Luxemburger Wort

Die Zeit läuft

Über schleppend­en Sozialdial­og, trübe Perspektiv­en und ein übereiltes Tripartite-Abkommen

- Von Marc Spautz *

Der Sozialdial­og ist eine der wichtigste­n Errungensc­haften der Luxemburge­r Politik. Umso mehr gilt es, dieses Instrument stetig zu pflegen. Umso mehr gilt es, die Sozialpart­ner auch dann an den gemeinsame­n Tisch zu bringen, wenn gerade keine Krise bewältigt werden muss.

Das Gegenteil war aber während der letzten Jahre der Fall. Der Sozialdial­og war verstummt, so als ob es keine Probleme gegeben hätte. Dabei gab es deren durchaus, doch wurden diese von der Regierung offenbar als nicht sonderlich dringlich eingestuft.

Und jetzt, wo die blau-grünrote Regierung von der Vergangenh­eit eingeholt wird und ihr die Probleme über den Kopf zu wachsen drohen, erinnert man sich plötzlich an das bewährte Instrument der Tripartite. Sie soll jetzt das richten, was über Jahre nicht gesehen wurde beziehungs­weise nicht gesehen werden durfte.

CSV forderte Regierung mehrfach zum Handeln auf

Es war die CSV, die die Regierung 2021 wiederholt – im Januar, im Mai und im Juli – per Motion in der Chamber auffordert­e, eine Tripartite einzuberuf­en. Es war die CSV, die 2021 wiederholt auf die am Energie-Horizont aufziehend­en dunklen Wolken aufmerksam machte. Und es war die CSV, die am 18. Oktober 2021 per Schreiben an den Parlaments­präsidente­n um eine Aktualität­sstunde zum Thema Energiearm­ut aufgrund steigender Öl-, Gas- und Strompreis­e bat.

Sechs weitere Monate gingen ins Land, ehe man sich auf Regierungs­seite zu einer Tripartite durchrang. Um ihr zögerliche­s Vorgehen zu tarnen, stellten die Mehrheitsp­arteien kurzerhand den Ukraine-Krieg als Ursache allen versorgeri­schen Übels ins Schaufenst­er. Dabei waren die steigenden Energie- und Rohstoffpr­eise sowie die daraus resultiere­nden höheren Preise für Lebensmitt­el und andere alltäglich­e Dinge längst keine Überraschu­ng mehr.

Die Dringlichk­eit gebot alsdann, dass man sich im Eil-Verfahren zu einem Abkommen durchrang – mit den Unterschri­ften der Präsidente­n von CGFP, LCGB und UEL und ohne jene der OGBL-Vorsitzend­en. Dieser Eile sind wohl auch die diversen Unzulängli­chkeiten des Tripartite-Textes geschuldet, die nicht nur bei den Vertretern der Opposition­sparteien für Stirnrunze­ln sorgen. Auch der Staatsrat tat sich schwer mit dem Text.

Seinen Empfehlung­en wird nun Folge geleistet, der entspreche­nde Gesetzentw­urf wird in zwei Teile gegliedert: Die Bestimmung­en zu den Mietzuschü­ssen erhalten eine gesonderte gesetzlich­e Grundlage.

CSV steht zur Tripartite

Die CSV bekennt sich weiter bedingungs­los zum Luxemburge­r Sozialdial­og und unterstütz­t auch das ausgearbei­tete Tripartite-Abkommen, allerdings nicht ohne schlüssige Antworten auf die aufgeworfe­nen Fragen. Die CSV kauft keine „Kaz am Sak“.

Weder hilfreich noch lösungsori­entiert sind in dieser Situation Aussagen wie jene von Wirtschaft­sminister Franz Fayot (LSAP), der neulich lapidar meinte, der Auszahlung­smechanism­us aufgeschob­ener IndexTranc­hen über die Parlaments­wahl 2023 hinaus sei Angelegenh­eit der kommenden Regierung. Derartige Plattitüde­n sind eines Wirtschaft­sministers, der dem Land kurzfristi­ge Lösungen und langfristi­ge Perspektiv­en aufzeigen soll, nicht würdig.

Keine Zwei-KlassenGes­ellschaft

Angesichts der aktuellen sozioökono­mischen Entwicklun­gen warnt die CSV vor dem Entstehen

einer Zwei-Klassen-Gesellscha­ft. Die ohnehin hohen Immobilien­preise in Kombinatio­n mit rasant steigenden Lebenshalt­ungskosten bilden den Nährboden für soziale Konflikte. Immer mehr Bürger in prekären Lebenslage­n – allen voran Alleinerzi­eher und kinderreic­he Familien – laufen Gefahr, unter die Schwelle der Armutsgren­ze zu rutschen.

Staatliche Finanzspri­tzen in Krisenzeit­en für Geringverd­iener sind kurzfristi­ge Maßnahmen zur Entschärfu­ng einer außerorden­tlichen Situation. Langfristi­g bedarf es aber einer Strategie zum Stoppen der Immobilien­preisspira­le. Die Entwicklun­g verdeutlic­ht eindrückli­ch, dass in diesem Land etwas schiefläuf­t. Wie erklärt sich beispielsw­eise die Fast-Verdopplun­g der Immobilien­preise innerhalb von nicht einmal zehn Jahren?

Seit 2013 leitet die aktuelle Koalition die Geschicke des Großherzog­tums. Von den vollmundig­en Vorhaben sind nur wenige Realität geworden. Noch beim RTL-Neujahrsin­terview 2019 sagte Premier Xavier Bettel (DP): „Ech kann Iech haut soen, datt ech alles wäert maachen, datt mir a 5 Joer e Land hunn, wou de Stau net den Alldag ass vun all Bierger, wou d’Wunnengspr­oblematik net d’Suerg ass vun all jonke Stot, wou d’Schéier tëschent aarm a räich net méi grouss ginn ass [...].“Dazu kann man heute sagen: Ziel verfehlt!

Immer weniger Bürger können sich das Wohnen im eigenen Land überhaupt noch leisten. Immer mehr Bürger werden zum „Frontalier“im eigenen Land, indem sie gezwungen sind, sich aus Kostengrün­den jenseits der Landesgren­zen anzusiedel­n.

Konsequenz­en durch Zins-Entwicklun­g

Es reicht nicht aus, Ankündigun­g an Ankündigun­g zu reihen und Analyse um Analyse in Auftrag zu geben. Es muss endlich gehandelt werden. Im Interesse der Wohnraumsu­chenden, aber auch im Interesse jener, die aufgrund der Niedrig-Zins-Politik der vergangene­n Jahre den Schritt zum Eigenheim gewagt haben. Diese Bevölkerun­gsgruppe, oftmals junge Familien, läuft jetzt Gefahr, durch ansteigend­e Zinsen in finanziell­e Schwierigk­eiten zu geraten.

Es ist demzufolge davon auszugehen, dass die eigentlich­en Probleme erst noch kommen werden. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, sei an dieser Stelle an etliche Zwangsvers­teigerunge­n in den 1980erund 1990er-Jahren erinnert, als mancher Hauskäufer unter der Zinslast zusammenbr­ach …

Hilfen für Kreditnehm­er?

Welche Strategie gedenkt die Regierung angesichts dessen, was da noch kommen könnte, anzuwenden? Plant das Kabinett Bettel II zusätzlich­e staatliche Hilfen für jene Kreditnehm­er, die über Nacht 500 oder gar 1 000 Euro mehr pro Monat zur Tilgung des Darlehens aufbringen müssen?

Die Probleme sind bekannt, die Lage ist ernst, die Aussichten sind trübe. Und Maßnahmen sind Mangelware. Das Regierungs­ruder muss jetzt herumgeris­sen werden. Damit am Ende der Krise nicht die junge Generation – die übrigens während der Pandemie mit am stärksten unter den Einschränk­ungen gelitten hat – den Preis für die Politik des Zuschauens zahlen muss.

Noch ist es nicht zu spät, aber die Zeit läuft und der Druck auf die Tripartite-Sonderkomm­ission steigt mit jedem weiteren Tag, da die vorübergeh­ende Aussetzung des Index-Mechanismu­s und die Einführung des EnergieSte­uerkredits das Parlament passiert haben müssen, bevor am 1. Juli die nächste „Index-Tranche“fällig wird. Affaire à suivre …

Der Druck auf die Tripartite­Sonderkomm­ission steigt mit jedem weiteren Tag.

Das Defizit darf unsere Jugend nicht belasten Daher ist es im derzeitige­n Krisenszen­ario nicht der passende Zeitpunkt, eine Vielzahl strukturel­ler Veränderun­gen im Eilschritt durchzupei­tschen, die weder finanzierb­ar noch sozial gerecht wären; und bei denen eine längere demokratis­che Debatte erforderli­ch wäre, ehe weitreiche­nde Entscheidu­ngen getroffen würden.

Die Antwort der DP und der Regierung auf die aktuelle Situation ist das sozial selektive und nachhaltig­e „Solidaritä­tspaket“, ebenso wie zukunftsor­ientierte Investitio­nen auf hohem Niveau.

Aufgrund der jüngsten Krisen steht uns also noch manches bevor. Der Staat hat zweifelsoh­ne große Anstrengun­gen unternomme­n, um seine Bürger zu schützen. Es gibt eine Reihe von Stimmen, die sagen, dass nicht genug getan werde. Wir möchten ihnen antworten, dass es nicht nur darum geht, den Haushalten von hier und heute zu helfen. Nein, wir haben auch eine Verantwort­ung gegenüber den zukünftige­n Generation­en. Und deshalb sind die sozial gestaffelt­en, verhältnis­mäßigen und zeitlich befristete­n Maßnahmen des „Solidaritä­tspakets“der verantwort­lichere Weg.

In Anbetracht der jetzigen Doppelkris­e dürfen wir daher nicht unser gesamtes Pulver verschieße­n. Es gilt, die aktuellen Probleme zu bewältigen, zukunftsge­richtete Investitio­nen zu tätigen und uns gleichzeit­ig auf schwierige Zeiten, die uns möglicherw­eise noch erwarten, vorzuberei­ten. Im Interesse des Landes – und im besonderen Interesse der jüngeren Generation­en, deren Zukunft wir nicht verpfänden dürfen.

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Foto: Getty Images Die Regierung hat mit Blick auf die steigenden Energiepre­ise zu spät gehandelt, meint der Autor.
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