Verantwortlich reisen
Frisch aufgelegte Reiseführer, Magazine, die zum perfekten Aufenthalt in fremden Gefilden locken, Berichte, die zu vielschichtigen Zielen oder einfach nur zum herrlichen Entspannen einladen; und, nicht zu vergessen, die mächtig schillernde Welt des Reisemarketings über das Internet und soziale Medien: Zahlreiche reisehungrige Mitbürgerinnen und Mitbürger stehen in den Urlaubsstartlöchern und haben schon ihre Ziele gesteckt – auch dank der Mühen der Branche und vieler um Gäste buhlenden Reiseregionen, die unter den Einschränkungen zu leiden hatten und haben.
Aber: Augen auf bei der Reisewahl und mit den Auswirkungen des Aufenthalts vor Ort! Natürlich ist der Wunsch nach Abwechslung groß. Aber wollen wir wirklich so mit dem verschwenderischen Reiseverhalten wie vor der Pandemie weitermachen? Herrscht jetzt etwa sogar das Motto: „Es ist mir egal; ich will endlich wieder Urlaub nach allen Regeln der Kunst machen. Keine Kompromisse mehr!“? Ein etwas kritischeres Bewusstsein – das sollte drin sein.
Früher hieß es „Reisen bildet“. Das gilt sicher auch heute. Vielleicht gilt aber ebenso: „Reisen braucht Bildung“; Bildung um die Wirkungen, die das Reisen erzeugt. Aufgeklärtes Reisen tut not und nicht nur das Stillen purer Lust am verschwenderischen Genuss. Denn es geht darum, Schieflagen nicht noch mehr zu befördern, die die Pandemie verursacht, verstärkt oder offenkundig gemacht hat.
Einen Abglanz davon bezeugt das Querlesen rund um die Branche und einige Ziele: Dass längst nicht alles wieder läuft, zeigen aktuell die Zustände an manchen Flughäfen mit stundenlangen Wartezeiten, überbuchten Flugzeugen, ausfallenden Verbindungen und Nervenproben in der Abwicklung; die Gastronomie und die Hotels suchen international händeringend nach Personal, das in der Krise nicht mehr zu halten war. Und die Schäden, die ein überbordender Tourismus anrichtet, wurden deutlich: Venedigs Lagune war in der Pandemie sauberer als lange Zeit zuvor.
Wir sollten uns bewusst machen: Jahrhunderte lang war Reisen, wie wir es kennen, ein absoluter Luxus, der nur wenigen vorbehalten war. Die gedrückten Preise des stetig gewachsenen und auf Abfertigung getrimmten Massentourismus – mit all seinen Extremen einer ressourcenverschwendenden Reiseindustrie – stehen längst nicht mehr in Relation; insbesondere, wenn es um die Haftung für Folgen der Industrie ginge. Und deshalb: Muss es ein Aufenthalt auf den Malediven sein, wenn dort ein künstliches Paradies aufrechterhalten werden muss? Müssen wir nach Dubai, wenn dort hinter den Glitzerfassaden auf dem Rücken von Hunderten Gastarbeitern zu Billiglöhnen gearbeitet wird? Oder müssen wir dort, wo Trockenheit herrscht – wie aktuell in Norditalien – , den Wasserhunger noch verstärken? Sicher nicht.
Jedem Gestressten oder den Familien seien Entspannungsmomente und gerade jungen Menschen Reiseerfahrungen gewünscht. Es muss gelten, jetzt mehr Verantwortung zu tragen als eine Maske im Flieger oder im Menschengedränge. Spätestens der gerade abgeschlossene G7-Gipfel auf Schloss Elmau hat deutlich gemacht, dass wir uns auf härtere Zeiten im Bereich Klima und Energie einstellen müssen – und deren Kosten. Eine Nummer kleiner wäre schon gut. Auch, damit die Wohnung im Winter warm bleibt.
Reisen bildet; aber heute braucht Reisen auch Bildung.
Kontakt: daniel.conrad@wort.lu