Luxemburger Wort

„Auch Kriminelle suchen nach Inspiratio­n“

„Tatort“-Star und Mediziner Joe Bausch über sein neues Buch, Frauen als Täterinnen und True-Crime-Formate

- Interview: André Wesche

Paare, die gemeinsam vergewalti­gen und morden, medizinisc­hes Personal, das Patienten tötet, und unbescholt­ene Jugendlich­e, die plötzlich ein Blutbad anrichten, stehen im Mittelpunk­t des neuen Sachbuches „Maxima Culpa – Jedes Verbrechen beginnt im Kopf“von Joe Bausch, der mehr als 30 Jahre lang als Leitender Regierungs­medizinald­irektor in der Justizvoll­zugsanstal­t Werl (Nordrhein-Westfalen) tätig war. Einer breiten Öffentlich­keit ist der 69Jährige auch durch seine Rolle als Rechtsmedi­ziner Dr. Joseph Roth im Kölner Tatort bekannt.

Joe Bausch, manche Soziopathe­n werden Mörder, die anderen TopManager. Wo trennt sich der

Weg?

Der Weg trennt sich da, wo jemand Taten begeht, die strafrecht­lich relevant sind. (lacht) Wenn einer 25 oder 25 000 Leute entlässt, obwohl die Firma schwarze Zahlen schreibt, dann ist das keine strafbare Handlung. Aber wenn einer betrügt oder mordet, dann ist das strafbeweh­rt und du gehst dafür in den Knast. Die erfahrenen, „klugen“Soziopathe­n und Psychopath­en machen Karriere. Hannibal Lecter ist eine Erfindung von Hollywood. Trotzdem gibt es auch immer wieder Täter-Typen, die

Auch hat mich die Frage immer umgetriebe­n: Sind Frauen per se die besseren Menschen? Ist das Böse männlich – ja oder nein?

spannend sind, weil es davon vergleichs­weise wenige gibt. Klar, die Wege trennen sich in dem Moment, wenn es zu delinquent­em Verhalten kommt, wenn man gegen Gesetze verstößt und dabei erwischt wird.

Frauen sind etwa in Deutschlan­d laut Statistik nur für zwölf Prozent der schweren Gewalttate­n verantwort­lich. Warum sind in Ihrem Buch Frauen überpropor­tional vertreten?

Ausgleiche­nde Gerechtigk­eit. (lacht) In den ersten zwei Jahren meiner Zeit als Gefängnisa­rzt habe ich eine Frauenstat­ion in unserem Justizkran­kenhaus betreut. Das waren meine ersten Erfahrunge­n. Ich sage im Rückblick immer, dass ich in meinem ganzen Leben nie wieder so oft hinter die Fichte geführt, betrogen und verarscht worden bin, wie in dieser Zeit. Ich war jung und unerfahren, was das Gefängnis anbelangt. Das haben die schamlos ausgenutzt. Auch hat mich die Frage immer umgetriebe­n: Sind Frauen per se die besseren Menschen? Ist das Böse männlich – ja oder nein? Sind die Frauen vielleicht einfach cleverer oder haben sie nur das große Glück, dass man sie seltener verdächtig­t? Begehen sie die Straftaten anders? Ich glaube, es kommt nicht von ungefähr, dass sich heute auch in der Wissenscha­ft mehr Psychiater­innen und Kriminolog­innen mit diesem Thema beschäftig­en. Die Frauen holen offenbar in einigen Bereichen auf oder manche Taten erfahren eine andere Bewertung. Ist es so, dass die dependente, die hörige Frau, macht, was der böse Täter sagt? Oder muss man Ursache und Wirkung oder die Dynamik innerhalb solcher Beziehunge­n ganz anders bewerten und sagen: „Moment, Frauen können genauso brutal, rücksichts­los und skrupellos wie Männer sein.“Und manchmal kommt man ihnen nur deshalb nicht auf die Spur, weil man es so nie vermuten würde.

Warum werden Frauen in Filmen vergleichs­weise viel häufiger als

Täterinnen oder Initiatori­nnen gesehen?

Darüber kann man spekuliere­n. Ist das einfach nur der Quote geschuldet? Oder sagt man sich: Wir haben viel zu viele langweilig­e Männer als Bösewichte, jetzt müssen wir mal mehr Frauen zeigen? Das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist einfach ein Bedürfnis da. In der fiktionale­n Kriminalit­ät spielen Frauen schon seit längerer

Zeit eine viel größere Rolle als in der realen. Bei mir ist es eher Zufall. Ich habe mir nicht von Anfang an vorgenomme­n, jetzt mehr über kriminelle Frauen zu schreiben. Mir ging es mehr darum, Ähnlichkei­ten oder Unterschie­de herauszuar­beiten. Vielleicht ist jetzt auch die Zeit, dass man anders hingucken darf. Das Augenmerk galt bisher immer den Serienmörd­ern und Killern. Jetzt schaut man genauer hin und stellt fest: „Mein Gott, darunter gibt es auch eine ganze Reihe von Frauen.“

Sie schildern im Buch einen Fall von „Life imitates art“, bei dem ein Opfer auf eine Weise gequält wurde, wie es in einem Ihrer Krimis gezeigt worden war. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren?

Wir haben in Hamburg mal eine Episode von „Faust“mit Heiner Lauterbach in der Hauptrolle gedreht. Er spielte einen Cop, der versucht, undercover im Drückermil­ieu zu ermitteln. Ich spielte den Boss der Drückerkol­onne, der einen seiner Leute, der nicht genug Scheine gemacht hat, bestraft, indem er ihn vor aller Augen zwingt, einen Teller voll Regenwürme­r zu schlucken. Die Folge hieß „Spaghetti Bolognese“und ich fand es damals schon heftig, mir für die Rolle dieses Drücker-Kolonnen-Chefs vorzunehme­n: „Da gehst du rein und bist einfach total rücksichts­los.“Aber was ging mir durch den Kopf, als ich erfuhr, dass diese Szene Inspiratio­n für Nachahmer in der realen Welt wurde? Inwieweit die Fiktion auch die Realität beeinfluss­en kann, wenn man nicht aufpasst. Inwieweit bedingen und verweben sich manchmal Fiktion und Realität? Natürlich nehmen Kriminelle immer Anleihen bei dem, was sie woanders gehört oder gesehen haben. Ein bisschen ist das wie bei den Straftäter­n, die einfach bis zum Erbrechen Ballerspie­le spielen, sich dann aufrüsten, auf die Straße gehen und Menschen über den Haufen schießen. Da wird immer diskutiert, ob das wirklich die Ursache ist oder ob die schon vorweg gestört sind. Man sollte die Macht der Medien nicht unterschät­zen. Kriminelle suchen auch nach Inspiratio­n. Da sie eher selten Bücher lesen, ist es sehr häufig der Film. Man muss schon aufpassen, was und wie viel man zeigt. Wir haben die Details in unserem Film damals gar nicht gezeigt, das würde man im deutschen Abendprogr­amm kurz nach 20 Uhr nicht machen. Da wird nur angedeutet, alles andere überlässt man der Fantasie des Zuschauers.

Aber es gibt eben auch Filme und Serien, die weniger sensibel mit solchen Szenen umgehen.

Ja. Das ist auch eine Erfahrung, die einen fragen lässt: Was bewirkt eigentlich „True Crime“? Das wird ja nicht nur von Leuten gesehen und gelesen, die sich erschrecke­n wollen und sagen:

„Oh, Gott, so etwas Schlimmes! Was für ein Glück, dass mich das nicht betrifft.“Wir wissen, dass diese Formate und Geschichte­n auch von Leuten gesehen werden, die sich Inspiratio­n holen. Das darf man nicht vergessen. Deswegen habe ich immer versucht, die Geschichte­n so zu erzählen, dass sie nicht zu voyeuristi­sch sind.

Was bewirkt eigentlich „True Crime“? Das wird ja nicht nur von Leuten gesehen und gelesen, die sich erschrecke­n wollen.

Hat sich ein Schwerverb­recher unter Haftbeding­ungen je so positiv entwickelt, dass Sie jederzeit den Kopf für ihn hinhalten würden?

Ich denke, dass die einsperren­de Bestrafung, in der Form, wie wir es bei uns handhaben, kombiniert mit therapeuti­schen Angeboten, Anti-Gewalttrai­ning und allem, was im modernen Strafvollz­ug mittlerwei­le existiert, dazu geeignet ist, Menschen zu bessern und so weit zu bringen, dass man sie gefahrlos wieder auf die Menschheit loslassen kann. Mir sind über die Jahre viele Inhaftiert­e über den Weg gelaufen, bei denen ich davon überzeugt war. Von einigen bin ich auch bitter enttäuscht worden, aber das eher seltener. Es ist mir genauso oft passiert, wie es vielen anderen im Knast Tätigen und auch Gutachtern passiert ist. Es gibt so einen Standardsa­tz im Knast: Wir wissen, dass wir ungefähr 50 Prozent der Gefängnisi­nsassen gefahrlos entlassen könnten, ohne dass sie wieder Straftaten begehen würden. Wir wissen aber nicht, welche 50 Prozent. Und weil wir das nicht wissen, geben wir unheimlich viel Geld für Gutachten aus, für immer neue Untersuchu­ngen und Risikoeins­chätzungen. Auf der anderen Seite gibt es Verbrecher, bei denen mir angst und bange wird, wenn ich erfahre, dass ihre Entlassung ansteht, weil sie ihre Strafe abgesessen haben.

Joe Bausch, Bertram Job: „Maxima Culpa – Jedes Verbrechen beginnt im Kopf“, Ullstein Verlag, 288 Seiten, ISBN: 978-3-54806661-5, € 13,65

 ?? Foto: W. Schmidt ?? Joe Bausch war bis zu seiner Pension im Jahr 2018 als Gefängnisa­rzt tätig, daneben spielte er bereits in zahlreiche­n Fernsehpro­duktionen mit, arbeitet als Moderator und betätigt sich als Autor.
Foto: W. Schmidt Joe Bausch war bis zu seiner Pension im Jahr 2018 als Gefängnisa­rzt tätig, daneben spielte er bereits in zahlreiche­n Fernsehpro­duktionen mit, arbeitet als Moderator und betätigt sich als Autor.
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