Mehr Wir-Gefühl beim Logement
Wohnungskrise erfordert gemeinsamen gesellschaftlichen Kraftakt
Am Donnerstag haben wir gemeinsam unseren Nationalfeiertag gefeiert. Dabei wurde auch unser Wir-Gefühl beschworen. Doch wir brauchen vor allem Wir-Gefühl und Zusammenhalt im Logement-Alltag. Gerade in der konkreten blau-rot-grünen Wohnungsbau-Politik haben wir jedoch noch jede Mende politischen Nachholbedarf. Dabei stand das Wohnungsmarkt-Problem bei der jüngsten Meinungsfrage erneut an erster Stelle bei den Sorgen der Menschen. Kein Wunder. Denn Wohnen wird zunehmend zum Privileg der Happy Few.
Soziale Schieflage und Sprengstoff
Die Preise am Wohnungsmarkt haben sich über die vergangenen zehn Jahre verdoppelt. Das Einkommen der Menschen hat sich aber weit weniger schnell erhöht. Diese Diskrepanz hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch zugespitzt. In dieser Zeitung konnte man am 28. Mai den Artikel „Arm trotz Arbeit“lesen. 20 Prozent der Mieter müssen die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten ausgeben. Ein Drittel der Mieter zahlt noch 40 Prozent. Nun kommen noch steigende Zinsen hinzu. Dass dies zu einer sozialen Schieflage führen wird, steht außer Frage. Und aus dieser kann schnell sozialer Sprengstoff entstehen.
Schönstimmen mit 31/29-Mehrheit
Fakt ist: Das Hauptproblem der Antragsteller in den Sozialämtern betrifft zumeist die Wohnungssuche. Die CSV hat bereits im Jahr 2019 die Regierung aufgefordert, das Gesetz über die „Offices sociaux“zu überarbeiten. Resultat: ein müdes Abwinken des damaligen DP-Fraktionspräsidenten. Mit der Anmerkung, es handele sich um ein gutes Gesetz wurde der Antrag mit 31 zu 29 Stimmen abgelehnt. So kann man sich zwar die Welt schönstimmen. Doch mit der Problem-Welt der Bürger hat diese wirklichkeitsfremde Politik nichts mehr zu tun. Dabei besteht absoluter Handlungsbedarf. Die Sozialämter müssen gestärkt werden. Das Problem Wohnungsmarkt gehört in die „Offices sociaux“-Gesetze.
Unbeantwortete Wachstumsfrage
Zurück zum Wir-Gefühl. Denn gegen einen Wohnungsmarkt, der sich dermaßen überhitzt hat, muss die Politik in Abkühlung investieren. In anderen Worten: Die ganze Zivilgesellschaft muss an einem Strang ziehen, um das Risiko einer explodierenden Immobilienblase abzuwehren und einer sozialen Katastrophe entgegenzuwirken. Ein weiterer Kernpunkt ist die Wachstumsfrage. Auch diese haben wir mehrfach angesprochen. Mit der Kernthese: Wohlstand und Wohlbefinden gehen nur zusammen. Beide haben auch eine Wohnungsbau-Komponente. Doch auch diese schiebt BlauRot-Grün seit Jahren vor sich her. Wie eine heiße Kartoffel. Ohne Antworten zu geben. Die Wachstumsspirale wird sogar noch befeuert.
Wir haben in der Vergangenheit als CSV zahlreiche konkrete Logement-Vorschläge unterbreitet. Doch sie sind nicht durch die ideologischen Scheuklappen von Blau-Rot-Grün durchgedrungen. Doch nicht nur bei der Opposition wird auf stur geschaltet. Auch die Vorschläge der Zivilgesellschaft werden ohne Argumente ignoriert. So werden mit dieser politischen Mehrheit sowohl eine parteiübergreifende als auch eine gesellschaftsübergreifende Zusammenarbeit unmöglich. Gegen die Mehrheit der Sorgen der Menschen im Land. Als Paradebeispiel der Schieflage zwischen parlamentarischer Mehrheit und Zivilgesellschaft will ich hier den „Analyse und Meinung“-Artikel der Vorsitzenden des parlamentarischen Wohnungsbauausschusses vom 4. Juni in dieser Zeitung anführen. Vorschläge und Meinungen aus der Zivilgesellschaft werden einfach zurückgewiesen, ohne sich tief greifender mit ihnen zu beschäftigen. Ideologie und Regierungsunterwürfigkeit bestimmen den Alltag im Parlament. Von Praxisbezogenheit kann keine Rede mehr sein.
Pragmatische und zielorientierte Prozeduren
Beides ist nicht zielführend in Sachen Wohnungsbau. Gebraucht werden vielmehr pragmatische, einfache und zielorientierte Anpassungen der Gesetze und Prozeduren. Doch die blau-rot-grüne Wohnungsbaupolitik macht das genaue Gegenteil. Statt „simplification administrative“wird die Verwaltungstreppe für die Leute noch länger, werden auch die einzelnen Prozedurstufen noch höher. Und somit noch teurer. Dabei müsste jedem klar sein: Wenn wir eine Entschlackung der Prozeduren nicht hinkriegen, werden sich die Wolken über dem Wohnungsbauhimmel noch weiter verdichten.
Diskrepanz zwischen Marketing und Wirklichkeit
Was hingegen funktioniert, ist das Marketing. So sonnt sich seit Jahren jeder neue Wohnungsbauminister regelmäßig im hellen Licht des Vorzeigeprojektes für erschwinglichen Wohnungsbau „Elmen“der SNHBM in der Gemeinde Kehlen. Was allerdings kein grüner Wohnungsbauminister bisher über die Lippen brachte, ist dass dieses Projekt – laut heutiger grüner Landesplanung – niemals das Licht der Welt erblickt hätte, wäre vor Jahren ein grüner Minister zuständig für Umwelt oder besagte Landesplanung gewesen. Denn das Vorzeigeprojekt wurde vor Jahren aus einer Grünzone
in ein Wohnbaugebiet umklassiert.
Die Probleme der Lieferketten und des Personalmangels
Der neu geschaffene Spezialfonds für öffentlichen Wohnungsbau erhielt die ausdrückliche Zustimmung der CSV. Der Fonds ermöglicht eine bessere Übersicht der öffentlichen Wohnbauprojekte. Der vorherige „Plan de constructions d’ensembles“schuf hierfür die Basis. Schaut man sich indes die Zahlen genauer an, so entsprechen sie nicht der Anzahl erschwinglicher Wohnungen, die in der Praxis pro Jahr umgesetzt werden. Die SNHBM verkündete vor einigen Tagen mit der Fertigstellung von 300 Wohnungen in 2021 ein Rekordjahr. In den kommenden Jahren dürfte diese Zahl noch komplizierter zu erreichen sein. Probleme wie Lieferketten und Personalmangel werden allgegenwärtig sein.
Große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Zur Erinnerung: Premier Xavier Bettel (DP) und die damalige Wohnungsbauministerin Maggy Nagel (DP) verkündeten im Jahr 2014, dass 10 000 neue erschwingliche Wohnungen im Eilverfahren bis 2023 gebaut werden sollen. Bis 2023 dürften bestenfalls knapp 2 500 bis 3 000 Einheiten hinzukommen. Damals wie heute klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wohnungsbauminister Henri Kox (déi Gréng) ist hingegen nuancierter: Bis 2026 sollen laut Spezialfonds 4 420 erschwingliche Wohnungen gebaut werden. Die SNHBM als zurzeit umsatzstärkster öffentlicher Baupromotor schafft pro Jahr maximal 300 Wohnungen. Der Fonds du Logement liegt im Schnitt etwa bei 150 Wohnungen pro Jahr. Die Rechnung ist also schnell gemacht. Die 4 420 erschwinglichen Wohnungen bis 2026 rücken wieder in weite Ferne.
Profis mit ins Boot nehmen
Blau-Rot-Grün kann es also nicht. Der Reflex des gesunden Menschenverstands würde nun nach Hilfe von Profis von außen suchen. Sprich von privaten Bauträgern mit mehr Knowhow. Und warum soll man private Unternehmer über eine klare Gesetzgebung nicht mit in das erschwingliche Mietboot nehmen? Bauunternehmen, Gastronomie und viele andere Betriebe beklagen sich seit Jahren, dass es immer schwieriger wird, kompetentes Fachpersonal zu finden. Die Preise am Wohnungsmarkt schrecken ab. In Bezug auf die „Gestion locative sociale“könnten private Unternehmer und Anleger aktiv werden und erschwingliche Mietwohnungen für ihre Arbeitnehmer oder Mieter schaffen. Das Staatsbudget zur Förderung der „Gestion locative sociale“ist mit zwei Millionen Euro schwindend gering.
Gemeinden werden übergangen
Im Juli 2021 hat die CSV ein Gesetz zur Einbindung privater Unternehmer bei der Schaffung erschwinglicher Mietwohnungen vorgeschlagen. Doch auch dieser Vorlage droht das Abschmettern. So wie beim Mietoder Optionskauf in 2019. Dabei könnte gerade der Miet- oder Optionskauf ein Teil der Lösung bei jungen Haushalten und neuen Erwerbstätigen sein. Bei Vertragsabschluss wird eine Laufdauer von fünf Jahren und eine Miete von maximal zehn Euro pro Quadratmeter festgelegt. Ein Teil der Miete wird als Ersparnis gutgeschrieben. Beim Vertragsabschluss wird der Kaufpreis über „Acte notarié“ebenfalls festgeschrieben, kann auf Wunsch des Mieters aber auch aufgekündigt werden. Der Verkauf läuft über Erbpachtvertrag und einem Vorkaufsrecht über 99 Jahre. Für Blau-Rot-Grün sind dies alles Hirngespinste. Zusammenarbeit sieht anders aus. Dabei war das Regierungs-Mantra der vergangenen Jahre gegenüber den Gemeinden stets deren Einbeziehung. Beim „Pacte Logement 2.0“wurde den kritischen Syvicol-Stellungnahmen hingegen in keinster Weise Rechnung getragen. Stillstand herrscht auch bei der Ausarbeitung neuer PAPs (Teilbebauungspläne) da Artikel 29bis des „Aménagement communal“nicht praxistauglich ist.
Einbindung sieht anders aus
Doch es geht noch schlimmer. Beim Gesetz über die Wohnungsbauhilfe wurde das Gemeindesyndikat Syvicol übergangen. Frei nach dem Motto „Vogel friss oder stirb“wurde das 79er Gesetz zur „Aide au logement“im Dezember 2021 in der Abgeordnetenkammer eingereicht ohne Absprache mit den Gemeinden. Dabei hat dieses Gesetz einen tief greifenden Einschlag auf die Gemeindeautonomie. Und es beinhaltet keine Vereinfachung der Prozeduren. Die Gemeinden werden öffentlich vorgeführt und der soziale Anbieter am öffentlichen Wohnungsmarkt dürfte auch Probleme haben, zuzustimmen. Dass private Anleger oder Unternehmer leer ausgehen würden, war gewusst. Eine Einbindung der Zivilgesellschaft und die Bündelung aller öffentlichen Kräfte sehen ebenfalls anders aus.
Blau-Rot-Grün hat nicht geliefert
Die blau-rot-grüne Mehrheit verfolgt derweil weiter mantra-artig ihr Machtprinzip „Här ass Här a Max ass Max“. Und dies mit einer 31/29-Mehrheit! Doch die Wirklichkeit lässt sich weder schönstimmen noch schönreden. Auch in Sachen Logement hat Blau-Rot-Grün nach neun Jahren nicht geliefert. Das Problem Nummer eins der Menschen wurde entgegen den eigenen Versprechen nicht konsequent angegangen. Von einer nachhaltigen Lösung oder gar von Zukunftsperspektiven für junge Leute nicht zu reden. Dies muss sich ändern, wenn Luxemburg auch in Zukunft ein Land des sozialen Friedens bleiben soll.
Der Autor ist CSV-Abgeordneter und Bürgermeister der Gemeinde Hesperingen.