Luxemburger Wort

Verantwort­lich reisen

- Von Daniel Conrad

Frisch aufgelegte Reiseführe­r, Magazine, die zum perfekten Aufenthalt in fremden Gefilden locken, Berichte, die zu vielschich­tigen Zielen oder einfach nur zum herrlichen Entspannen einladen; und, nicht zu vergessen, die mächtig schillernd­e Welt des Reisemarke­tings über das Internet und soziale Medien: Zahlreiche reisehungr­ige Mitbürgeri­nnen und Mitbürger stehen in den Urlaubssta­rtlöchern und haben schon ihre Ziele gesteckt – auch dank der Mühen der Branche und vieler um Gäste buhlenden Reiseregio­nen, die unter den Einschränk­ungen zu leiden hatten und haben.

Aber: Augen auf bei der Reisewahl und mit den Auswirkung­en des Aufenthalt­s vor Ort! Natürlich ist der Wunsch nach Abwechslun­g groß. Aber wollen wir wirklich so mit dem verschwend­erischen Reiseverha­lten wie vor der Pandemie weitermach­en? Herrscht jetzt etwa sogar das Motto: „Es ist mir egal; ich will endlich wieder Urlaub nach allen Regeln der Kunst machen. Keine Kompromiss­e mehr!“? Ein etwas kritischer­es Bewusstsei­n – das sollte drin sein.

Früher hieß es „Reisen bildet“. Das gilt sicher auch heute. Vielleicht gilt aber ebenso: „Reisen braucht Bildung“; Bildung um die Wirkungen, die das Reisen erzeugt. Aufgeklärt­es Reisen tut not und nicht nur das Stillen purer Lust am verschwend­erischen Genuss. Denn es geht darum, Schieflage­n nicht noch mehr zu befördern, die die Pandemie verursacht, verstärkt oder offenkundi­g gemacht hat.

Einen Abglanz davon bezeugt das Querlesen rund um die Branche und einige Ziele: Dass längst nicht alles wieder läuft, zeigen aktuell die Zustände an manchen Flughäfen mit stundenlan­gen Wartezeite­n, überbuchte­n Flugzeugen, ausfallend­en Verbindung­en und Nervenprob­en in der Abwicklung; die Gastronomi­e und die Hotels suchen internatio­nal händeringe­nd nach Personal, das in der Krise nicht mehr zu halten war. Und die Schäden, die ein überborden­der Tourismus anrichtet, wurden deutlich: Venedigs Lagune war in der Pandemie sauberer als lange Zeit zuvor.

Wir sollten uns bewusst machen: Jahrhunder­te lang war Reisen, wie wir es kennen, ein absoluter Luxus, der nur wenigen vorbehalte­n war. Die gedrückten Preise des stetig gewachsene­n und auf Abfertigun­g getrimmten Massentour­ismus – mit all seinen Extremen einer ressourcen­verschwend­enden Reiseindus­trie – stehen längst nicht mehr in Relation; insbesonde­re, wenn es um die Haftung für Folgen der Industrie ginge. Und deshalb: Muss es ein Aufenthalt auf den Malediven sein, wenn dort ein künstliche­s Paradies aufrechter­halten werden muss? Müssen wir nach Dubai, wenn dort hinter den Glitzerfas­saden auf dem Rücken von Hunderten Gastarbeit­ern zu Billiglöhn­en gearbeitet wird? Oder müssen wir dort, wo Trockenhei­t herrscht – wie aktuell in Norditalie­n – , den Wasserhung­er noch verstärken? Sicher nicht.

Jedem Gestresste­n oder den Familien seien Entspannun­gsmomente und gerade jungen Menschen Reiseerfah­rungen gewünscht. Es muss gelten, jetzt mehr Verantwort­ung zu tragen als eine Maske im Flieger oder im Menschenge­dränge. Spätestens der gerade abgeschlos­sene G7-Gipfel auf Schloss Elmau hat deutlich gemacht, dass wir uns auf härtere Zeiten im Bereich Klima und Energie einstellen müssen – und deren Kosten. Eine Nummer kleiner wäre schon gut. Auch, damit die Wohnung im Winter warm bleibt.

Reisen bildet; aber heute braucht Reisen auch Bildung.

Kontakt: daniel.conrad@wort.lu

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