Liebe und Leben im digitalen Zeitalter
Daniel Wissers neuer Erzählband, geschrieben in einem lakonischen, mal humorvollen, mitunter auch etwas traurigen Ton
Unlängst feierte das „Blaue Sofa“Premiere in der „Bibliothèque nationale du Luxembourg“(siehe LW, 15. Juni). Bei dieser Gelegenheit präsentierte der österreichische Autor Daniel Wisser, geboren 1971, seinen Erzählband „Die erfundene Frau“.
In 22 Geschichten, mit Frauennamen übertitelt, geschrieben in einem lakonischen, mal humorvollen, aber mitunter auch etwas traurigen Ton nähert sich der Autor der ewigen menschlichen Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, schildert dabei die bisweilen recht skurrilen Annäherungsversuche und erzählt aber auch vom Unglück in der Liebe. Daniel Wisser
beschreibt Menschen mit all ihren Schwächen, bleibt dabei jedoch stets wohlwollend-freundlich.
In seinen, mit gekonnter, stilistischer Sparsamkeit vermittelten Erzählungen, die allesamt mit einem offenen Schluss enden, gibt der Autor einen wenngleich knapp-verdichteten, dennoch sehr intimen Einblick in zweiundzwanzig völlig unterschiedliche Frauenleben in einer hochkomplexen, digital vernetzten Gegenwart.
Gemein ist sämtlichen Figuren der für sie oftmals hochkomplizierte Spagat zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und der gleichzeitigen Angst vor Enttäuschungen, begleitet vom Wunsch nach Distanz, ein Widerspruch, der oftmals von einer stillen AlltagsTragik begleitet wird, die aber meist komisch-grotesk abgemildert wird.
Auffallend sind die schwächlichen, tendenziell neurotischen, bindungsgestörten Männerfiguren,
Daniel Wisser: Die erfundene Frau, Erzählungen, Luchterhand Verlag, 2022, 240 Seiten, 23,10 Euro.
die dem Leben – zumindest in Beziehungen – nicht gewachsen zu sein scheinen und Konflikten (meist) aus Feigheit notorisch aus dem Weg gehen. Die Frauen sind teilweise nicht minder problematisch, es gelingt ihnen aber zumindest in Ansätzen, ihre Gedanken und Gefühle klarer für sich und andere zu erkennen und zu formulieren und eventuell kritisch zu hinterfragen.
Sämtliche, ebenso wendungsreichen wie sehr persönlichen, meist aus personaler Erzählperspektive, teilweise aber auch aus der Sicht eines Ich-Erzählers erzählten Lebensgeschichten sind zutiefst geprägt von (emotionalem) Alltagschaos, den (nicht immer angenehmen) Überraschungen des Lebens und dem durchgängigen Gefühl der Einsamkeit, das meist nur durch sehr kurze erotische Begegnungen unterbrochen wird. Auch wenn die Figuren mitunter als kauzige Sonderlinge und Messies pointiert gezeichnet sind, kann man sich als Leser dennoch bisweilen ein (wissendes) Schmunzeln nicht verkneifen bei der Lektüre von Wissers Kurzgeschichten, die jedenfalls etwas auszeichnet, nämlich die zutiefst menschliche Authentizität der handelnden Personen, die psychologisch überaus stimmig vermittelt werden. Die Handlung ist immer in der Gegenwart angesiedelt, worauf u. a. die Andeutungen auf Corona und Videokonferenzen, sowie die in gewissen Kreisen grassierende Fremdenfeindlichkeit im Gefolge der rezenten Migrationsbewegungen hindeuten.
Man nimmt dem Autor – der eigenen Angaben auf dem „Blauen Sofa“zufolge – zu seinen Erzählungen insbesondere vom Zuhören der Menschen im öffentlichen Raum inspiriert wird, seine Geschichten jedenfalls durchaus ab, wenn man sich darauf einlässt und sie vielleicht selbst über ihren offenen Schluss hinaus weiterspinnt!
Eine lohnende, abwechslungsreiche und inspirierende Lektüre um die (unergründlichen) Unwägbarkeiten menschlicher Empfindungen und Handlungsweisen.