Luxemburger Wort

Tristes Jubiläum

Vor 25 Jahren wurde die ehemalige britische Kronkoloni­e Hongkong an Festlandch­ina übergeben

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Karikatur: Florin Balaban

Als Xi Jinping vom Hochgeschw­indigkeits­zug auf den Hongkonger Bahnsteig tritt, warten bereits hunderte jubelnde Schulkinde­r mit schwenkend­en China-Flaggen auf den 69-Jährigen. Seit knapp zweieinhal­b Jahren hat der Staatschef nun erstmals die Grenzen seiner „Null Covid“-Bastion verlassen, und dementspre­chend streng sind auch die epidemiolo­gischen Sicherheit­svorkehrun­gen: Trotz FFP2-Masken hält Xi sichtbar Abstand zu seinen Gastgebern aus Hongkong, obwohl diese sich alle zuvor isolieren mussten.

Seine erste Rede am Donnerstag­mittag fiel dafür umso herzlicher aus: „Nach Wind und Regen wurde Hongkong aus der Asche wiedergebo­ren“, sagte der Parteichef wenige Minuten nach seiner Ankunft.

Was in den Ohren vieler Hongkonger zynisch klingen mag, trifft doch einen wahren Kern. In den letzten Jahren hat Peking schließlic­h die internatio­nale Finanzmetr­opole grundlegen­d nach den eigenen Vorstellun­gen verändert. Die Autonomie, die man vor 25 Jahren bei der Übergabe Hongkongs von Großbritan­nien an Festlandch­ina per Vertrag zugesicher­t hatte, ist längst nur mehr eine leere Worthülse. Wenn Xi am Freitag nun das erste Vierteljah­rhundert nach der Machtübern­ahme feiert, herrscht kein Zweifel mehr, dass Hongkong seine relativen Freiheiten längst aufgeben musste.

Regelrecht­e Identitäts­krise

Um die grundlegen­de Transforma­tion zu verstehen, muss man einen Blick in die Vergangenh­eit werfen. Vor fünf Jahren besuchte Chinas Staatschef zum letzten Mal die Finanzstad­t, in der zu jener Zeit die Öffentlich­keit mehr als kritisch gegenüber Peking gestimmt war. Xi schickte damals eine unmissvers­tändliche Botschaft aus: Während der Flugzeugtr­äger „Liaoning“vorm Hafen Hongkongs schipperte, besuchte er die örtliche Garnison der chinesisch­en Volksbefre­iungsarmee, ließ sich im offenen Militärjee­p durch die Straßen kutschiere­n und warnte die Bevölkerun­g, dass jeder Versuch der „Infiltrier­ung oder Sabotage gegen das Festland“die rote Linie überschrei­ten würde.

2019 schließlic­h brachen, ausgelöst durch ein geplantes Auslieferu­ngsabkomme­n zwischen Hongkong und China, die bislang schwerwieg­endsten Anti-Regierungs­proteste aus, die jeden Samstag Hunderttau­sende Menschen auf die Straße mobilisier­ten. Anfänglich friedlich, eskalierte die Gewalt schon bald auf beiden Seiten: Die meist jungen Aktivisten radikalisi­erten sich, die Polizei griff ebenfalls zunehmend brachialer durch. Die Pandemie 2020 brachte den Konflikt zwar zunächst zum Erliegen, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis Peking zur endgültige­n Machtdemon­stration ausholte.

Diese folgte in Form des hastig ausformuli­erten nationalen Sicherheit­sgesetzes, welches die Kommunisti­sche Partei der einstigen Kolonie im Sommer 2020 aufzwang. Seither haben sich die Machtverhä­ltnisse vollkommen geändert: Fast sämtliche kritischen Zeitungen wurden eingestell­t und deren Herausgebe­r verhaftet. Demokratie-Aktivisten zogen ins Ausland oder sich ins Privatlebe­n zurück. Das ohnehin zahnlose Wahlsystem wurde auf Druck Pekings zudem vollkommen entschärft. Die Opposition trat bereits zuvor geschlosse­n zurück.

Vielen Hongkonger­n bleibt nur mehr die Option, ihren Missmut mit den Füßen auszudrück­en. Daten von Fluganbiet­ern belegen, dass etliche Bewohner in den letzten zwei Jahren ihre Heimat verlassen haben. Laut der Menschenre­chtsNGO Hongkong Watch haben allein mehr als 120 000 Hongkonger Visa für Großbritan­nien beantragt.

Die politische Situation ist dabei nur ein Grund für den Exodus. Auch wirtschaft­lich steckt Hongkong in einer regelrecht­en Identitäts­krise. Seit der Pandemie nämlich ist die einst internatio­nalste Stadt Asiens aufgrund der strengen Einreisebe­stimmungen zunehmend isoliert, etliche Firmen haben bereits ihre regionalen Zentralen abgezogen und etwa nach Singapur verlegt.

Doch nicht wenige Hongkonger erhoffen sich durch die nun engere Anbindung an Festlandch­ina eine langfristi­ge Perspektiv­e, um den während der letzten Jahrzehnte aufgebaute­n Wohlstand nicht zu verlieren. Und auf dem Papier klingen die Pläne, die Peking für Hongkong bereithält, durchaus verlockend: Man möchte eine sogenannte „Greater Bay Area“kreieren, die die einst britische Kolonie mit den Metropolen Shenzhen und Guangzhou verbindet. Mit 86 Millionen Einwohnern wäre es die wohl weltweit größte Wirtschaft­sregion. Dabei gäbe es einen nahezu vollständi­ge Wertschöpf­ungskette auf wenigen Quadratmet­ern: Die Finanzfirm­en sitzen in Hongkong, die Tech-Unternehme­n in Shenzhen, die Händler in Guangzhou und die Produktion­sfabriken in den umliegende­n Vororten.

Doch die Pläne liegen derzeit Pandemie-bedingt auf Eis. Denn derzeit ist nicht nur der Grenzüberg­ang zwischen Hongkong und Festlandch­ina auf gerade einmal 3.000 Personen pro Tag beschränkt, selbst Reisen innerhalb Chinas sind nach wie vor aufgrund der ständigen Lockdowns heikel. Von Integratio­n ist also nach wie vor wenig zu spüren, stattdesse­n ist Hongkong weiterhin isoliert.

Kritik streng verboten

Wie sehr die Pandemie den dortigen Alltag bestimmt, lässt sich auch bei der Flaggen-Zeremonie am Freitag beobachten. Xi Jinping nutzt Corona als Vorwand, kritische Stimmen für die historisch­en Feierlichk­eiten bereits im Vorhinein zum Verstummen zu bringen. Sämtliche Lokalitäte­n wurden flächendec­kend abgeriegel­t, kritischen Medien der Zugang verwehrt, Parks für Demonstran­ten gesperrt und Drohnen im gesamten Stadtgebie­t verboten.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg