doch seine Vize-Außenminis­terin Emine Dschaparow­a verneint: Sie habe ihren eigenen Cocktail dabei – und zeigt auf ein Regal im Hintergrun­d des Besprechun­gsraumes in einem Hotel in Luxemburg-Stadt. Dort steht ein roter Kunststoff-Shaker, wie er in Fitnessstu­dios üblich ist; darin hat sich Dschaparow­a einen Vitamin-Cocktail gemixt, um fit zu bleiben angesichts ihres strapaziös­en Alltags.

Seit dem russischen Angriff auf ihr Land ist die Stellvertr­eterin von Außenminis­ter Dmytro Kuleba noch deutlich mehr als zuvor unterwegs, in diesen Tagen etwa, parallel zur Liveschalt­e ihres Präsidente­n in der Chamber, im Großherzog­tum. Früher konnte sie solche Termine komfortabe­l wahrnehmen, doch „jetzt haben wir diese Hölle der Logistik“, verrät sie im Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“und wort.fr.

Denn der Flugbetrie­b ist eingestell­t. „Man muss mit dem Zug nach Polen fahren. Dann mit dem Auto oder dem Flugzeug weiter ... Das Einzige, was noch fehlt, ist ein Kamel“, sagt sie. Der Botschafts­mitarbeite­r muss lachen und wirft spontan ein: In einer Karawane. Daraufhin lacht auch Dschaparow­a und sagt: „Ich brauche ein persönlich­es Kamel ...“

Es ist ein kurzer Moment der Heiterkeit gleich zu Beginn eines einstündig­en Gesprächs, dessen weiterer Verlauf jedoch von tiefer Ernsthafti­gkeit geprägt sein wird. Denn seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar ist für die 39-Jährige nichts mehr, wie es vorher war.

Sehnsucht nach normalem Leben Während ihres Luxemburg-Besuchs habe sie ein bisschen Zeit gehabt und sei durch die Altstadt spaziert, erzählt Dschaparow­a. „Ich habe schicke Restaurant­s gesehen, Leute, die ihren Kaffee, Cocktail oder Wein genießen ... Ich habe dieses Gefühl des normalen Lebens wirklich vermisst.“Doch diese Normalität könne man von einem auf den anderen Moment verlieren. Die Ukrainerin spricht in sachlichem Tonfall, doch man spürt, wie sie von den gegenwärti­gen Verbrechen in ihrem Land bewegt ist. „Drei neunjährig­e Mädchen wurden vor den Augen ihrer Eltern vergewalti­gt, oder der zehn Monate alte Junge, der mit einer Kerze vergewalti­gt wurde.“Sie führt noch zahlreiche weitere furchtbare Beispiele an. „Das ist das, was wir einen Krieg nennen. Das ist es, was wir gerade durchmache­n.“

Dabei waren auch die Jahre zuvor sowohl politisch als auch persönlich sehr schwierige Zeiten für die Politikeri­n, die der ethnischen Minderheit der Krimtatare­n angehört. Der Krieg in der Ukraine begann nämlich nicht erst in diesem Jahr: Ihre Heimat, die ukrainisch­e Halbinsel Krim, ist schon seit 2014 von Russland besetzt. Auch in den Jahrzehnte­n und Jahrhunder­ten zuvor war die Krim ein Spielball der Zaren und Sowjetherr­scher gewesen. Stalin etwa ließ die Krimtatare­n 1944 deportiere­n; unzählige Menschen kamen dabei ums Leben. Auch Dschaparow­as Familie wurde vertrieben.

Die Diplomatin wurde am 5. Mai 1983 geboren. Wo, geht aus ihrem offizielle­n Lebenslauf nicht hervor. Ebenso wenig erfährt man in dem Dokument, dass sie die Sprache ihres Geburtslan­des spricht; Ukrainisch, Krimtatari­sch, Englisch, Türkisch und Spanisch sind als ihre Sprachkenn­tnisse angegeben. Freilich versteht die Diplomatin auch Russisch – allein, wie so viele ihrer Landsleute, will sie die Sprache der Aggressore­n nicht hören. Und nicht daran erinnert werden, dass sie in Krasnodar zur Welt kam, in einer russischen Großstadt.

Ein Fan des Präsidente­n

Dort lebten ihre Eltern, bis sie in der Spätphase der Sowjetunio­n mit der damals dreijährig­en Tochter auf die Krim zurückkehr­en konnten. Die Halbinsel wurde wieder zur Heimat für die Familie. Eine Heimat, die Dschaparow­a, die zu dem Zeitpunkt als Nachrichte­nsprecheri­n für einen TV-Sender der Krimtatare­n arbeitete, nach dem Angriff 2014 sofort verließ. Doch die Eltern blieben. „Mein Vater sagte: 'Ich habe meinen Preis für mein Heimatland bereits bezahlt.'“

Die Tochter, die bereits Jahre zuvor Internatio­nale Beziehunge­n in Kiew studiert hatte, ging in die Hauptstadt, arbeitete zunächst freiberufl­ich als Journalist­in, bis sie 2015 „mit einem Gefühl der Ungerechti­gkeit“zur Verwaltung kam. In verschiede­nen Ämtern erlebte sie den politische­n Aufstieg des vorherigen Schauspiel­ers Wolodymyr Selenskyj, der 2019 Staatsober­haupt wurde.

„Ich gehöre zur Fangruppe meines Präsidente­n“, sagt sie, denn dieser habe „in diesem historisch­en Moment eine entscheide­nde Rolle gespielt“. Sie verweist auf die Situation im Jahr 2014, „als meine Heimat, die Krim, besetzt wurde; da war ich sehr verzweifel­t. Niemand tut etwas, Kiew schweigt und die Welt schweigt.“

Damals habe es keine politische Führung gegeben. Doch als man Selenskyj im Februar aufgeforde­rt habe, sich außerhalb des Landes in Sicherheit zu bringen, blieb der Präsident in Kiew. „Das ist also der Moment, in dem er das Land zusammenge­führt hat.“Während der Liveschalt­e Selenskyjs am Donnerstag saß sie auf der Tribüne der Chamber. „Das Beeindruck­endste für mich war, als er das nationale Motto zitierte und sagte: Wir kämpfen für das, was wir sind. Das beschreibt genau das, wie ich mich persönlich fühle.“

Kämpfen bis zum Sieg

Russland habe offensicht­lich einen enormen militärisc­hen Vorteil gegenüber der Ukraine, betont Dschaparow­a. Deshalb müsse die Welt ihr Land mit Raketen, Artillerie­systemen und gepanzerte­n Fahrzeugen unterstütz­en. Ob Luxemburg genug Hilfe leiste? „Ich glaube, Premiermin­ister Bettel hat eine sehr starke Botschaft der Unterstütz­ung gegeben“, sagt die Diplomatin. Das beziehe sich etwa auf Unterstütz­ung für den EU-Beitrittsp­rozess, aber auch auf konkrete humanitäre Hilfe.

Dschaparow­a glaubt nicht daran, dass man den Ukraine-Krieg am Verhandlun­gstisch beenden kann, denn die Russen würden jeden Verhandlun­gsversuch als Schwäche ansehen. Zudem könne man dem Präsidente­n Wladimir Putin nicht trauen: „Man kann nicht mit einem Terroriste­n verhandeln“. Vielmehr müsse die Ukraine in die Lage versetzt werden, alle russisch besetzten Gebiete – einschließ­lich der Krim und des Donbass – zurückzuer­obern. Die territoria­le Integrität und Souveränit­ät seien für die große Mehrheit ihrer Landsleute nicht verhandelb­ar.

Die Diplomatin macht deutlich: „Das einzige Modell, das wir vorschlage­n, ist, meinem Land zum Sieg zu verhelfen. Und genau aus diesem Grund bin ich hier.“

Ich glaube, Premiermin­ister Bettel hat eine sehr starke Botschaft der Unterstütz­ung gegeben. Emine Dschaparow­a

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Foto: Luc Deflorenne Emine Dschaparow­a wuchs auf der Krim auf, die seit 2014 russisch besetzt ist.

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