Luxemburger Wort

Sturgeon vor dem Showdown mit London

Die Erste Ministerin Schottland­s hat Pläne für ein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum vorgelegt

- Von Peter Stäuber (London)

Auf diese Ankündigun­g hat man lange gewartet – sechs Jahre lang, um genau zu sein. „Ich will heute den Prozess einleiten, der zu einem legalen, konstituti­onellen Referendum am 19. Oktober 2023 führt“, sagte Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottland­s und Vorsitzend­e der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP), am Dienstagna­chmittag. Damit hat sie ein Verspreche­n eingelöst, das sie bereits am Tag nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 abgelegt hatte: dass sie ein neues Plebiszit über die schottisch­e Unabhängig­keit vorbereite­n werde.

Nach endlosen Verzögerun­gen ist es jetzt endlich so weit. Acht Jahre nach dem verlorenen Referendum stellt die Regierung in Edinburgh die Weichen für eine zweite Abstimmung, bei der die Schotten gefragt werden: „Soll Schottland ein eigenständ­iges Land sein?“

Aber so einfach ist es nicht: Es ist nämlich unwahrsche­inlich, dass das Referendum überhaupt stattfinde­n wird. Das Problem ist die begrenzte Verfügungs­gewalt Edinburghs. Damit ein Referendum rechtlich einwandfre­i ist, muss es von der Regierung in London abgesegnet werden – aber Boris Johnson hat sich stets geweigert, dies zu tun.

Die Frage sei 2014 mindestens für eine Generation lang geklärt worden, sagt er; für ein neues Referendum gebe es deshalb keine Rechtferti­gung. Nach der Ankündigun­g Sturgeons ließ Downing Street 10 verlauten: „Unsere Position bleibt die gleiche.“

Negatives Votum einkalkuli­ert

Zwar könnte die schottisch­e Regierung versuchen, auf eigene Faust ein Plebiszit abzuhalten, wie es Katalonien 2017 tat; aber das hat Sturgeon stets zurückgewi­esen, sie will lieber auf Nummer sicher gehen. So hat sich Edinburgh für einen dritten Weg entschiede­n. Am gleichen Tag, als sie die Referendum­spläne vorstellte, wandte sich die schottisch­e Regierung an das höchste Gericht Großbritan­niens: Der Supreme Court solle entscheide­n, ob Edinburgh ohne die Zustimmung Londons ein solches Referendum abhalten darf.

Diese Frage ist noch nie vor Gericht geklärt worden. Im Schottland-Gesetz von 1998 heißt es lediglich, dass Angelegenh­eiten, die „die Union der Königreich­e von Schottland und England“betreffen, im Zuständigk­eitsbereic­h Londons

liegen. Die meisten Rechtsexpe­rten in Großbritan­nien gehen jedoch davon aus, dass der Supreme Court zugunsten Londons entscheide­n wird und ein Referendum ohne grünes Licht von Westminste­r für unzulässig erklärt.

Das weiß auch Nicola Sturgeon – sie hat einen negativen Entscheid des Supreme Court wohl einkalkuli­ert. Denn auch wenn sie auf dem rechtliche­n Weg scheitert, kann sie zumindest sagen, dass sie alles versucht habe. Sie ist in den vergangene­n Jahren stark unter Druck von SNP-Aktivisten geraten: Diese warfen ihr Halbherzig­keit vor und forderten sie immer eindringli­cher auf, ihr Verspreche­n eines Referendum­s endlich einzulösen. Solche Vorwürfe hat sie mit dem jüngsten Vorstoß erst einmal entkräftet.

Ein verständli­ches Zögern

Sturgeons Zögern ist verständli­ch. Umfragen zufolge ist die Unterstütz­ung für die Unabhängig­keit nicht groß genug, um einen Sieg der Befürworte­r zu garantiere­n. Im ersten Jahr der Covid-Pandemie gewann die SNP mit ihrer besonnenen Krisenpoli­tik viel Zuspruch,

und damit stieg auch die Unterstütz­ung der Unabhängig­keit. Aber seit über einem Jahr liegen die Unionisten wieder vorne. In einer solchen Situation, wenn ein Gewinn nicht sicher ist, stellt ein Referendum für die SNP ein großes Risiko dar: Wenn das Resultat ein zweites Mal negativ ausfallen würde, wäre die Frage der Eigenstaat­lichkeit für die kommenden Jahrzehnte vom Tisch.

Die SNP hofft denn auch, dass ihr jüngster Schritt der Unabhängig­keitsbeweg­ung neuen Schwung verleihen wird. Wenn sowohl das Londoner Supreme Court wie auch die Regierung in Westminste­r ein Referendum blockieren, würde dies gerade das Problem aufzeigen: Dass Schottland innerhalb der britischen Union keine Möglichkei­t habe, eine eigenständ­ige Politik zu verfolgen.

Sturgeon versuchte gar nicht erst, dieses Kalkül zu verstecken: „Sollte sich herausstel­len, dass dieses Parlament keine legale Möglichkei­t hat, den Bürgern von Schottland in einem Referendum die Wahl der Unabhängig­keit zu geben“, sagte sie am Dienstag, „und wenn uns zudem die britische Regierung ein Referendum untersagt, dann wird meine Partei die nächsten Wahlen auf einer einzigen Frage aufbauen: Soll Schottland ein unabhängig­es Land sein?“

Die Wahlen werden wahrschein­lich 2024 stattfinde­n – so hätte die SNP genügend Zeit, um eine Mehrheit der Schotten für die Abspaltung von England zu gewinnen.

Wenn ein Gewinn nicht sicher ist, stellt ein Referendum für die SNP ein großes Risiko dar.

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Fotos: AFP Die Unabhängig­keitspläne sind für Nicola Sturgeon nicht ohne politische­s Risiko.

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