Bittere Schlappe für Johnson
Die Tories verlieren gleich zwei Nachwahlen deutlich
Die Tories hatten sich auf etwas gefasst gemacht, aber es kam noch schlimmer als befürchtet. Die Regierungspartei erlitt am Donnerstag in zwei Nachwahlen in England desaströse Niederlagen. Sie verlor beide Sitze, einen an Labour, den anderen an die Liberaldemokraten. Die britische Presse schreibt von einem „historischen“und „erniedrigenden“Wahlresultat, das einem „Erdbeben“gleichkomme. Der Vorsitzende der Tory-Partei, Oliver Dowden (nicht zu verwechseln mit dem Parteichef) schmiss kurz nach Bekanntgabe des Resultats das Handtuch: „Jemand muss dafür geradestehen“, schreibt er in seinem Rücktrittsbrief.
Nicht nur das Ausmaß der Niederlagen löst bei den Tories tiefe Sorgen aus, sondern auch die Tatsache, dass sie in zwei sehr verschiedenen Wahlkreisen auf die Nase gefallen sind. Wakefield liegt im nordenglischen Yorkshire und war fast ein Jahrhundert lang fest in der Hand der Labour-Partei. In den Wahlen von 2019 war es Teil jenes Blocks von ehemals sicheren Labour-Sitzen, die an die Tories gingen – ein Stein in der sogenannten „roten Mauer“, die damals zerbröckelte. Der Sitz wurde vakant, nachdem der dortige Tory-MP infolge einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung im Mai zurücktreten musste. Am Donnerstag gewann Labour den Sitz wieder zurück, und zwar mit einer satten Mehrheit von fast 5 000 Stimmen.
Verlust in Tory-Territorium
Ganz anders ist der politische Hintergrund in Tiverton und Honiton, einem ländlichen Sitz in Devon, weit im Südwesten Englands. Dies ist seit Jahrzehnten tiefblaues Tory-Territorium – 2019 gewannen die Konservativen den Sitz mit einer überwältigenden Mehrheit von 24 000 Stimmen. Aber diese Dominanz verpuffte am Donnerstag mit einem Knall: Die Liberaldemokraten triumphierten haushoch, sie gewannen den Sitz mit über 6 000 Stimmen Vorsprung. Auch dieser Sitz war aus wenig rühmlichen Gründen frei geworden: Der bisherige Tory-MP musste zurücktreten, weil er erwischt worden war, als er sich im Unterhaus Pornos anschaute.
In Tiverton und Honiton fügten die Liberaldemokraten den Tories die dritte Wahlniederlage in zwölf Monaten zu. Entsprechend wachsen die Bedenken in Westminster, dass dies einen Trend darstellt. In seinem Rücktrittsschreiben verweist der bisherige Tory-Vorsitzende
Oliver Dowden – bislang ein treuer Anhänger des Premierministers – auf diese Tatsache: „Die gestrigen Nachwahlen waren die letzte in einer ganzen Reihe von sehr schlechten Resultaten für unsere Partei. Unsere Anhänger sind erschüttert und enttäuscht über die jüngsten Ereignisse.“
Letzteres ist wohl eine Anspielung auf die Party-Affäre rund um Boris Johnson, die dem Premierminister und seiner Partei in den vergangenen Monaten zunehmend zu schaffen gemacht hat. Umfragen legen tatsächlich nahe, dass die Wahlverluste zu einem guten Teil auf die Kappe des Premierministers gehen.
In einer Erhebung zu den Gründen, weshalb Wechselwähler in Wakefield für Labour gestimmt haben, sagten die meisten: „Weil Boris Johnson versucht hat, die Party-Affäre zu vertuschen, und weil er die Öffentlichkeit angelogen hat.“Auch in Tiverton und Honiton kommen Meinungsumfragen zu einem ähnlichen Ergebnis. Das wird die Ängste vieler Tory-MPs schüren: Sie befürchten, dass der Premierminister Wähler abschreckt und seiner Partei in den nächsten Parlamentswahlen den Sieg kosten könnte.
Wie gewohnt unbekümmert
So steht Johnson nach den Wahlen am Donnerstag auf noch wackligeren Beinen. Der ehemalige Parteichef Michael Howard sagte am Freitag, Johnson solle jetzt zurücktreten – er ist einer von vielen Tory-Granden, die die Demission des Regierungschefs fordern.
Aber der Premierminister gibt sich wie gewohnt unbekümmert. In Nachwahlen verlieren Regierungsparteien nun mal Sitze, sagte er am Freitag. Auch sei die Krise der Lebenshaltungskosten wohl verantwortlich für die Wahlschlappe. „Wir werden weitermachen und die Sorgen der Leute angehen, bis wir diese Periode hinter uns haben“, sagte Johnson.
Er ist wohl auch deswegen eher entspannt, weil er derzeit nicht in London ist, sondern in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Dort wohnt er dem Gipfel der Commonwealth-Länder bei, der noch bis Sonntag dauert. 6 000 Kilometer entfernt kann sich der Premierminister weitgehend der kritischen Befragung durch Parteikollegen entziehen. Auch nach dem Besuch in Kigali wird er nicht in die Heimat zurückkehren, sondern direkt zu den G7- und NatoGipfeln reisen. Eine so lange Absenz ist ungewöhnlich für einen Premierminister – fast könnte man das Gefühl haben, Johnson verstecke sich vor etwas.