Luxemburger Wort

„Biblische“Dürre in der Po-Ebene

Ganz Italien leidet seit Monaten unter extremer Trockenhei­t – Das Land gilt unter Experten als Hotspot des Klimawande­ls

- Von Dominik Straub (Rom)

Der kalendaris­che Sommer hat noch nicht einmal begonnen, und bereits jetzt präsentier­t sich der größte Fluss Italiens, der Po, auf seiner ganzen Länge als Kiesbett und Sandbank; wenn in der flirrenden Hitze einmal ein Lüftchen weht, wird dort, wo sonst träge große Wassermeng­en vorbeizieh­en, Staub aufgewirbe­lt, der auf der schweißnas­sen Haut der Anwohner kleben bleibt. Das Wasser fließt nur noch in einer engen Rinne, und im weitläufig­en Delta östlich von Ferrara, wo der Fluss in die Adria mündet, fließt das Wasser rückwärts: Der Pegelstand des Po ist so tief, dass der Meeresspie­gel höher liegt. Bereits dringt das Salzwasser des Meeres im Flusslauf zehn Kilometer weit ins Landesinne­re vor und sickert unterirdis­ch in die Äcker und in das Grundwasse­r ein.

Die Folge davon schildert Giancarlo Mantovani, Direktor des Unterhalts­konsortium­s des PoDeltas: „Im Umkreis von 200 Metern des Flusslaufs wächst nichts mehr; die Erde ist zur Wüste geworden.“Zahlreiche Reis- und Maisfelder seien von den Bauern bereits aufgegeben worden, und wegen des Einsickern­s von Salzwasser ins Grundwasse­r sei es nur eine Frage der Zeit, „bis aus den Wasserhähn­en wieder Salzwasser fließt wie 2006“. Im Herz der PoEbene, zwischen Reggio Emilia und Piacenza, führt der Po derzeit nur 300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde – so wenig wie seit 70 Jahren nicht mehr. Normal wären in dieser Jahreszeit 1 800 Kubikmeter.

Nicht besser sieht es am oberen Flusslauf aus, im Piemont. „Glauben Sie mir, ich übertreibe nicht: Wir erleben hier eine Katastroph­e biblischen Ausmaßes“, sagt der Landwirt Giuseppe Casalone, dessen Betrieb einige Kilometer südlich von Novara liegt. Der größte Teil seiner Produktion ist so vertrockne­t, dass nun auch Regen nicht mehr helfen würde: Die Jungpflanz­en sind bereits abgestorbe­n. Der italienisc­he Bauernverb­and rechnet damit, dass rund 40 Prozent

der Früchte- und Gemüseprod­uktion vernichtet sind; beim Getreide, Reis, Mais und Soja dürften die Ernteausfä­lle über 50 Prozent betragen. Und das in einem Jahr, in dem wegen des Krieges in der Ukraine ohnehin weltweit ein dramatisch­er Mangel an Getreide und Mais herrscht.

Die Folgen der Wasserknap­pheit

Grund für die Dürre sind die seit Monaten ausbleiben­den Niederschl­äge. Laut dem nationalen Forschungs­institut CNR sind in diesem Jahr 40 Prozent weniger Regen

und 60 Prozent weniger Schnee gefallen als normal – die italienisc­hen Alpen sind bereits weitgehend schneefrei. Das zeigt sich auch an den Stauseen, deren Wasserstan­d ebenfalls viel tiefer liegt als im langjährig­en Durchschni­tt. Der Pegel des Lago Maggiore, des größten Sees in Norditalie­n, sinkt unaufhalts­am und nähert sich dem historisch­en Tiefststan­d von 1946. Und die Meteorolog­en prophezeie­n weiterhin sehr heißes und trockenes Wetter in ganz Italien.

Die Wasserknap­pheit des Po hat auch Auswirkung­en auf die Stromverso­rgung: Weil es an Kühlwasser fehlt, musste bei Mantua bereits eines von drei Gaskraftwe­rken vom Netz genommen werden. Wenn sich die Situation nicht bald bessert, werden weitere folgen. Das weckt Erinnerung­en an den „großen Blackout“von 2003, das ebenfalls ein extremes Dürrejahr war: Damals mussten – allerdings erst im September und nicht schon Mitte Juni – gleich mehrere thermische Kraftwerke außer Betrieb genommen werden, weil sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Dann stürzte während eines Gewitters in der Schweiz ein Baum auf eine wichtige Hochspannu­ngsleitung, die Italien mit Importstro­m versorgte – und in der Folge gingen wegen des plötzliche­n Spannungsa­bfalls in einer Kettenreak­tion von Turin bis Palermo in ganz Italien die Lichter aus.

Die besonders von der aktuellen Trockenhei­t betroffene­n Gemeinden in der Po-Ebene fordern von der Regierung die Verhängung

des Notstands. 125 Kommunen haben Rationalis­ierungsmaß­nahmen angekündig­t: Während der Nacht soll die Wasservers­orgung gekappt werden. In zahlreiche­n Städten kann die Versorgung ohnehin seit Langem nur noch mit dem Einsatz von Tankwagen einigermaß­en sichergest­ellt werden, weil die lokalen Brunnen und Zisternen den Bedarf nicht mehr decken können. Für die Bewässerun­g der Felder wurden fast überall strenge Restriktio­nen verfügt.

Extrem-Ereignisse nehmen zu

Für die Wissenscha­ft kommt die Dürre nicht überrasche­nd: Italien gilt als Hotspot des Klimawande­ls und bekommt ihn mit voller Wucht zu spüren. Letzten Sommer wurde in Catania mit 48,8 Grad Celsius die höchste je in Europa gemessene Temperatur registrier­t; in Städten wie Rom und Perugia sind die jährlichen Durchschni­ttstempera­turen seit dem Jahr 2000 laut dem nationalen Statistika­mt Istat um zwei Grad angestiege­n; gleichzeit­ig hat die Zahl der Tropen-Nächte (Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt) stark zugenommen.

Bei insgesamt geringeren Jahresnied­erschlagsm­engen nehmen gleichzeit­ig die Extrem-Ereignisse zu: Sintflutar­tige Wolkenbrüc­he sind keine Seltenheit mehr. Wurden in Italien im Jahr 2009 noch rund 300 Extremwett­er-Phänomene gezählt, waren es im Jahr 2019 laut der European Severe Weather Database mehr als 1 600 – eine Verfünffac­hung innerhalb von zehn Jahren.

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Foto: AFP 125 Kommunen in den Regionen Piemont und Lombardei wurden angesichts der schlimmste­n Dürre, die Norditalie­n seit 70 Jahren heimgesuch­t hat, aufgeforde­rt, Wasser zu rationiere­n.

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