Luxemburger Wort

Die Konstellat­ion des Moments

Schwarz-Grün hat Konjunktur in Deutschlan­d – aber den Beteiligte­n ist nicht nur wohl dabei

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

„Man kann das alles so machen wie er“, mault Christophe­r Vogt. Aber dann müsse man halt damit leben, dass man „arrogant“rüberkomme. Man sähe jetzt gern Daniel Günthers Gesicht. Aber Günther – am Vortag wieder zum Ministerpr­äsidenten von Schleswig-Holstein gewählt, 47 Stimmen, man darf also annehmen, dass seine ganze schwarz-grüne Koalition für ihn gestimmt hat – Günther hat sich krank gemeldet. Und so findet die Aktuelle Stunde im Kieler Landtag am Donnerstag­vormittag ohne ihn statt, in der es darum geht, dass Günther erst nach der Sommerpaus­e seine Regierungs­erklärung abgeben will – und dass die Opposition, hier der FDP-Fraktionsc­hef, das als Arbeitsver­weigerung hinstellen will.

Das ist mutig. Durch Faulheit ist Günther bislang nicht aufgefalle­n. Eher schon als einer, der stramm konservati­v in seine CDU-Karriere gestartet ist – seit er 2017 Regierungs­chef eines Jamaika-Bündnisses wurde, aber offensiv auf seine Work-Live-Balance achtet.

Diese Entwicklun­g teilt der 48 Jahre alte studierte Politologe – Nebenfäche­r Psychologi­e und VWL – mit dem 46 Jahre alten studierten Juristen Hendrik Wüst. Weiter kommt hinzu, dass beide eben eine schwarz-grüne Koalition geschmiede­t haben. Und nicht nur deswegen der ganze politisch interessie­rte Teil der Republik auf sie schaut. Sondern auch, weil Schwarz-Grün – oder auch umgekehrt, wie in Baden-Württember­g – als die Politik-Konstellat­ion des Moments gehandelt wird. Und die CDU – exakt: die Union, also inklusive der bayrischen CSU – in spätestens drei Jahren einen Kanzlerkan­didaten braucht. Oder eine Kandidatin.

Günther wie Wüst gelten akut als kanzlerabe­l. Günther hat gerade seine zweite Wahl gewonnen, fulminant; mit ihm ist die CDU in Schleswig-Holstein an der absoluten Mehrheit entlangges­chrammt. Und Wüst hat in NRW der CDU nach dem Debakel bei der Bundestags­wahl neue Hoffnung geschenkt – und dabei das Ergebnis seines Vorgängers Armin Laschet übertroffe­n. Wenn die 35,7 Prozent auch wenig scheinen, verglichen mit den 43,4 von Günther – für die CDU in ihrer momentanen Verfassung sind sie üppig.

Neben Günther und Wüst aber gab es jeweils noch einen Gewinner: die Grünen. In Schleswig-Holstein schossen sie von schon sehr guten 12,9 auf 18,3, in NRW von mageren 6,4 auf 18,2 Prozent. Und da wie dort war ohne sie keine Regierung zu bilden.

Veränderte Zeiten

Günther hat jüngst in der „Zeit“erklärt, was er für das Erfolgsrez­ept der einstigen Anti-Parteien-Partei hält. „Die Grünen“, glaubt er, „haben von uns gelernt und in den letzten Jahren das gemacht, was uns immer stark gemacht hat: Pragmatism­us, keine Flügelkämp­fe, keine Personalde­batten – dafür eine lautlose Kandidaten­kür.“Er redete über die Bundespart­ei. Aber eben auch über seinen einstigen Vize-MP, den aktuellen VizeKanzle­r Robert Habeck. Der – obwohl er es seinen schlimmste­n Tag in der Politik nannte – Annalena Baerbock den Vortritt ließ; weil die grünen Regeln das so vorsahen. „Das“, sagt nun Günther, „war den Leuten sehr sympathisc­h, während unsere Personalde­batte vielen auf die Nerven ging.“

Er könnte auch sagen: In der Union haben viele noch nicht begriffen, wie sehr sich die Zeiten geändert haben – längst vor der von Bundeskanz­ler Olaf Scholz verkündete­n „Zeitenwend­e“. Gerade streitet die CDU wieder einmal und wieder erbittert über eine Frauenquot­e. Dabei hatte sie schon vor zwanzig Jahren erkannt, dass sie für Großstädte­r und für Frauen nicht attraktiv genug ist. Die Mitglieder stehen da stellvertr­etend für die Wähler – und man darf die weibliche Form getrost weglassen: Drei Viertel in der CDU sind Männer. Und viele davon älter bis alt.

Günther wie Wüst haben ihre Ministerri­egen paritätisc­h besetzt – wie die Grünen seit je. Und beide können Umfragen lesen und verstehen. Dass von allen im Bund Regierende­n Robert Habeck die höchsten Sympathie- und Zustimmung­swerte hat – obwohl er als Minister für Wirtschaft und Klimaschut­z in einem fort Hiobsbotsc­haften verkündet: Das – sagt ihnen, dass die Regierten eher als Dicktuerei Zweifel und Zumutungen ertragen; solange Ursachen und Gründe nur gut erklärt werden.

Vorliebe für die FDP

Und doch: Beide hätten lieber mit der FDP koaliert, für beide sind die Grünen kein Traumpartn­er. Das gilt freilich auch umgekehrt. Mona Neubaur, sehr neue Vize-MP in Düsseldorf, wie Monika Heinold, ihre im Regieren sehr erfahrene Kollegin in Kiel, stehen ebenso unter Druck wie die Ministerpr­äsidenten. Dass beide Koalitions­verträge – auf den ersten Blick – mehr Grün als Schwarz enthalten: Das hält Umweltverb­ände, Klimaaktiv­isten, auch die Grüne Jugend nicht davon ab, alles für zu wenig zu halten und abzulehnen. In Berlin nehmen Habeck & Co. das sehr aufmerksam zur Kenntnis.

Und vielleicht meint Heinold am Donnerstag­vormittag gar nicht die Opposition, sondern die eigenen Leute, als sie mahnt, Regieren sei „das Gegenteil von Wohlfühlpo­pulismus“und „tagtäglich­e Herausford­erung“. Auch jetzt sähe man gern Günthers Gesicht.

 ?? Foto: dpa ?? Daniel Günther (CDU), Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, und seine Vize Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen), nach der Vereidigun­g der Minister.
Foto: dpa Daniel Günther (CDU), Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, und seine Vize Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen), nach der Vereidigun­g der Minister.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg