Freiwild Fotografie
Bei der künstlerischen Aneignung oder Appropriation ist die Grenze zum Plagiat nicht nur dünn, sie ist gefährlich porös. Auch Künstler dürfen sich bei anderen nicht einfach „bedienen“. Urheberrechte müssen beachtet werden. Man beruft sich auf sie – auch vor Gericht. Die Fotografie ist also kein Freiwild. Zwei Beispiele dazu:
Jeff Koons erschafft 2014 eine Skulptur – die Büste einer liegenden Frau und ein Schwein mit dem Titel „Fait d'hiver“. Die Idee hatte der Werbefotograf Franck Davidovici. Seine Aufnahme ist Teil einer Werbekampagne für eine Kleidermarke im Jahr 1985, also fast drei Jahrzehnte bevor Koons sein Werk erstellt. Der Fotograf klagt und bekommt Recht. Ein Pariser Gericht verurteilt den Künstler und das Centre Pompidou, das Koons' Werk ausgestellt hat, zu
190 000 Euro Schadenersatz.
2010 verewigt die Pressefotografin Katrijn van Giel den belgischen Politiker Jean-Marie Dedecker in einem Foto, das in der Zeitung „De Standaard“erscheint. Es zeigt das Gesicht des Politikers im Profil, in Nahaufnahme und direkt unter der Nase abgeschnitten. Ein Jahr später taucht dann ein Gemälde des Malers Luc Tuymans auf mit dem Titel „A belgian politician“. Der Bildausschnitt ist verblüffend ähnlich. Katrijn van Giel klagt. 2015 bekommt auch sie Recht: Ein Gericht in Antwerpen verurteilt den Maler wegen Verletzung des Urheberrechts.
Der aktuelle Streit zwischen dem Luxemburger Künstler, der den Förderpreis bei der Biennale in Strassen gewonnen hat, und der US-Fotografin, die ihre Aufnahmen in Modezeitschriften veröffentlicht, ist nicht grundlegend anders. Auch hier wurde ein Foto benutzt für ein neues Kunstwerk, die Nutzungsrechte für das Bild aber nicht erfragt, geschweige denn honoriert. Ist die Arbeit der Fotografin nun weniger wert als die des Malers? Darf er sich einfach da bedienen, ohne eine Erlaubnis zu erfragen?
Nein. Was Jeff Koons nicht erlaubt ist, sollte auch einem Künstler aus Luxemburg nicht gestattet sein. Man kann deshalb dem Luxemburger Maler nur anraten, seinen Fauxpas einzusehen und eine gütliche Einigung mit der Fotografin zu finden. Damit wäre die Geschichte vom Tisch – und das ein für allemal.
Nicht aber das Thema Contentklau im Internet. Ja, es herrscht heute leider vielfach die Meinung, alles, was das Netz hervorbringe, sei umsonst und frei verfügbar. Das fängt schon in der Grundschule an, und dagegen unternommen wird nichts. Es ist gewiss richtig und sinnvoll, Schüler so früh wie nur möglich zu eigenen Recherchen im Netz (aber nicht nur dort) zu ermutigen. Abkupfern sollten sie aber nicht. Schamloses Copy-Paste von Fotos zur Illustrierung von Schulthemen ist aber selbst beim Lehrpersonal gang und gäbe. Dieser Esprit der freien digitalen Contentnutzung hat sich dermaßen eingebürgert, dass es nicht einfach sein wird, Schüler wieder davon wegzubekommen.
Der Vorfall in Strassen hätte jedenfalls nicht stattfinden dürfen. Ein bisschen mehr Feingefühl, was ist meins, was ist deins, etwas mehr Respekt vor künstlerischer Kreation, und vor allem ein klein bisschen weniger Selbstverliebtheit und Hybris täten auch der Kunst manchmal gut.
Etwas mehr Feingefühl, was ist meins, was ist deins, etwas weniger Hybris.