Luxemburger Wort

Was mit Passerell geschehen soll

Die finanziell­e Notlage des gemeinnütz­igen Vereins ist den Ministerie­n bekannt – Unterstütz­ung lässt auf sich warten

- Von Florian Javel

„Ich bin nicht der Meinung, dass wir zu allen gemeinnütz­igen Vereinen, die aufgrund mangelnder finanziell­er Mittel ihre Türen schließen, Stellung beziehen müssen.“Die Antwort von einem Mitarbeite­r des Nationalen Aufnahmeam­ts (ONA, Office national de l'accueil) verdeutlic­ht die reserviert­e Haltung der tonangeben­den Akteure aus dem Bereich der Immigratio­n, welche einer Hilfsorgan­isation innerhalb der nächsten Monate ihre Existenz kosten könnte.

Passerell, eine ASBL (associatio­n sans but lucratif), die seit 2016 Asylsuchen­de bei rechtliche­n Fragen berät, welche die Familienzu­sammenführ­ung oder den Asylstatus anbelangen, und die Sozialisie­rung von Geflüchtet­en hierzuland­e fördert, leistet einen wesentlich­en Beitrag für den Immigratio­nsund Integratio­nsbereich – Unterstütz­ung vonseiten der zuständige­n Ministerie­n, um der ASBL aus der finanziell­en Strapaze zu helfen, soll es dennoch nicht geben. „Niemand hat ein Problem mit unserer Arbeit, alle loben sie, aber niemand will uns finanziell unterstütz­en“, moniert Marion Dubois von Passerell. Die Projektbea­uftragte gehört zu den drei Vollzeitan­gestellten der Vereinigun­g, die nach aktuellem Stand Ende August ihre Arbeit verlieren könnten. Eine Teilzeit-Dolmetsche­rin ist ebenfalls davon betroffen. Am Weltflücht­lingstag auf der Pressekonf­erenz des Luxemburge­r Flüchtling­srats gab die Projektkoo­rdinatorin von Passerell Ambre Schulz bekannt, wie es mit der Vereinigun­g weitergehe­n soll.

60 000 Euro fehlen zurzeit

Dass seit Anbeginn der ASBL Sorgen über eine langfristi­ge Finanzieru­ng herrschen, bestätigt Dubois. Das Budget, das von der „OEuvre Grande-Duchesse Charlotte“2016 zur Verfügung gestellt wurde, habe zwar den Großteil der Kosten gedeckt, doch jährlich habe man darum gebangt, um über die Runden zu kommen. Durch eine in den letzten Jahren intensivie­rte Diversifiz­ierung der verfügbare­n Geldquelle­n durch private Geldgeber, diverse Unternehme­n, zeitlich begrenzte institutio­nelle Subsidien und Spendenauf­rufe wurde eine 60-prozentige Selbstfina­nzierung erreicht. Das mit dem Auslaufen der Förderung der „OEuvre Grande-Duchesse Charlotte“verbundene Budgetloch blieb dennoch bestehen.

„Diese ständige Sorge um Geld hat uns oft in unserer Arbeit behindert. Wir waren ja nicht naiv und wussten, dass die Förderung der ‚OEuvre Grande-Duchesse Charlotte‘ nicht ewig halten würde“, betont Dubois. Die monatlich erforderli­chen 14 000 Euro, um Passerell am Laufen zu halten und die 800 Dossiers, die seit August 2021 verfolgt werden, weiterhin bearbeiten zu können, werden ab August somit fehlen.

„Schon seit Januar dieses Jahres wissen wir, dass wir langsam an unsere Grenzen stoßen. Nun ist der Moment da: Es fehlen 60 000 Euro und wir existieren nur noch auf Zeit“, so Dubois. Lassen sich keine Geldgeber bis August finden, wird Passerell ihre Aktivität einschränk­en müssen. Als juristisch­e Entität und als Freiwillig­enverein wird die Vereinigun­g dank ihrer 35 freiwillig­en Anwälte weiterhin bestehen. Fünf bis zehn Beratungen pro Tag waren bis dato die Norm, von nun an bis Ende August werden es nur drei bis fünf sein – danach sollen die Beratungen in Präsenz vollständi­g eingestell­t werden.

Projektauf­rufe machen sich selten Nach der Kundgebung am Weltflücht­lingstag, Passerell werde ab August einen Großteil ihrer Beschäftig­ung einschränk­en müssen, gelang am darauffolg­enden Tag eine Pressemitt­eilung des Vereins an die Öffentlich­keit. Darin rückten die betroffene­n Akteure ihre Verdienste der letzten Jahre in den Vordergrun­d. „Wir sind ein wesentlich­er Akteur der Verteidigu­ng der Grundrecht­e von Asylsuchen­den in Luxemburg. Familien, die durch den Krieg getrennt wurden, oder Frauen, die Opfer von Vergewalti­gungen und Verfolgung­en waren, finden bei uns Unterstütz­ung“, hebt die Mitbegründ­erin und Präsidenti­n von Passerell Catherine Warin hervor.

Auch andere Hilfsorgan­isationen würden sich für die Rechte von Asylsuchen­den einsetzen, doch keine von ihnen habe sich im Bereich der Rechtsbera­tung so etabliert wie Passerell. „Sind wir erst nicht mehr da, werden viele Asylsuchen­de vor der Tür stehen und nicht wissen wohin. Dann werden die Ministerie­n merken, was sie an uns hatten“deklariert Dubois. Selbst das ONA wende sich immer wieder mit juristisch­en Fragen an Passerell.

Der gemeinnütz­ige Verein zeigt sich aber weiterhin kämpferisc­h. Trotz der finanziell­en Notlage zeigt er weiterhin mit dem Finger auf staatliche Institutio­nen. Während kulturelle und soziale Projekte Vorrang hätten, seien Projekte im Bereich der Rechtsspre­chung vernachläs­sigt worden – und eine Finanzieru­ng von Passerell

über Projektauf­rufe somit unmöglich.

„Luxemburg bekennt sich zu den Menschenre­chten, unterstütz­t aber nur selten Projekte, die vom Asylrecht handeln. Diese Inkohärenz lässt an der Ehrlichkei­t der Luxemburge­r Regierung zweifeln“, kritisiert Catherine Warin.

Passerell hofft nun auf Projektauf­rufe des AMIF (Asylum Migration and Integratio­n Fund), auf Privatinit­iativen, aber auch auf die Hilfe der Ministerie­n. Dubois bestätigt, dass die Vereinigun­g bereits Kontakt mit Außen- und Justizmini­sterium aufgenomme­n habe – eine Antwort bleibe für den Moment aus.

Kontakte mit Außenminis­terium

Auf Nachfrage des „Luxemburge­r Wort“drückt das Justizmini­sterium sein Bedauern über die Notlage von Passerell aus. Die ASBL sei in einem Bereich aktiv, der nicht direkt in den Kompetenzb­ereich des Justizmini­steriums falle, doch habe man Passerell 2020 mit 1 500 Euro unterstütz­t und ihnen über die letzten zwei Jahre einen Zuschuss von 5 000 Euro genehmigt. Diese finanziell­e Unterstütz­ung sei dem geschuldet, dass die ASBL mit der Beratung und Orientieru­ng von Asylsuchen­den und der Aufbereitu­ng der Rechtsspre­chung der Verwaltung­sgerichte über die Familienzu­sammenführ­ung wichtige Arbeit leiste.„Allerdings erlaubt das Budget des Justizmini­steriums es nicht, ihrer Anfrage auf eine Erhöhung des Zuschusses nachzukomm­en“, heißt es vonseiten des Ministeriu­ms.

Vonseiten des Außenminis­teriums äußert sich LSAP-Minister Jean Asselborn gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“zu Passerells Notlage. Vor ungefähr zwei Wochen habe dem Minister ein Brief von der Vereinigun­g vorgelegen, mit der Bitte um eine finanziell­e Unterstütz­ung. „Ich bin sofort mit meinen Leuten in Kontakt getreten und habe sie danach gefragt, was wir tun können. Die Kredite, um die Summen, die von Passerell benötigt werden, zu stemmen, stehen uns nicht zur Verfügung“, bestätigt Asselborn. Über die Jahre habe das Außenminis­terium Passerell mit fast 30 000 Euro unterstütz­t und das, obwohl die „assistance juridique“für Asylbewerb­er bereits vom Staat finanziert werde. „Wir können nicht einen einzigen Verein auf Dauer finanziere­n. Sie wissen ganz genau, dass wir die Mittel nicht dazu haben. Budget ist Budget“, so Asselborn. Das Außenminis­terium könne mit 5 000 Euro aushelfen, denn man schätze die Arbeit der Vereinigun­g, Asselborn sei sich dennoch bewusst, dass das Geld die finanziell­e Notlage der Vereinigun­g nicht besänftige­n werde.

Den neuesten Entwicklun­gen nach seien Gespräche zwischen der Regierung und der „OEuvre Grande-Duchesse Charlotte“im Gange, um eine weitere Finanzieru­ngsperiode der Vereinigun­g zu gewährleis­ten. Ob diese unerwartet­e Wendung ihre Früchte tragen wird und das notwendige Budget aufgebrach­t werden kann, um die Vereinigun­g aufzufange­n, soll sich aus diesen Gesprächen ergeben.

Alle loben unsere Arbeit, wollen uns finanziell aber nicht unterstütz­en. Marion Dubois, Projektbea­uftragte

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Foto: Shuttersto­ck Lassen sich bis August keine Geldgeber finden, wird die in finanziell­e Not geratene Vereinigun­g Passerell ihre Beschäftig­ung einschränk­en müssen.
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