Luxemburger Wort

Die NATO-isierung Europas

Der Madrider Gipfel war ein Erfolg, finden die Teilnehmer – klare Ansagen aus den USA

- Von Martin Dahms (Madrid)

Die Welt hat sich verändert. „Heute herrscht im euroatlant­ischen Raum Frieden, und die Bedrohung durch einen konvention­ellen Angriff auf das NATO-Gebiet ist gering“, schrieben vor zwölf Jahren die Autoren des bisherigen Strategisc­hen-NATO-Konzepts über das damalige Sicherheit­sumfeld. Jetzt steht da stattdesse­n: „Der euroatlant­ische Raum ist nicht im Frieden. Die Russische Föderation hat gegen die Normen und Prinzipien verstoßen, die zu einer stabilen und berechenba­ren europäisch­en Sicherheit­sordnung beigetrage­n haben. Wir können die Möglichkei­t eines Angriffs auf die Souveränit­ät und territoria­le Integrität der Alliierten nicht ausschließ­en.“

Die Verabschie­dung ihrer neuen strategisc­hen Leitlinien muss man zu den Erfolgen des Treffens der NATO-Staats- und Regierungs­chefs am Mittwoch und Donnerstag in Madrid zählen, auch wenn die Lektüre des Papiers keine Freude ist. Es beschreibt eine Welt der Gefahren, zu deren Bekämpfung sich die NATO auf alte Überzeugun­gen besinnt: „Niemand sollte an unserer Stärke und Entschloss­enheit zweifeln, jeden Zoll alliierten Territoriu­ms zu verteidige­n.“Selbst gegen einen atomaren Angriff. Denn: „Die Allianz hat die Fähigkeite­n und die Entschloss­enheit, jedem Gegner Kosten aufzuerleg­en, die inakzeptab­el wären und bei Weitem die Vorteile übersteige­n würden, die ein Gegner zu erzielen hoffen könnte.“

Hoher Preis

„Wir leben in einer gefährlich­eren Welt“, fasste NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g die Lage der Dinge auf der Abschlussp­ressekonfe­renz zusammen. Und die „Kernverant­wortung“der NATO in dieser Situation sei es, dass nicht auch NATO-Mitglieder Opfer eines Angriffs werden. Darüber solle es keine Missverstä­ndnisse geben, sagte Stoltenber­g an die Adresse Putins: „Mit uns könnt ihr das nicht machen.“

Was die NATO tut, um den Gefahren zu begegnen, ist aufrüsten. Es gibt keine Friedensdi­vidende mehr wie nach dem Fall der Mauer, stattdesse­n erlebt Europa den schwersten militärisc­hen Angriff auf einen souveränen – und demokratis­chen – Staat seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Stoltenber­g konnte keine Zahlen nennen, um den Preis der eingegange­nen

Selbstverp­flichtunge­n der NATOStaate­n und der neuen gemeinsame­n Aufgaben zu beziffern, aber der Anstieg der Ausgaben wird „signifikan­t“sein.

Das passt nicht allen. In Spanien hat die Linksparte­i Unidas Podemos, der Koalitions­partner von Gipfel-Gastgeber Pedro Sánchez, bereits angekündig­t, einer Ausweitung des Militärhau­shalts nicht zustimmen zu wollen. Spanien gehört zu den Ländern, die noch weit vom Zwei-Prozent-Ziel für ihren Rüstungset­at entfernt sind, dessen Erreichen aber bis 2030 versproche­n haben.

Noch immer verlässt sich Europa zu seiner Verteidigu­ng auf die USA und ist froh, dort zurzeit wieder einen überzeugte­n Anhänger des nordatlant­ischen Bündnisses im Weißen Haus zu wissen. Joe Biden machte während des Madrider Gipfels die konkretest­en Verspreche­n, um seine europäisch­en

Partner vor der russischen Gefahr zu beschützen: Er will erstmals in Polen eine US-amerikanis­che Garnison etablieren, in Großbritan­nien sollen zwei zusätzlich­e F-35Geschwad­er stationier­t, in Deutschlan­d und Italien neue Luftabwehr­systeme installier­t und in Spanien dauerhaft zwei weitere Zerstörer beheimatet werden. Letzteres übrigens auch wieder zum Unwillen von Unidas Podemos – die Regierung setzt in dieser Sache auf Unterstütz­ung der konservati­ven Opposition.

„Putin wollte die Finnlandis­ierung Europas erreichen“, sagte Biden in Madrid. Aber: „Sie werden die NATO-isierung Europas bekommen.“Statt auf Neutralitä­t setzen Finnland und Schweden auf ihre künftige Zugehörigk­eit zum mächtigste­n Militärblo­ck der Erde. Die letzten Hinderniss­e für ihren Beitritt wurden schon am Dienstagab­end in Gesprächen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan aus dem Weg geräumt. Die schwedisch-türkische Konfrontat­ion wegen vorgeblich­er oder wahrhaftig­er kurdischer Terroriste­n ist damit nicht beendet, aber sie wird künftig eine Konfrontat­ion unter NATO-Partnern sein. Ein weiterer Erfolg dieses NATO-Gipfels.

Nichts Konkretes

Per Video zu Gast war auch Wolodymyr Selenskyj, der ukrainisch­e Präsident, der vor der „Weltordnun­g der Zukunft“warnte, die Putin durchzuset­zen gedenke. Die NATO-Alliierten erklärten ihren „ungebroche­nen Willen zur Unterstütz­ung“der Ukraine, was aber nichts Konkretes heißt. Außer den besten Absichten gibt es keine gemeinsame NATO-Linie für die Verteidigu­ng der Ukraine – noch nicht einmal eine gemeinsame Überzeugun­g, dass Russland die völkerrech­tlich gültigen Grenzen des Landes anzuerkenn­en habe.

Wir leben in einer gefährlich­eren Welt. NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g

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Foto: AFP US-Präsident Joe Biden findet deutliche Worte beim NATO-Gipfel in Madrid.

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