„Man kann nicht mit Terroristen verhandeln“
Die ukrainische Vize-Außenministerin Emine Dschaparowa glaubt nicht an eine diplomatische Lösung mit Wladimir Putin
Ob sie ein Glas Wasser trinken möchte, fragt ein Mitarbeiter der ukrainischen Botschaft in Luxemburg den Ehrengast. Doch seine Vize-Außenministerin Emine Dschaparowa verneint: Sie habe ihren eigenen Cocktail dabei – und zeigt auf ein Regal im Hintergrund des Besprechungsraumes in einem Hotel in Luxemburg-Stadt. Dort steht ein roter Kunststoff-Shaker, wie er in Fitnessstudios üblich ist; darin hat sich Dschaparowa einen Vitamin-Cocktail gemixt, um fit zu bleiben angesichts ihres strapaziösen Alltags.
Seit dem russischen Angriff auf ihr Land ist die Stellvertreterin von Außenminister Dmytro Kuleba noch deutlich mehr als zuvor unterwegs, in diesen Tagen etwa, parallel zur Liveschalte ihres Präsidenten in der Chamber, im Großherzogtum. Früher konnte sie solche Termine komfortabel wahrnehmen, doch „jetzt haben wir diese Hölle der Logistik“, verrät sie im Interview mit dem „Luxemburger Wort“und wort.fr.
Denn der Flugbetrieb ist eingestellt. „Man muss mit dem Zug nach Polen fahren. Dann mit dem Auto oder dem Flugzeug weiter ... Das Einzige, was noch fehlt, ist ein Kamel“, sagt sie. Der Botschaftsmitarbeiter muss lachen und wirft spontan ein: In einer Karawane. Daraufhin lacht auch Dschaparowa und sagt: „Ich brauche ein persönliches Kamel ...“
Es ist ein kurzer Moment der Heiterkeit gleich zu Beginn eines einstündigen Gesprächs, dessen weiterer Verlauf jedoch von tiefer Ernsthaftigkeit geprägt sein wird. Denn seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar ist für die 39-Jährige nichts mehr, wie es vorher war.
Sehnsucht nach normalem Leben Während ihres Luxemburg-Besuchs habe sie ein bisschen Zeit gehabt und sei durch die Altstadt spaziert, erzählt Dschaparowa. „Ich habe schicke Restaurants gesehen, Leute, die ihren Kaffee, Cocktail oder Wein genießen ... Ich habe dieses Gefühl des normalen Lebens wirklich vermisst.“Doch diese Normalität könne man von einem auf den anderen Moment verlieren. Die Ukrainerin spricht in sachlichem Tonfall, doch man spürt, wie sie von den gegenwärtigen Verbrechen in ihrem Land bewegt ist. „Drei neunjährige Mädchen wurden vor den Augen ihrer Eltern vergewaltigt, oder der zehn Monate alte Junge, der mit einer Kerze vergewaltigt wurde.“Sie führt noch zahlreiche weitere furchtbare Beispiele an. „Das ist das, was wir einen Krieg nennen. Das ist es, was wir gerade durchmachen.“
Dabei waren auch die Jahre zuvor sowohl politisch als auch persönlich sehr schwierige Zeiten für die Politikerin, die der ethnischen Minderheit der Krimtataren angehört. Der Krieg in der Ukraine begann nämlich nicht erst in diesem Jahr: Ihre Heimat, die ukrainische Halbinsel Krim, ist schon seit 2014 von Russland besetzt. Auch in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor war die Krim ein Spielball der Zaren und Sowjetherrscher gewesen. Stalin etwa ließ die Krimtataren 1944 deportieren; unzählige Menschen kamen dabei ums Leben. Auch Dschaparowas Familie wurde vertrieben.
Die Diplomatin wurde am 5. Mai 1983 geboren. Wo, geht aus ihrem offiziellen Lebenslauf nicht hervor. Ebenso wenig erfährt man in dem Dokument, dass sie die Sprache ihres Geburtslandes spricht; Ukrainisch, Krimtatarisch, Englisch, Türkisch und Spanisch sind als ihre Sprachkenntnisse angegeben. Freilich versteht die Diplomatin auch Russisch – allein, wie so viele ihrer Landsleute, will sie die Sprache der Aggressoren nicht hören. Und nicht daran erinnert werden, dass sie in Krasnodar zur Welt kam, in einer russischen Großstadt.
Ein Fan des Präsidenten
Dort lebten ihre Eltern, bis sie in der Spätphase der Sowjetunion mit der damals dreijährigen Tochter auf die Krim zurückkehren konnten. Die Halbinsel wurde wieder zur Heimat für die Familie. Eine Heimat, die Dschaparowa, die zu dem Zeitpunkt als Nachrichtensprecherin für einen TV-Sender der Krimtataren arbeitete, nach dem Angriff 2014 sofort verließ. Doch die Eltern blieben. „Mein Vater sagte: 'Ich habe meinen Preis für mein Heimatland bereits bezahlt.'“
Die Tochter, die bereits Jahre zuvor Internationale Beziehungen in Kiew studiert hatte, ging in die Hauptstadt, arbeitete zunächst freiberuflich als Journalistin, bis sie 2015 „mit einem Gefühl der Ungerechtigkeit“zur Verwaltung kam. In verschiedenen Ämtern erlebte sie den politischen Aufstieg des vorherigen Schauspielers Wolodymyr Selenskyj, der 2019 Staatsoberhaupt wurde.
„Ich gehöre zur Fangruppe meines Präsidenten“, sagt sie, denn dieser habe „in diesem historischen Moment eine entscheidende Rolle gespielt“. Sie verweist auf die Situation im Jahr 2014, „als meine Heimat, die Krim, besetzt wurde; da war ich sehr verzweifelt. Niemand tut etwas, Kiew schweigt und die Welt schweigt.“
Damals habe es keine politische Führung gegeben. Doch als man Selenskyj im Februar aufgefordert habe, sich außerhalb des Landes in Sicherheit zu bringen, blieb der Präsident in Kiew. „Das ist also der Moment, in dem er das Land zusammengeführt hat.“Während der Liveschalte Selenskyjs am Donnerstag saß sie auf der Tribüne der Chamber. „Das Beeindruckendste für mich war, als er das nationale Motto zitierte und sagte: Wir kämpfen für das, was wir sind. Das beschreibt genau das, wie ich mich persönlich fühle.“
Kämpfen bis zum Sieg
Russland habe offensichtlich einen enormen militärischen Vorteil gegenüber der Ukraine, betont Dschaparowa. Deshalb müsse die Welt ihr Land mit Raketen, Artilleriesystemen und gepanzerten Fahrzeugen unterstützen. Ob Luxemburg genug Hilfe leiste? „Ich glaube, Premierminister Bettel hat eine sehr starke Botschaft der Unterstützung gegeben“, sagt die Diplomatin. Das beziehe sich etwa auf Unterstützung für den EU-Beitrittsprozess, aber auch auf konkrete humanitäre Hilfe.
Dschaparowa glaubt nicht daran, dass man den Ukraine-Krieg am Verhandlungstisch beenden kann, denn die Russen würden jeden Verhandlungsversuch als Schwäche ansehen. Zudem könne man dem Präsidenten Wladimir Putin nicht trauen: „Man kann nicht mit einem Terroristen verhandeln“. Vielmehr müsse die Ukraine in die Lage versetzt werden, alle russisch besetzten Gebiete – einschließlich der Krim und des Donbass – zurückzuerobern. Die territoriale Integrität und Souveränität seien für die große Mehrheit ihrer Landsleute nicht verhandelbar.
Die Diplomatin macht deutlich: „Das einzige Modell, das wir vorschlagen, ist, meinem Land zum Sieg zu verhelfen. Und genau aus diesem Grund bin ich hier.“
Ich glaube, Premierminister Bettel hat eine sehr starke Botschaft der Unterstützung gegeben. Emine Dschaparowa