„Auch Kriminelle suchen nach Inspiration“
„Tatort“-Star und Mediziner Joe Bausch über sein neues Buch, Frauen als Täterinnen und True-Crime-Formate
Paare, die gemeinsam vergewaltigen und morden, medizinisches Personal, das Patienten tötet, und unbescholtene Jugendliche, die plötzlich ein Blutbad anrichten, stehen im Mittelpunkt des neuen Sachbuches „Maxima Culpa – Jedes Verbrechen beginnt im Kopf“von Joe Bausch, der mehr als 30 Jahre lang als Leitender Regierungsmedizinaldirektor in der Justizvollzugsanstalt Werl (Nordrhein-Westfalen) tätig war. Einer breiten Öffentlichkeit ist der 69Jährige auch durch seine Rolle als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth im Kölner Tatort bekannt.
Joe Bausch, manche Soziopathen werden Mörder, die anderen TopManager. Wo trennt sich der
Weg?
Der Weg trennt sich da, wo jemand Taten begeht, die strafrechtlich relevant sind. (lacht) Wenn einer 25 oder 25 000 Leute entlässt, obwohl die Firma schwarze Zahlen schreibt, dann ist das keine strafbare Handlung. Aber wenn einer betrügt oder mordet, dann ist das strafbewehrt und du gehst dafür in den Knast. Die erfahrenen, „klugen“Soziopathen und Psychopathen machen Karriere. Hannibal Lecter ist eine Erfindung von Hollywood. Trotzdem gibt es auch immer wieder Täter-Typen, die
Auch hat mich die Frage immer umgetrieben: Sind Frauen per se die besseren Menschen? Ist das Böse männlich – ja oder nein?
spannend sind, weil es davon vergleichsweise wenige gibt. Klar, die Wege trennen sich in dem Moment, wenn es zu delinquentem Verhalten kommt, wenn man gegen Gesetze verstößt und dabei erwischt wird.
Frauen sind etwa in Deutschland laut Statistik nur für zwölf Prozent der schweren Gewalttaten verantwortlich. Warum sind in Ihrem Buch Frauen überproportional vertreten?
Ausgleichende Gerechtigkeit. (lacht) In den ersten zwei Jahren meiner Zeit als Gefängnisarzt habe ich eine Frauenstation in unserem Justizkrankenhaus betreut. Das waren meine ersten Erfahrungen. Ich sage im Rückblick immer, dass ich in meinem ganzen Leben nie wieder so oft hinter die Fichte geführt, betrogen und verarscht worden bin, wie in dieser Zeit. Ich war jung und unerfahren, was das Gefängnis anbelangt. Das haben die schamlos ausgenutzt. Auch hat mich die Frage immer umgetrieben: Sind Frauen per se die besseren Menschen? Ist das Böse männlich – ja oder nein? Sind die Frauen vielleicht einfach cleverer oder haben sie nur das große Glück, dass man sie seltener verdächtigt? Begehen sie die Straftaten anders? Ich glaube, es kommt nicht von ungefähr, dass sich heute auch in der Wissenschaft mehr Psychiaterinnen und Kriminologinnen mit diesem Thema beschäftigen. Die Frauen holen offenbar in einigen Bereichen auf oder manche Taten erfahren eine andere Bewertung. Ist es so, dass die dependente, die hörige Frau, macht, was der böse Täter sagt? Oder muss man Ursache und Wirkung oder die Dynamik innerhalb solcher Beziehungen ganz anders bewerten und sagen: „Moment, Frauen können genauso brutal, rücksichtslos und skrupellos wie Männer sein.“Und manchmal kommt man ihnen nur deshalb nicht auf die Spur, weil man es so nie vermuten würde.
Warum werden Frauen in Filmen vergleichsweise viel häufiger als
Täterinnen oder Initiatorinnen gesehen?
Darüber kann man spekulieren. Ist das einfach nur der Quote geschuldet? Oder sagt man sich: Wir haben viel zu viele langweilige Männer als Bösewichte, jetzt müssen wir mal mehr Frauen zeigen? Das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist einfach ein Bedürfnis da. In der fiktionalen Kriminalität spielen Frauen schon seit längerer
Zeit eine viel größere Rolle als in der realen. Bei mir ist es eher Zufall. Ich habe mir nicht von Anfang an vorgenommen, jetzt mehr über kriminelle Frauen zu schreiben. Mir ging es mehr darum, Ähnlichkeiten oder Unterschiede herauszuarbeiten. Vielleicht ist jetzt auch die Zeit, dass man anders hingucken darf. Das Augenmerk galt bisher immer den Serienmördern und Killern. Jetzt schaut man genauer hin und stellt fest: „Mein Gott, darunter gibt es auch eine ganze Reihe von Frauen.“
Sie schildern im Buch einen Fall von „Life imitates art“, bei dem ein Opfer auf eine Weise gequält wurde, wie es in einem Ihrer Krimis gezeigt worden war. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren?
Wir haben in Hamburg mal eine Episode von „Faust“mit Heiner Lauterbach in der Hauptrolle gedreht. Er spielte einen Cop, der versucht, undercover im Drückermilieu zu ermitteln. Ich spielte den Boss der Drückerkolonne, der einen seiner Leute, der nicht genug Scheine gemacht hat, bestraft, indem er ihn vor aller Augen zwingt, einen Teller voll Regenwürmer zu schlucken. Die Folge hieß „Spaghetti Bolognese“und ich fand es damals schon heftig, mir für die Rolle dieses Drücker-Kolonnen-Chefs vorzunehmen: „Da gehst du rein und bist einfach total rücksichtslos.“Aber was ging mir durch den Kopf, als ich erfuhr, dass diese Szene Inspiration für Nachahmer in der realen Welt wurde? Inwieweit die Fiktion auch die Realität beeinflussen kann, wenn man nicht aufpasst. Inwieweit bedingen und verweben sich manchmal Fiktion und Realität? Natürlich nehmen Kriminelle immer Anleihen bei dem, was sie woanders gehört oder gesehen haben. Ein bisschen ist das wie bei den Straftätern, die einfach bis zum Erbrechen Ballerspiele spielen, sich dann aufrüsten, auf die Straße gehen und Menschen über den Haufen schießen. Da wird immer diskutiert, ob das wirklich die Ursache ist oder ob die schon vorweg gestört sind. Man sollte die Macht der Medien nicht unterschätzen. Kriminelle suchen auch nach Inspiration. Da sie eher selten Bücher lesen, ist es sehr häufig der Film. Man muss schon aufpassen, was und wie viel man zeigt. Wir haben die Details in unserem Film damals gar nicht gezeigt, das würde man im deutschen Abendprogramm kurz nach 20 Uhr nicht machen. Da wird nur angedeutet, alles andere überlässt man der Fantasie des Zuschauers.
Aber es gibt eben auch Filme und Serien, die weniger sensibel mit solchen Szenen umgehen.
Ja. Das ist auch eine Erfahrung, die einen fragen lässt: Was bewirkt eigentlich „True Crime“? Das wird ja nicht nur von Leuten gesehen und gelesen, die sich erschrecken wollen und sagen:
„Oh, Gott, so etwas Schlimmes! Was für ein Glück, dass mich das nicht betrifft.“Wir wissen, dass diese Formate und Geschichten auch von Leuten gesehen werden, die sich Inspiration holen. Das darf man nicht vergessen. Deswegen habe ich immer versucht, die Geschichten so zu erzählen, dass sie nicht zu voyeuristisch sind.
Was bewirkt eigentlich „True Crime“? Das wird ja nicht nur von Leuten gesehen und gelesen, die sich erschrecken wollen.
Hat sich ein Schwerverbrecher unter Haftbedingungen je so positiv entwickelt, dass Sie jederzeit den Kopf für ihn hinhalten würden?
Ich denke, dass die einsperrende Bestrafung, in der Form, wie wir es bei uns handhaben, kombiniert mit therapeutischen Angeboten, Anti-Gewalttraining und allem, was im modernen Strafvollzug mittlerweile existiert, dazu geeignet ist, Menschen zu bessern und so weit zu bringen, dass man sie gefahrlos wieder auf die Menschheit loslassen kann. Mir sind über die Jahre viele Inhaftierte über den Weg gelaufen, bei denen ich davon überzeugt war. Von einigen bin ich auch bitter enttäuscht worden, aber das eher seltener. Es ist mir genauso oft passiert, wie es vielen anderen im Knast Tätigen und auch Gutachtern passiert ist. Es gibt so einen Standardsatz im Knast: Wir wissen, dass wir ungefähr 50 Prozent der Gefängnisinsassen gefahrlos entlassen könnten, ohne dass sie wieder Straftaten begehen würden. Wir wissen aber nicht, welche 50 Prozent. Und weil wir das nicht wissen, geben wir unheimlich viel Geld für Gutachten aus, für immer neue Untersuchungen und Risikoeinschätzungen. Auf der anderen Seite gibt es Verbrecher, bei denen mir angst und bange wird, wenn ich erfahre, dass ihre Entlassung ansteht, weil sie ihre Strafe abgesessen haben.
Joe Bausch, Bertram Job: „Maxima Culpa – Jedes Verbrechen beginnt im Kopf“, Ullstein Verlag, 288 Seiten, ISBN: 978-3-54806661-5, € 13,65