Leben mit der Inflation
Die Inflation hat im April in Luxemburg einen Höchststand von sieben Prozent erreicht. Wie es in den nächsten Monaten weitergeht, kann niemand wirklich sagen. Das wahrscheinlichste Szenario aber ist: Die Preise werden weiter steigen, die Zinssätze auch, und das Wachstum wird sich verringern. Arbeitskräftemangel, Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit sowie Neuausrichtung der globalen Produktionsund Lieferketten: Vieles spricht dafür, dass sich die Inflationsraten in Luxemburg und in der Eurozone in den kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als in den vergangenen zwei Dekaden. Auch die Verlangsamung der Globalisierung spielt eine Rolle. Diese Verzögerung ist auf die Rückkehr der geopolitischen Risiken zurückzuführen, auf den Ukraine-Krieg natürlich, aber auch auf die wachsenden Spannungen zwischen China und den USA sowie auf die Rückkehr des Nationalismus und des wirtschaftlichen Souveränismus in vielen Teilen der Welt. In den letzten 40 Jahren zirkulierten die Produkte ungehindert auf einem großen Weltmarkt, praktisch ohne Zölle, ohne Transportprobleme. Im Zuge der Globalisierung ließen die Unternehmen die Waren dort produzieren, wo es am billigsten war – Stichwort Standortverlagerungen. Die unglaubliche Entwicklung des Handels – er wuchs doppelt so schnell wie die Wirtschaftstätigkeit – hat die Preise für Industrieprodukte stark gesenkt, von der Waschmaschine über Kleidung bis hin zu Möbeln. Und genau das wird heute in Frage gestellt: Viele Unternehmen sind dabei, ihre Lieferketten auf Kontinentalebene zu verlagern, zu nationalisieren – aus Angst vor Knappheit und Konflikten.
Gleichzeitig hat ein anderer wichtiger Wandel begonnen: die Alterung der Gesellschaft, die sich bei uns und vor allem in Asien, insbesondere in China, stark beschleunigt. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den größten Volkswirtschaften der Welt beginnt zu schrumpfen, da die Babyboomer in den Ruhestand gehen. Arbeit wird also künftig knapper und damit teurer werden. Die Löhne werden steigen, nachdem sie jahrzehntelang aufgrund der Konkurrenz durch Standortverlagerungen unter Druck standen. Auch das ist ein wichtiger Inflationsfaktor, der nicht so schnell verschwinden wird.
Was das bedeutet? Wir müssen uns darauf vorbereiten, in einem Umfeld zu leben, in dem viele Waren und Dienstleistungen teurer werden. Die Zeiten billiger Lebensmittel sind vorbei und wir müssen lernen, mit der Inflation zu leben. Das bedeutet für viele Menschen: umplanen – bei Wocheneinkauf, Altersvorsorge oder Urlaub. Manche werden den eigenen Lebensstil einschränken müssen, vielleicht ihr Mobilitätsverhalten ändern, Preise vergleichen, Angebote suchen, etwa für Strom, Versicherungen oder Immobilien. Viele gehen zuhause bereits bewusster mit ihrem Energieverbrauch um. Vor allem werden auch Arbeitnehmer künftig bessere Löhne verhandeln müssen. Ob mit oder ohne Indextranchen: Wir werden uns an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen; die Zeit der Sorglosigkeit scheint definitiv vorbei zu sein.
Die Zeit der Sorglosigkeit ist definitiv vorbei.