So fühlt sich die Stadt der Zukunft an
San Francisco zeigt, wie Großstädte mit Verkehrsproblemen Änderungen anstoßen können. Was davon ist in Luxemburg möglich?
Nach einem Zwölf-Stunden-Flug erscheint San Francisco im Blickfeld, golden wie eh und je. Die ikonische Golden Gate Bridge leuchtet in der kalifornischen Sonne, die Riesen der Skyline stehen entlang der Bucht Spalier und Alcatraz trotzt als wortwörtlicher Fels in der Brandung den Gezeiten.
In der Stadt angekommen, macht sich eine Transformation bemerkbar, die die kalifornische Metropole in den Pandemie-Jahren scheinbar schleichend vollzogen hat. Statt röhrender Achtzylinder ist in den Hochhausschluchten zur Rushhour fast nur noch leises Surren zu vernehmen.
Ein genauerer Blick in die Blechlawine offenbart, dass diese mittlerweile zur großen Mehrheit aus vollelektrischen und Hybrid-Fahrzeugen besteht. Natürlich dominieren USA-typisch große SUVs, aber auch viele Sedans und Kompaktfahrzeuge wie das Tesla Model 3 oder der Toyota Prius rollen beinahe lautlos durch die City. Und in manchen Autos sitzen nicht mal mehr Menschen. Hat die Zukunft, von der wir in Europa noch träumen, hier schon begonnen?
Die San Francisco Bay Area geht mit ihren fast sieben Millionen Einwohnern weit über die Grenzen von San Francisco hinaus. Tatsächlich ist die namensgebende Metropole nicht einmal die größte Stadt in der Metropolregion, sondern das etwas südlicher gelegene San José.
Antrieb einer ganzen Region
Dort dürfte auch die Ursache für die Science-Fiction-Atmosphäre in Downtown San Francisco liegen: das Tech-Epizentrum Silicon Valley. Nicht nur Apple, Facebook oder der Google-Mutterkonzern Alphabet geben hier den Ton an, auch die Autos von morgen entstehen in diesem Umfeld. Neben dem Stammwerk des E-Autopioniers Tesla im nahen Freemont haben sich auch die Herausforderer Lucid Motors und Rivian in der Metropolregion einquartiert. Auch zu einem möglichen Apple-Auto brodelt die Gerüchteküche seit Jahren.
Dass die E-Mobilität in unmittelbarer Nähe zur Tech-Hauptstadt der Welt boomt, ist also kein
Der selbstfahrende Bus in Contern.
Wunder. „The Bay Area“berichtet über eine Studie, dass San Francisco nach dem Großraum Los Angeles die Stadt mit den zweitmeisten zugelassenen Elektroautos im Land ist, dicht gefolgt vom nahen San José. Bei der Bewertung der im Punkt Elektromobilität fortschrittlichsten Regionen landet San Francisco im landesweiten Vergleich ebenfalls auf dem zweiten Platz, dicht hinter der Silicon-Valley-Heimat San José.
Bereits im Corona-Jahr 2020 war fast jedes vierte neue Auto in San Francisco ein E-Auto oder ein Plugin-Hybrid, wie aus einem „New York Times“-Artikel hervorgeht. Normale Hybride sind hier noch nicht eingerechnet. Während die Zahlen im Landesvergleich beeindrucken (das zweitplatzierte Los Angeles kommt nur auf die Hälfte), sind sie tatsächlich gar nicht so unterschiedlich zu Luxemburg. Hier liegt die Zahl der Elektroautos und Plug-in-Hybride bei den Neuzulassungen mittlerweile auch kontinuierlich über 20 Prozent, wie die Ministerien für Energie, Umwelt und Mobilität mitteilen.
Bei der Gesamtzahl aller im Jahr 2021 in San Francisco registrierten Fahrzeuge kommen Elektroautos und Plug-in-Hybride auf 5,1 Prozent, so eine Statistik der California Energy Comission. Addiert man normale Hybrid-Fahrzeuge hinzu, landet die Stadt bei 14 Prozent.
Im Endeffekt könnte man diese Strecke von 500 Metern schneller zu Fuß gehen, als mit diesem autonomen Shuttle. Dr. Raphaël Frank
Ambitionierte Ziele
Das Großherzogtum kommt bei EAutos und Plug-in-Hybriden auf ähnliche Prozentwerte (4,39 Prozent), im Bereich der klassischen Hybride aber lediglich auf 3,99 Prozent. Im städtischen Stop-and-goVerkehr sorgt der Mehranteil an Hybriden in San Francisco dann doch für ein deutlich leiseres Stadtbild, schließlich schaltet sich dort der Verbrennungsmotor oft erst ab höheren Geschwindigkeiten hinzu. Außerdem verteilen sich die alternativen Antriebe im Großherzogtum auf das gesamte Land, während die San Francisco-Zahlen ausschließlich die Stadt betreffen.
Einen kleinen Vorsprung hat San Francisco also noch. Ähnlich wie viele europäische Länder, hat die Stadt zudem ambitionierte Ziele formuliert, um die Elektromobilität weiter auszubauen.
So wurde bereits im Jahr 2018 eine sogenannte „EV Roadmap“entwickelt, mit deren Hilfe bis 2040 sämtliche Mobilität nach, in oder aus der Stadt komplett emissionsfrei werden soll, wie das Branchenportal „electrek“zusammenfasst. Überdies wurden Zwischenziele formuliert, nach denen unter anderem ab 2030 nur noch Elektroautos in der Stadt verkauft werden dürfen. Plug-in-Hybride, die als Verstärkung zum E-Antrieb mit aufladbarem Akku immer noch auf einen zusätzlichen Verbrennungsmotor setzen, zählen allerdings auch dazu. Zur „EV Roadmap“gehört auch, bis 2023 mindestens zehn Prozent der Parkplätze in den kommerziellen Parkstrukturen der Stadt mit einer Lademöglichkeit zu versehen.
Dass die Frage nach der Lademöglichkeit „eines der größten Hindernisse bei der Überlegung für die Anschaffung eines Elektroautos ist“, weiß nicht nur London
Ungewöhnlich für die USA: Am Marina Boulevard an der Uferpromenade ist der Radund Fußweg schon beinahe so breit wie die Straße.
Breed, die Bürgermeisterin der Stadt San Francisco. Auch im Großherzogtum arbeitet man am Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Aktuell existieren 1 350 Chargy & ChargyOK-Ladepunkte, wobei eine Ladesäule mehrere solcher Ladepunkte beherbergen kann. Im Hinblick auf das Schnellladen existieren im ganzen Land aktuell 14 SuperChargy & SuperChargyOK-Ladepunkte, so das Verkehrsministerium. Wegen Lieferschwierigkeiten verlaufe der Ausbau über die letzten Monate langsamer als ursprünglich geplant. Bis zu den Sommerferien sollen aber auch die größeren Autobahnraststätten über Schnellladepunkte verfügen. Zu einem möglichen Verbrenner-Aus orientiert sich Luxemburg an den Plänen des EUParlaments, welches den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten will. Die Abgeordneten hatten am 8. Juni in Straßburg über den Beschluss abgestimmt, der besagt, dass Autos und Transporter ab dann keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr ausstoßen dürfen. Damit wären auch Plug-in-Hybride, sowie EFuels als Alternative vom Tisch.
San Francisco geht mittlerweile sogar noch einen Schritt weiter und hat aktuell acht Unternehmen Tests mit komplett selbstfahrenden Autos erlaubt, die mit allerhand Sensoren in der Innenstadt unterwegs sind, wie auch die „Tagesschau“berichtet. Insgesamt sind mittlerweile 1 764 autonome Fahrzeuge bei der Zulassungsstelle der Stadt registriert. Die Google-Tochter Waymo dürfte dabei der größte Akteur sein, der bereits Autos ohne Sicherheitsfahrer im Einsatz hat, der notfalls ins autonome Fahrprogramm eingreifen kann. Aktuell können Waymo-Mitarbeiter die autonome Flotte schon für TaxiFahrten nutzen, bald soll das auch für andere Kunden möglich sein.
Experimente mit Autonomie
Professor Dr. Raphaël Frank, der das 360Lab an der Universität Luxemburg leitet und sich dort mit dem Bereich Smart Mobility beschäftigt, sieht aktuell keine andere Firma, die so weit ist wie Waymo. „Die können wirklich autonom fahren und machen das jetzt auch schon seit ein paar Jahren.“Konkret kam die Google-Marke Waymo mit ihren 567 umgebauten Elektro-Jaguaren im vergangenen Jahr auf über 3,7 Millionen gefahrene Kilometer, wie der „San Francisco Examiner“berichtet. Getestet wird dabei nicht nur in San Francisco, sondern auch in Phoenix, Arizona. Der dichteste Verfolger Cruise, eine Tochter des US-Autoriesen General Motors, kam mit seinen 168 Testfahrzeugen auf immer noch beeindruckende 1,4 Millionen Kilometer.
Zum Vergleich: In Europa hat Mercedes-Benz die Nase bei den autonom gefahrenen Kilometern vorne, allerdings lediglich mit knapp 100 000 Kilometern. Auch im Großherzogtum laufen aktuell an mehreren Standorten Experimente mit autonomen Shuttles, wie das Verkehrsministerium mitteilt. In der Industriezone von Contern ist ein autonomes Shuttle im Einsatz, welches Mitarbeiter vom Bahnhof zu den jeweiligen Unternehmen befördert und auch in Esch/Alzette soll ein autonomes Shuttle den Menschen in der Fußgängerzone die neue Technologie näherbringen. „Die Shuttles fahren ungefähr 20 bis 25 Stundenkilometer. Man fährt mit und wird die ganze Zeit überholt. Dann ist es so programmiert, dass das Fahrzeug noch langsamer wird, wenn es ein anderes Auto sieht. Im Endeffekt könnte man diese Strecke von 500 Metern schneller zu Fuß gehen, als mit diesem autonomen Shuttle“, erklärt Prof. Dr. Frank, der die Programme kennt und sie lediglich für ein „interessantes Gimmick“hält. „Diese Shuttles sind nichts, was unsere Mobilität lösen wird.“
Aktuell sind die Technologien noch nicht auf dem Niveau wie ein menschlicher Fahrer. Dr. Raphaël Frank
Zu wenige Ressourcen
Auch die grenzüberschreitende Teststrecke im Dreiländereck um Schengen, die 2019 mit Beteiligung des 360Lab ins Leben gerufen wurde, ist letztlich nur ein kleiner Testbereich für Experimente. „Unsere Ambition ist nicht, der nächste Waymo zu werden. Dafür haben wir auch gar keine Ressourcen. Es wird zwar immer gesagt, Luxemburg habe viel Geld, aber das ist natürlich nichts im Vergleich zu Waymo, die tausende Ingenieure und Wissenschaftler an dem Thema arbeiten haben“, so Prof. Dr. Frank.
Was die Sicherheit der Systeme angeht, sei der Mensch das größte Problem. Die autonomen Autos „müssen damit rechnen, dass der Mensch etwas tut, was nicht vorgesehen ist. Das macht die Sache sehr komplex.“Es reiche nicht, 99 Prozent der möglichen Szenarien zu kennen, es brauche noch zahlreiche Neunen mehr hinter dem Komma. „Aktuell sind die Technologien noch nicht auf dem Niveau wie ein menschlicher Fahrer“, so Frank. In San Francisco musste in den Testphasen, bei welchen noch ein Testfahrer im Cockpit saß, im Jahr 2020 bei Waymo 21 Mal eingegriffen werden, bei Cruise 27 Mal. Erst vor Kurzem waren die autonomen Autos von San Francisco mit einem Zwischenfall in den Medien, bei dem ein Cruise-Robotaxi sich unerlaubt von einer Verkehrskontrolle entfernte. Wirklich massentaugliche Versuche erwartet Prof. Dr. Frank in Europa, wenn dann von amerikanischen Firmen. Luxemburg sei als kleines Land mit kurzen politischen Wegen als Testbereich für das Thema aber gut geeignet.
Sicherheit der Fußgänger
Was im Großherzogtum trotz erster Tests noch weitgehend Zukunftsmusik scheint, ist in San Francisco bereits greifbare Realität. Auswirkungen auf die Sicherheit der Fußgänger sind mit den autonomen Verkehrsteilnehmern und den oft gespenstisch leisen E- und Hybrid-Autos in den Statistiken übrigens bisher nicht auszumachen. Oft stehen leise Elektro-Fahrzeuge im Verdacht, für mehr Unfälle mit Fußgängern zu sorgen, da diese die Autos schlichtweg nicht mehr hören. Diese subjektiven Ängste lassen sich in San Francisco nicht mit Zahlen belegen.
Sowohl die bei Verkehrsunfällen verletzten Fußgänger, als auch die Unfälle mit tödlichem Ausgang sind in San Francisco trotz Robo-Taxis und leisen Elektroautos leicht rückläufig, wenn auch weiterhin auf einem hohen Niveau. Bereits im Jahr 2014 wurde daher die Initiative „Vision Zero“ins Leben gerufen, die Verkehrstote in der Stadt bis zum Jahr 2024 im Idealfall auf null reduzieren soll, indem Verkehrsführung und Tempolimits geändert, sowie mehr Räume für Radfahrer und Fußgänger zur Verfügung gestellt werden.
Schon heute ist San Francisco damit deutlich Fußgänger- und Radfreundlicher als die meisten USStädte. Seit 2019 wurden Fahrradwege in der Stadt verbreitert und gegen den Autoverkehr abgesichert. 2020 wurden sämtliche Privat-Autos von der zentralen Market Street verbannt, die fortan nur noch von Fußgängern, Fahrradfahrern, sowie öffentlichen Verkehrsmittel und Taxis genutzt werden darf.
„Wir planen aktiv an einer Zukunft, in der unsere öffentlichen Räume wieder für die Menschen zurückgewonnen werden und in der Straßen und Bürgersteige komfortable, angenehme und sichere Orte sind, an denen man sich bewegen und treffen kann“, erklärt Bürgermeisterin Breed in einem CNN-Artikel.
Ein Blick auf Luxemburg offenbart, dass man sich auch hierzulande auf einem guten Weg befindet. Der Anteil der Elektromobilität bei den Zulassungszahlen wächst stetig, es gibt Experimente für autonomes Fahren und generell ist das Land gut aufgestellt, um als Testareal für zukünftige Versuche zu dienen.
Die Weichen sind auch im Großherzogtum auf Fortschritt gestellt. Eine berühmte rote Brücke haben wir mit San Francisco ja schonmal gemeinsam.