Brutal abgestürzt
Zu Beginn der Urlaubssaison erweist sich, dass die deutsche Luftfahrt ihr Geschäft nicht beherrscht
Am Mittwochmorgen ist es mal wieder so weit. Geplant ist ein Flug Berlin-Frankfurt, hier Start 7.15, dort umsteigen nach Kopenhagen. Statt findet – nichts. Diesmal liegt es an der Deutschen Flugsicherung, deren Name schon sagt, wofür sie zuständig ist. Eigner: der Bund. Beim Aufspielen eines Updates ist in der Nacht im unter anderem für Frankfurt zuständigen Kontrollcenter Langen in Hessen die IT abgestürzt. Als um neun alles wieder läuft – ist es zu spät für Dänemark.
So geht es im deutschen Flugverkehr seit Monaten. Nichts funktioniert. Der verhinderte Kopenhagen-Passagier hat im Juni 16 Geschäftsflüge gehabt, nur neun waren pünktlich. Wer in die Ferien fliegt, kommt nur mit viel Glück zum geplanten Termin wieder zurück. Allein die Lufthansa cancelt für sich und ihre Tochter Eurowings während der Ferienzeit mindestens 3 100 Flüge. Auch Easyjet und Ryanair schlagen zu. Grund: Personalnot. Im Cockpit wie in der Kabine.
Überall fehlen Fachkräfte
Und sie herrscht auch am Boden. Und nicht nur in Berlin. An allen deutschen Airports fehlen Fachkräfte am Check-in, bei der Sicherheitskontrolle, beim Ein- und Ausladen des Gepäcks. Als vergangene Woche in NRW die Sommerferien
begannen, zog sich in Düsseldorf die Warteschlange rund ums Terminal.
Zunächst taten die Unternehmen, als sei das nicht ihre Schuld. Vorneweg Lufthansa-Chef Carsten Spohr redete von den Pandemiejahren und wie schwierig es sei, den Betrieb von fast null auf fast 90 Prozent hochzufahren. Was Spohr verschwieg: Dass gerade die Lufthansa vom Staat mit neun inzwischen zurückgezahlten Milliarden Euro am Leben gehalten worden war – und dennoch massiv Personal gekündigt hatte. Viele Gefeuerte suchten sich neue Jobs. Auch, weil die Lufthansa keinen guten Ruf genießt als Arbeitgeberin. Und viele ihr zuarbeitende
Unternehmen an den Flughäfen auch nicht. Längst wird über viel zu viel Druck geklagt – und viel zu wenig Lohn.
Jetzt soll, wieder einmal, die Politik helfen. Keine Überraschung: Wenig wird im Berliner Regierungsviertel mehr gefürchtet als Urlauber und ihr – oft von der „Bild“-Zeitung geschürter – Zorn. Zu Beginn der Pandemie ließ Kanzlerin Angela Merkel hunderttausende Gestrandete heimfliegen – und der Staat übernahm 60 Prozent der Kosten.
Der Staat soll es richten
Nun will die Luftfahrtbranche Personal aus dem Ausland engagieren – und fordert von der Bundesregierung
Erleichterung bei Einreise und Beschäftigungsbedingungen. Und die Hilfe kommt auch diesmal. In einer von jetzt auf gleich anberaumten Pressekonferenz sichern Mittwochvormittag gleich drei Regierungsmitglieder zu, „sehr schnell“zunächst Mitarbeiter für die Gepäckabfertigung aus der Türkei einreisen zu lassen. Bedingungen, so Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „keine Dumpinglöhne“und „menschenwürdige Unterkünfte“. Innenministerin Nancy Faeser versichert, für die ausländischen Mitarbeiter gelte „die gleiche strenge Zuverlässigkeitsüberprüfung“. Und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) redet von „einem gangbaren Weg“. Nicht sagt er, dass die Branche eigentlich eine Leiharbeits-Regelung wollte. Also die möglichst allerbilligste Rettung aus der Not.
Vor allem der Sozialdemokrat Heil pocht darauf, dass die Verantwortung für das Chaos allein bei den Unternehmen liege. Genau genommen meint er: die Schuld. Wissing, der FDP-Mann, hält sich da lieber zurück. Und Faeser, ganz Sozialdemokratin, hat die Idee, die Airlines sollten doch ihre Fast Lanes – also die bevorzugte Abfertigung für Viel- und Teuerflieger – einfach für alle öffnen. Was sie offenbar nicht weiß: Vor lauter Personalmangel bleiben die Fast Lanes schon längst immer häufiger zu.