Massive Erhöhung der Kampfkraft
Das neue strategische Konzept der NATO stuft Russland als eine Bedrohung und China als eine Herausforderung ein
Madrid. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine will die NATO ihre Kampfkraft massiv erhöhen. Auf dem Gipfel des Bündnisses in Madrid wurde ein neues strategisches Konzept beschlossen, das Russlands Präsidenten Wladimir Putin letztlich von möglichen militärischen Aggressionen gegen weitere Länder abschrecken soll. Zugleich sagte die NATO der Ukraine zu, sie im Krieg gegen Russland so lange wie nötig mit weiteren Hilfen zu unterstützen.
In dem neuen strategischen Konzept der NATO wird Russland als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“bezeichnet, China als Herausforderung.
Eingreiftruppe mit 300 000 anstatt 40 000 Soldaten
Um schnell handlungsfähig zu sein, entschied die NATO, die bislang rund 40 000 Soldaten umfassende Eingreiftruppe durch ein neues Streitkräfte-Modell mit mehr als 300 000 schnell einsatzfähigen Kräften zu ersetzen. „Sie werden in ihren eigenen Ländern stationiert, aber schon bestimmten Staaten und Gebieten zugewiesen und verantwortlich sein für die Verteidigung dieser Gebiete“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Schwere Waffen und schweres Gerät sollen bereits in den Einsatzgebieten vorgehalten werden. Für die Truppen sollen feste Zeiten für die Einsatzbereitschaft vorgegeben werden. Im Gespräch ist, dass manche Einheiten innerhalb von höchstens zehn Tagen verlegebereit sein müssten, andere in 30 oder 50 Tagen. Details sollen in neuen regionalen Verteidigungsplänen festgelegt werden, die 2030 fertig sein sollen. US-Präsident Joe Biden sagte am Rande des NATO-Gipfels: „Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir dafür sorgen, dass die NATO in der Lage ist, Bedrohungen aus allen Richtungen und in allen Bereichen – zu Lande, in der Luft und auf See – zu begegnen.“Ein Schwerpunkt der US-Truppenverstärkungen sei die Ostflanke der NATO. „Putin wollte die Finnlandisierung Europas. Er wird die Natoisierung Europas bekommen“, sagte Biden.
Nach Worten des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte geht vom Gipfel in Madrid ein Zeichen der Geschlossenheit aus.
„Heute ist eine Gelegenheit zu zeigen, dass die NATO zurück ist“, sagte Rutte. Ähnlich äußerte sich der britische Premierminister Boris Johnson, aus dessen Sicht sich Putin mit dem Angriff auf die Ukraine massiv verschätzt hat. „Falls Wladimir Putin gehofft hat, als Resultat seiner unprovozierten, illegalen Invasion in die Ukraine weniger NATO an seiner westlichen Front zu bekommen, lag er komplett falsch“, betonte Johnson.
Im neuen strategisches Konzept wird auch der Klimawandel als wegweisende Herausforderung genannt. „Der Klimawandel ist wichtig für unsere Sicherheit. Deshalb ist die NATO entschlossen, bei der Bewältigung der sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels den Goldstandard zu setzen“, so Generalsekretär Stoltenberg, der dafür plädiert, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit besser verstanden werden. Geht es nach ihm, soll das Bündnis bis 2050 klimaneutral werden; dies werde nicht einfach, sei aber möglich.
Aufnahme von Schweden und Finnland eingeleitet
Nachdem die Türkei ihre Blockade beendet hatte, leitete die Allianz gestern offiziell das Verfahren zur Aufnahme der beiden nordischen Länder ein. Die zwei skandinavischen Staaten sind bereits enge Partner des Verteidigungsbündnisses; Russlands Einmarsch in die Ukraine löste in den bisher militärisch bündnisfreien Ländern intensive Debatten über eine NATO-Mitgliedschaft aus – die schließlich am 18. Mai beantragt wurde. Finnland teilt eine mehr als 1 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Folglich ließ eine russische Reaktion nicht lange auf sich warten. „Wir betrachten die Erweiterung des nordatlantischen Bündnisses als einen rein destabilisierenden Faktor in den internationalen Angelegenheiten“, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow in Moskau. dpa