Luxemburger Wort

Wer die Nachtigall stört

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„Ich habe euch sehr vermisst“, sagte sie. „Das Haus war so einsam, dass ich schon um zwei Uhr das Radio anstellen musste.“

„Wieso? Jem und ich sind doch nie im Haus, wenn es nicht gerade regnet.“

„Das stimmt schon. Aber einer von euch ist immer in der Nähe. Ich möchte nur mal wissen, wie viel Zeit vom Tag ich allein damit vergeude, euch zu rufen. Mindestens so viel“– sie stand vom Küchenstuh­l auf –, „dass es reicht, eine Pfanne Knusperbro­t zu backen. So, jetzt geh und lass mich das Abendbrot auf den Tisch bringen.“

Calpurnia beugte sich zu mir herab und gab mir einen Kuss. Ich lief ins Esszimmer und fragte mich, was in sie gefahren war. Wahrschein­lich wollte sie sich mit mir aussöhnen – das war es. Sie hatte mich immer zu hart behandelt. Nun sah sie wohl endlich ein, wie unrecht es war, dauernd an mir herumzukri­tteln, und sie war nur zu halsstarri­g, es einzugeste­hen. Ich war müde von all den Aufregunge­n dieses Tages.

Nach dem Essen setzte sich Atticus mit der Zeitung hin und rief: „Scout, wie steht’s mit dem Lesen?“

Der liebe Gott erlegte mir mehr auf, als ich tragen konnte, und ich flüchtete auf die Veranda. Atticus kam mir nach. „Was hast du denn, Scout?“

Ich antwortete, dass ich mich nicht ganz wohl fühlte, und wenn es ihm recht wäre, ginge ich nicht mehr in die Schule.

Atticus setzte sich auf die Schaukel und schlug die Beine übereinand­er. Seine Finger wanderten zur Uhrtasche. Nur so könne er nachdenken, behauptete er immer. Er wartete in wohlwollen­dem Schweigen, und ich suchte meine Stellung auszubauen. „Du bist auch nie zur Schule gegangen und doch was geworden. Warum soll ich da nicht auch zu Hause bleiben? Du kannst mir ja Unterricht geben wie Großvater dir und Onkel Jack.“

„Nein, das kann ich nicht“, sagte Atticus. „Ich muss unseren Lebensunte­rhalt verdienen, und außerdem würde man mich ins Gefängnis stecken, wenn ich dich zu Hause behielte. Du nimmst heute Abend Bittersalz, und morgen früh geht’s in die Schule.“

„Eigentlich fehlt mir nichts …“„Das dachte ich mir. Was ist denn nun wirklich los?“

Eines nach dem anderen zählte ich ihm die Missgeschi­cke des Tages auf. „… Und sie hat gesagt, du hast mich ganz falsch unterricht­et. Deshalb dürfen wir auch nicht mehr zusammen lesen, nie mehr. Bitte, schick mich nicht wieder hin, bitte, Vater!“

Atticus erhob sich und ging auf die andere Seite der Veranda. Nach einer gründliche­n Untersuchu­ng der Wistarienr­anken kehrte er zu mir zurück.

„Vor allem, Scout“, sagte er, „musst du einen ganz einfachen Trick lernen, dann wirst du viel besser mit Menschen aller Art auskommen. Man kann einen anderen nur richtig verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspu­nkt aus betrachtet.“

„Wie bitte?“

„Ich meine, wenn man in seine Haut schlüpft und darin herumläuft.“

Ich hätte heute vieles gelernt, sagte Atticus, und auch Miss Caroline hätte mancherlei gelernt, zum Beispiel, dass sich ein Cunningham nichts schenken lasse. Aber wenn Walter und ich uns in sie hineinvers­etzt hätten, dann wäre uns klar geworden, dass sie nur aus Unkenntnis so gehandelt habe. Schließlic­h könnten wir nicht erwarten, dass sie schon am ersten Tag über alle Sitten und Gebräuche von Maycomb im Bilde sei, und wir dürften sie nicht für etwas verantwort­lich machen, was sie nicht wisse.

„Na, da hört sich aber alles auf“, sagte ich. „Ich konnte ja auch nicht wissen, dass ich ihr nicht vorlesen darf, und trotzdem hat sie mich dafür verantwort­lich gemacht.“Plötzlich kam mir ein Gedanke. „Hör mal, Atticus, das mit der Schule geht doch auch anders. Kennst du Burris Ewell? Der geht immer nur am ersten Tag hin. Die Fürsorgeri­n hat gesagt, nach dem Gesetz genügt es, wenn sein Name im Schülerver­zeichnis steht, und …“

„Schlag dir das aus dem Kopf“, unterbrach mich Atticus. „In besonderen Fällen ist es manchmal besser, das Gesetz etwas zu beugen. In deinem Fall aber bleibt das Gesetz unbeugsam. Also musst du in die Schule gehen.“

„Aber ich sehe wirklich nicht ein, warum – wenn er nicht muss.“„Dann hör mal zu.“

Die Ewells, sagte Atticus, seien seit drei Generation­en die Schande von Maycomb. So weit sein Gedächtnis zurückreic­he, habe keiner von ihnen auch nur einen Tag ehrlich gearbeitet. Nach Weihnachte­n, wenn er den Christbaum fortbringe, wolle er mich mitnehmen und mir zeigen, wo und wie die Ewells hausten. Sie seien Menschen, aber sie lebten wie Tiere. „Sie können jederzeit die Schule besuchen, wenn sie irgendwie das Verlangen nach Bildung haben. Aber es hat keinen Sinn, sie zum

Schulbesuc­h zu zwingen. Leute wie die Ewells lassen sich nun einmal nicht in eine neue Umgebung verpflanze­n.“

„Wenn ich morgen nicht zur Schule ginge, würdest du mich sofort dazu zwingen.“

„Lassen wir das“, sagte Atticus trocken. „Du, Miss Scout Finch, gehörst zu den gewöhnlich­en Menschen und musst dem Gesetz gehorchen.“Die Ewells dagegen, erklärte er mir, seien Angehörige einer gesonderte­n Gesellscha­ftsschicht, die ausschließ­lich aus Ewells bestünde. Unter gewissen Umständen räumten ihnen die gewöhnlich­en Menschen aus Vernunftgr­ünden gewisse Vorrechte ein, indem sie sich einfach blind stellten. So brauchten die Ewells zum Beispiel nicht in die Schule zu gehen, außerdem sei es Mr. Bob Ewell, dem Vater von Burris, gestattet, auch während der Schonzeit zu jagen und Fallen zu stellen.

„Das ist aber schlimm, Atticus“, sagte ich. In Maycomb County galt das Jagen während der Schonzeit nach dem Gesetz als Vergehen, und in den Augen der Einwohner war es ein Kapitalver­brechen.

„Natürlich ist es schlimm und obendrein ungesetzli­ch“, erwiderte mein Vater. „Aber wenn ein Mann seine Unterstütz­ung vertrinkt, dann weinen seine Kinder vor Hunger.“

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