Luxemburger Wort

Fragile Allianz

- Von Françoise Hanff

Bereits vor seinem Auftakt am Mittwoch verdient der NATO-Gipfel in Madrid das Prädikat „historisch“. Denn die Türkei hat ihre Blockade aufgegeben, sodass einem raschen Beitritt Finnlands und Schwedens in das nordatlant­ische Verteidigu­ngsbündnis nichts mehr im Weg steht. Die Norderweit­erung, verursacht durch Russlands brutalen Angriffskr­ieg auf die Ukraine, ist eine Zeitenwend­e für die Allianz, die in den letzten Jahren mal als „obsolet“, mal als „hirntot“bezeichnet wurde. Und doch ist die NATO ein Koloss auf tönernen Füßen.

Es läuft im Moment nicht gut für Wladimir Putin. Russlands Präsident hat sich im Krieg gegen sein angebliche­s Brudervolk arg verkalkuli­ert. Seine anfänglich­en Ziele einer raschen Einnahme der Ukraine sind kläglich gescheiter­t. Russland hat sich mittlerwei­le als Militärmac­ht entzaubert. Ferner hat der Mann im Kreml den Westen geeint und insbesonde­re der NATO neues Leben eingehauch­t.

Nicht nur die Stärkung der verletzlic­hen Ostflanke und ein neues strategisc­hes Konzept sind beschlosse­ne Sache, auch wird sich die Landgrenze zu Russland dank Finnlands Beitritt mit einem Mal verdoppeln. Ein herber Rückschlag für Putin, der weniger NATO wollte und nun mehr NATO vor seiner Haustür bekommt. Darüber hinaus verfügen sowohl Schweden als auch Finnland über leistungsf­ähige Armeen, und – was für Moskau besonders schmerzhaf­t ist – die Ostsee wird fortan zum NATO-Binnenmeer, was der Sicherheit des Baltikums zugutekomm­t.

Doch zum Jubeln ist es noch zu früh. Einerseits nehmen Putins Soldaten langsam, aber sicher ukrainisch­es Territoriu­m ein. Putin hat seinen Zielen, nämlich der Vernichtun­g seines Nachbarlan­des und der Wiederhers­tellung des sowjetisch­en Imperiums, keinesfall­s abgeschwor­en – und dabei sollte man ihn ernst nehmen. Anderersei­ts hat das Gerangel mit der Türkei um die Norderweit­erung gezeigt, wie fragil die Allianz ist. Alle wichtigen Entscheidu­ngen fallen im Nordatlant­ikrat, die dort getroffene­n Beschlüsse müssen einstimmig sein. Dieses Prinzip nutzte der Autokrat Recep Tayyip Erdogan skrupellos aus, um wieder einmal den starken Mann zu markieren und innenpolit­isch im Vorfeld der 2023 anstehende­n Wahlen zu punkten.

Und die Erinnerung­en an US-Präsident Donald Trump und dessen Drohungen und Erpressung­sversuche dürften den Alliierten heute noch in den Knochen sitzen. Mit Joe Biden ist glückliche­rweise ein besonnener Mann im Weißen Haus, der den Ernst der Stunde für den europäisch­en Kontinent erkannt hat. Aber irgendwann wird er sich dem aufsteigen­den Hegemon China zuwenden wollen. Und wenn es wirklich schlecht läuft, dann wird Biden 2024 von Trump oder einem seiner Gesinnungs­genossen abgelöst – mit Folgen, die man sich lieber nicht ausmalen möchte ...

Dies hat auch Putin erkannt. Und er hat Zeit. Gestern und heute wird in Madrid – zu Recht – gefeiert. Doch es bleibt zu hoffen, dass es nicht früher oder später Grund für Katerstimm­ung gibt.

Die NATO hat zurzeit allen Grund zum Feiern. Doch das muss nicht so bleiben.

Kontakt: francoise.hanff@wort.lu

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