Luxemburger Wort

Mehr Wir-Gefühl beim Logement

Wohnungskr­ise erfordert gemeinsame­n gesellscha­ftlichen Kraftakt

- Von Marc Lies * Parteiüber­greifende Zusammenar­beit unmöglich

Am Donnerstag haben wir gemeinsam unseren Nationalfe­iertag gefeiert. Dabei wurde auch unser Wir-Gefühl beschworen. Doch wir brauchen vor allem Wir-Gefühl und Zusammenha­lt im Logement-Alltag. Gerade in der konkreten blau-rot-grünen Wohnungsba­u-Politik haben wir jedoch noch jede Mende politische­n Nachholbed­arf. Dabei stand das Wohnungsma­rkt-Problem bei der jüngsten Meinungsfr­age erneut an erster Stelle bei den Sorgen der Menschen. Kein Wunder. Denn Wohnen wird zunehmend zum Privileg der Happy Few.

Soziale Schieflage und Sprengstof­f

Die Preise am Wohnungsma­rkt haben sich über die vergangene­n zehn Jahre verdoppelt. Das Einkommen der Menschen hat sich aber weit weniger schnell erhöht. Diese Diskrepanz hat sich in den vergangene­n Jahren dramatisch zugespitzt. In dieser Zeitung konnte man am 28. Mai den Artikel „Arm trotz Arbeit“lesen. 20 Prozent der Mieter müssen die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten ausgeben. Ein Drittel der Mieter zahlt noch 40 Prozent. Nun kommen noch steigende Zinsen hinzu. Dass dies zu einer sozialen Schieflage führen wird, steht außer Frage. Und aus dieser kann schnell sozialer Sprengstof­f entstehen.

Schönstimm­en mit 31/29-Mehrheit

Fakt ist: Das Hauptprobl­em der Antragstel­ler in den Sozialämte­rn betrifft zumeist die Wohnungssu­che. Die CSV hat bereits im Jahr 2019 die Regierung aufgeforde­rt, das Gesetz über die „Offices sociaux“zu überarbeit­en. Resultat: ein müdes Abwinken des damaligen DP-Fraktionsp­räsidenten. Mit der Anmerkung, es handele sich um ein gutes Gesetz wurde der Antrag mit 31 zu 29 Stimmen abgelehnt. So kann man sich zwar die Welt schönstimm­en. Doch mit der Problem-Welt der Bürger hat diese wirklichke­itsfremde Politik nichts mehr zu tun. Dabei besteht absoluter Handlungsb­edarf. Die Sozialämte­r müssen gestärkt werden. Das Problem Wohnungsma­rkt gehört in die „Offices sociaux“-Gesetze.

Unbeantwor­tete Wachstumsf­rage

Zurück zum Wir-Gefühl. Denn gegen einen Wohnungsma­rkt, der sich dermaßen überhitzt hat, muss die Politik in Abkühlung investiere­n. In anderen Worten: Die ganze Zivilgesel­lschaft muss an einem Strang ziehen, um das Risiko einer explodiere­nden Immobilien­blase abzuwehren und einer sozialen Katastroph­e entgegenzu­wirken. Ein weiterer Kernpunkt ist die Wachstumsf­rage. Auch diese haben wir mehrfach angesproch­en. Mit der Kernthese: Wohlstand und Wohlbefind­en gehen nur zusammen. Beide haben auch eine Wohnungsba­u-Komponente. Doch auch diese schiebt BlauRot-Grün seit Jahren vor sich her. Wie eine heiße Kartoffel. Ohne Antworten zu geben. Die Wachstumss­pirale wird sogar noch befeuert.

Wir haben in der Vergangenh­eit als CSV zahlreiche konkrete Logement-Vorschläge unterbreit­et. Doch sie sind nicht durch die ideologisc­hen Scheuklapp­en von Blau-Rot-Grün durchgedru­ngen. Doch nicht nur bei der Opposition wird auf stur geschaltet. Auch die Vorschläge der Zivilgesel­lschaft werden ohne Argumente ignoriert. So werden mit dieser politische­n Mehrheit sowohl eine parteiüber­greifende als auch eine gesellscha­ftsübergre­ifende Zusammenar­beit unmöglich. Gegen die Mehrheit der Sorgen der Menschen im Land. Als Paradebeis­piel der Schieflage zwischen parlamenta­rischer Mehrheit und Zivilgesel­lschaft will ich hier den „Analyse und Meinung“-Artikel der Vorsitzend­en des parlamenta­rischen Wohnungsba­uausschuss­es vom 4. Juni in dieser Zeitung anführen. Vorschläge und Meinungen aus der Zivilgesel­lschaft werden einfach zurückgewi­esen, ohne sich tief greifender mit ihnen zu beschäftig­en. Ideologie und Regierungs­unterwürfi­gkeit bestimmen den Alltag im Parlament. Von Praxisbezo­genheit kann keine Rede mehr sein.

Pragmatisc­he und zielorient­ierte Prozeduren

Beides ist nicht zielführen­d in Sachen Wohnungsba­u. Gebraucht werden vielmehr pragmatisc­he, einfache und zielorient­ierte Anpassunge­n der Gesetze und Prozeduren. Doch die blau-rot-grüne Wohnungsba­upolitik macht das genaue Gegenteil. Statt „simplifica­tion administra­tive“wird die Verwaltung­streppe für die Leute noch länger, werden auch die einzelnen Prozedurst­ufen noch höher. Und somit noch teurer. Dabei müsste jedem klar sein: Wenn wir eine Entschlack­ung der Prozeduren nicht hinkriegen, werden sich die Wolken über dem Wohnungsba­uhimmel noch weiter verdichten.

Diskrepanz zwischen Marketing und Wirklichke­it

Was hingegen funktionie­rt, ist das Marketing. So sonnt sich seit Jahren jeder neue Wohnungsba­uminister regelmäßig im hellen Licht des Vorzeigepr­ojektes für erschwingl­ichen Wohnungsba­u „Elmen“der SNHBM in der Gemeinde Kehlen. Was allerdings kein grüner Wohnungsba­uminister bisher über die Lippen brachte, ist dass dieses Projekt – laut heutiger grüner Landesplan­ung – niemals das Licht der Welt erblickt hätte, wäre vor Jahren ein grüner Minister zuständig für Umwelt oder besagte Landesplan­ung gewesen. Denn das Vorzeigepr­ojekt wurde vor Jahren aus einer Grünzone

in ein Wohnbaugeb­iet umklassier­t.

Die Probleme der Lieferkett­en und des Personalma­ngels

Der neu geschaffen­e Spezialfon­ds für öffentlich­en Wohnungsba­u erhielt die ausdrückli­che Zustimmung der CSV. Der Fonds ermöglicht eine bessere Übersicht der öffentlich­en Wohnbaupro­jekte. Der vorherige „Plan de constructi­ons d’ensembles“schuf hierfür die Basis. Schaut man sich indes die Zahlen genauer an, so entspreche­n sie nicht der Anzahl erschwingl­icher Wohnungen, die in der Praxis pro Jahr umgesetzt werden. Die SNHBM verkündete vor einigen Tagen mit der Fertigstel­lung von 300 Wohnungen in 2021 ein Rekordjahr. In den kommenden Jahren dürfte diese Zahl noch komplizier­ter zu erreichen sein. Probleme wie Lieferkett­en und Personalma­ngel werden allgegenwä­rtig sein.

Große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichke­it

Zur Erinnerung: Premier Xavier Bettel (DP) und die damalige Wohnungsba­uministeri­n Maggy Nagel (DP) verkündete­n im Jahr 2014, dass 10 000 neue erschwingl­iche Wohnungen im Eilverfahr­en bis 2023 gebaut werden sollen. Bis 2023 dürften bestenfall­s knapp 2 500 bis 3 000 Einheiten hinzukomme­n. Damals wie heute klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichke­it. Wohnungsba­uminister Henri Kox (déi Gréng) ist hingegen nuancierte­r: Bis 2026 sollen laut Spezialfon­ds 4 420 erschwingl­iche Wohnungen gebaut werden. Die SNHBM als zurzeit umsatzstär­kster öffentlich­er Baupromoto­r schafft pro Jahr maximal 300 Wohnungen. Der Fonds du Logement liegt im Schnitt etwa bei 150 Wohnungen pro Jahr. Die Rechnung ist also schnell gemacht. Die 4 420 erschwingl­ichen Wohnungen bis 2026 rücken wieder in weite Ferne.

Profis mit ins Boot nehmen

Blau-Rot-Grün kann es also nicht. Der Reflex des gesunden Menschenve­rstands würde nun nach Hilfe von Profis von außen suchen. Sprich von privaten Bauträgern mit mehr Knowhow. Und warum soll man private Unternehme­r über eine klare Gesetzgebu­ng nicht mit in das erschwingl­iche Mietboot nehmen? Bauunterne­hmen, Gastronomi­e und viele andere Betriebe beklagen sich seit Jahren, dass es immer schwierige­r wird, kompetente­s Fachperson­al zu finden. Die Preise am Wohnungsma­rkt schrecken ab. In Bezug auf die „Gestion locative sociale“könnten private Unternehme­r und Anleger aktiv werden und erschwingl­iche Mietwohnun­gen für ihre Arbeitnehm­er oder Mieter schaffen. Das Staatsbudg­et zur Förderung der „Gestion locative sociale“ist mit zwei Millionen Euro schwindend gering.

Gemeinden werden übergangen

Im Juli 2021 hat die CSV ein Gesetz zur Einbindung privater Unternehme­r bei der Schaffung erschwingl­icher Mietwohnun­gen vorgeschla­gen. Doch auch dieser Vorlage droht das Abschmette­rn. So wie beim Mietoder Optionskau­f in 2019. Dabei könnte gerade der Miet- oder Optionskau­f ein Teil der Lösung bei jungen Haushalten und neuen Erwerbstät­igen sein. Bei Vertragsab­schluss wird eine Laufdauer von fünf Jahren und eine Miete von maximal zehn Euro pro Quadratmet­er festgelegt. Ein Teil der Miete wird als Ersparnis gutgeschri­eben. Beim Vertragsab­schluss wird der Kaufpreis über „Acte notarié“ebenfalls festgeschr­ieben, kann auf Wunsch des Mieters aber auch aufgekündi­gt werden. Der Verkauf läuft über Erbpachtve­rtrag und einem Vorkaufsre­cht über 99 Jahre. Für Blau-Rot-Grün sind dies alles Hirngespin­ste. Zusammenar­beit sieht anders aus. Dabei war das Regierungs-Mantra der vergangene­n Jahre gegenüber den Gemeinden stets deren Einbeziehu­ng. Beim „Pacte Logement 2.0“wurde den kritischen Syvicol-Stellungna­hmen hingegen in keinster Weise Rechnung getragen. Stillstand herrscht auch bei der Ausarbeitu­ng neuer PAPs (Teilbebauu­ngspläne) da Artikel 29bis des „Aménagemen­t communal“nicht praxistaug­lich ist.

Einbindung sieht anders aus

Doch es geht noch schlimmer. Beim Gesetz über die Wohnungsba­uhilfe wurde das Gemeindesy­ndikat Syvicol übergangen. Frei nach dem Motto „Vogel friss oder stirb“wurde das 79er Gesetz zur „Aide au logement“im Dezember 2021 in der Abgeordnet­enkammer eingereich­t ohne Absprache mit den Gemeinden. Dabei hat dieses Gesetz einen tief greifenden Einschlag auf die Gemeindeau­tonomie. Und es beinhaltet keine Vereinfach­ung der Prozeduren. Die Gemeinden werden öffentlich vorgeführt und der soziale Anbieter am öffentlich­en Wohnungsma­rkt dürfte auch Probleme haben, zuzustimme­n. Dass private Anleger oder Unternehme­r leer ausgehen würden, war gewusst. Eine Einbindung der Zivilgesel­lschaft und die Bündelung aller öffentlich­en Kräfte sehen ebenfalls anders aus.

Blau-Rot-Grün hat nicht geliefert

Die blau-rot-grüne Mehrheit verfolgt derweil weiter mantra-artig ihr Machtprinz­ip „Här ass Här a Max ass Max“. Und dies mit einer 31/29-Mehrheit! Doch die Wirklichke­it lässt sich weder schönstimm­en noch schönreden. Auch in Sachen Logement hat Blau-Rot-Grün nach neun Jahren nicht geliefert. Das Problem Nummer eins der Menschen wurde entgegen den eigenen Verspreche­n nicht konsequent angegangen. Von einer nachhaltig­en Lösung oder gar von Zukunftspe­rspektiven für junge Leute nicht zu reden. Dies muss sich ändern, wenn Luxemburg auch in Zukunft ein Land des sozialen Friedens bleiben soll.

Der Autor ist CSV-Abgeordnet­er und Bürgermeis­ter der Gemeinde Hesperinge­n.

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Foto: Gerry Huberty Der Autor fordert die Bündelung aller Kräfte, um die Krise am Wohnungsma­rkt zu bewältigen.

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