Die Herausforderungen der Verkehrswende
„Erkenntnisse aus der Wissenschaft müssen stärker berücksichtigt werden“, sagt der Physiker Dr. Félix Urbain
In Luxemburg geboren und aufgewachsen, studierte Félix Urbain in Aachen und machte seinen Doktor der Ingenieurwissenschaften im Forschungszentrum Jülich. Heute lebt und arbeitet er in Andalusien und ist Berater der Europäischen Kommission und im wissenschaftlichen Nachhaltigkeits-Gremium der Spuerkeess. Als der Materialwissenschaftler, der auch einen Master in Wirtschaft besitzt, 2015 seine Doktorarbeit über Grünen Wasserstoff geschrieben hat, war das Thema noch sehr „exotisch“.
Félix Urbain, Sie beraten auch die EUKommission – inwiefern?
Da geht es um die Evaluation, Finanzierung und auch Anwendung von Projekten im Bereich erneuerbarer Energien. Hier kann ich natürlich stark auf meinen akademischen Background zurückgreifen, da ich als Wissenschaftler sechs Jahre lang an genau diesen Themen geforscht habe, also zum Beispiel an Grünem Wasserstoff, CO2-Umwandlung, aber auch an verschiedenen Batterietechniken wie Lithium-Schwefel-Akkumulatoren oder organischen Batterien.
Das sind ja aktuell große Themen. Finden Sie das Ende des Verbrennungsmotors 2035 richtig?
Ab 2035 sollen keine neuen Personenkraftwagen mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen werden. Es geht also ausdrücklich nicht um Nutzfahrzeuge. Ich bin dafür – mit einem großen „Aber“. Ja, weil CO2 oder andere Treibhausgase zu reduzieren am effizientesten über ein Verbot von nicht klimafreundlichen Optionen geht. Dieses Leitmotiv der Europäischen Kommission teile ich. Aber es sind noch viele offene technische Fragen zur Batterietechnologie, etwa was die notwendige Energie- und Leistungsdichte oder die Lebensdauer künftiger Batterien betrifft. Auch sozio-ökonomische Fragen stellen sich: Wie steht es mit wegfallenden oder entstehenden Jobs? Sieht man sich die Strategiepläne der großen Autohersteller an, fällt ein starker Widerspruch auf: Es wird viel davon gesprochen, weniger Autos mit hoher höherer Marge zu verkaufen. Für mich heißt das, Produktions- und Entwicklungskosten runter, Kaufpreis hoch. Kann sich also überhaupt noch jeder ein Auto ab 2035 leisten? Da gibt es noch viel, was transparenter kommuniziert werden muss, damit dieses „Ja“größer und das „Aber“kleiner wird.
Wie sehen Sie die Diskrepanz in Bezug auf die Technologieoffenheit und dass die Batterietechnologie klar favorisiert wird?
Die Batterie scheint sich bei Personenkraftwagen durchgesetzt zu haben. Kritiker sehen in dem 2035-Verbot ein klares politisches Mandat pro E-Auto, welches andere Technologien wie zum Beispiel Biokraftstoff oder Wasserstoff benachteiligt. Die Europäische Kommission spricht davon, dass es bezüglich beschränkter Ressourcen, wie sie es nennen, nur logisch sei, auf die E-Mobilität zu setzen, weil sie momentan den höchsten Wirkungsgrad habe und auch andere Bereiche wie Schiffstransport oder Industrieanwendungen abdecken könne. Das stimmt aber nicht, denn dazu braucht es eine viel höhere Leistungsdichte und viel höhere Lebensdauer als heutige Elektrobatterien
bieten können. An alldem wird intensiv geforscht: so könnten zum Beispiel siliziumbasierte Batterien hohe Temperaturunterschiede aushalten und auch höhere Leistungsdichten zur Verfügung stellen. Eine kommerzielle Anwendung braucht aber noch einige Zeit. Das aber ist es, was wir jetzt brauchen: Erkenntnisse aus der Wissenschaft müssen stärker berücksichtigt werden. Die Frage der Klimaneutralität muss auch immer eine Frage der Technologieneutralität sein. Die heutige Gesetzgebung zum Beispiel bezogen auf Elektroautos schließt nicht den ganzen Lebenszyklus des Batterieantriebs mit ein, was die Treibhausgasemissionen betrifft. Es wird nur die Treibhausgasemission am Auspuff gemessen.
Wenn jetzt jeder Strom tankt: ist absehbar, dass das problemlos klappt oder bahnen sich da Engpässe an? Das E-Auto macht ja nur Sinn, wenn es auch mit grünem Strom betankt wird.
Die E-Mobilität wird Elektrizität rasch zum führenden Energieträger machen. Schätzungen zufolge wird der Gesamtenergieverbrauch von heute 23 Prozent bis 2035 auf 31 Prozent auf Elektrizität entfallen, bis 2050 sogar auf 60 Prozent. Da sprechen wir über fast 5 000 Terawattstunden. Diese Menge an grünem Strom herzustellen, das ist aus heutiger Sicht fast illusorisch. Das Netz an erneuerbaren Energien muss massiv ausgebaut werden. Das Potenzial aber ist da. Im Strategieplan der Kommission ist klar definiert, welche Länder wie viel produzieren könnten.
Wenn aber dreimal so viele Windkrafträder aufgestellt werden, wird auch der Protest dagegen größer werden ...
Das sind Barrieren, die kommen werden. Es ist bekannt, wie viel installiert werden müsste. Aber wie es installiert wird, ist immer noch in der Schwebe. Die öffentliche Akzeptanz ist die große Unbekannte.
Wie ist das bei der Solarenergie? Es sind noch viele Dächer leer. Und könnten nicht auch Autodächer aus Solarpaneelen bestehen?
Bei solchen historischen Gebäuden wie das alte Arbed-Gebäude, in dem wir uns jetzt befinden, dürfen die Dächer nicht mit Solarpaneelen bestückt werden. Leider bietet die Technologie nur wenige Alternativen zu diesen quadratischen Paneelen. Einige Innovations-Projekte entwickeln und stellen daher kleinere solare Dachziegeln her. Solardächer auf Autos ist auf den ersten Blick eine super Idee. Aber meistens liegt der Teufel im Detail. Solarzellen brauchen ein ganz spezielles Glas, das das Licht richtig bricht, damit die richtigen Wellenlängen in das Material gelangen. Als Autodach würde das sehr viel Extrakosten mit sich bringen. Und das Riesenproblem bei Solarzellen insgesamt ist der geringe Wirkungsgrad, der seit zehn Jahren immer noch etwa 20 Prozent beträgt, mit dem kommerzielle Solaranlagen Licht in Elektrizität umwandeln. Es wird viel geforscht, aber die Siliziumtechnologie kommt im Labor nicht über 26,5 Prozent. Bei den kleinen Dächern der Autos wären das maximal 300 Watt. Die beste Option ist in diesem Fall die feste Solaranlage auf der Garage oder dem Parkplatz, wo das Auto aufgeladen werden kann.
Und dass der Wirkungsgrad irgendwann 50 Prozent erreicht? ¨
Es gibt physikalische Grenzwerte, die nicht überschritten werden können. Solarzellen mit Multitandemstrukturen, bei denen verschiedene Wellenlängen des sichtbaren Lichts, Infrarot und weitere Spektren, absorbiert werden und dann mehr Elektrizität daraus produzieren können, daran wird aktuell geforscht.
Sie haben auch an CO2-Umwandlung geforscht? Welche Ideen gibt es da und was bedeutet das?
Das sogenannte Carbon Capture and Storage bedeutet: Das Treibhausgas CO2, das ausgestoßen wird und dafür sorgt, dass sich die Erde erwärmt, wird eingefangen und kann als Ausgangsmaterial für andere Produkte genutzt werden. In der Zementindustrie wird beispielsweise viel CO2 eingefangen. Ist es einmal eingefangen, muss es chemisch gebunden werden, bevor es genutzt werden kann. Das kann in Kalkstein geschehen, aber es gibt verschiedene, andere Möglichkeit, CO2 zu speichern und zu nutzen. Eine ist, es direkt mit Wasserstoff reagieren zu lassen. Beide Moleküle werden gespalten und wieder neu zusammengesetzt in KohlenwasserstoffVerbindungen, die Vorstufen von Kunststoff sind. Oder man kann diese flüssigen Verbindungen in Raffinerien weiter zu klimafreundlichen Kraftstoffen für Schiffe oder Flugzeuge prozessieren. An einem solchen Projekt beteiligt sich die Luxair.
Das Datum 2035 erhöht nun den Druck auf die Industrie, Lösungen zu liefern?
Ja, jetzt müssen Resultate folgen. Die Entwicklung muss schneller werden, auch der Weg zum kommerziellen Produkt muss jetzt angetrieben werden.
Diese Menge an grünem Strom, das ist aus heutiger Sicht fast illusorisch.
Klimaneutralität muss auch Technologieneutralität bedeuten.
Auch was die Speicherung von Energie betrifft?
Strom selbst ist ein schlechter Energiespeicher und eine E-Auto-Batterie ist kein langfristiger Stromspeicher. Aber umgewandelt in andere Produkte kann Elektrizität sehr gut, lange und effizient gespeichert werden. Biokraftstoff und Wasserstoff können nicht nur gut zum Transport genutzt werden, sie sind auch gute Energiespeicher.
Wie sieht denn der Verkehr in der Zukunft aus? Es gibt ja die schöne Vorstellung, man bräuchte in der Zukunft gar nicht mehr so viele Autos…
Carsharing kann in ökonomischer Sicht eine attraktive Alternative zum individuellen Autobesitz sein. Das Carsharing-Konzept, also das gemeinschaftliche Nutzen von Autos, kann laut Studien zudem die CO2Emission um bis zu 13 Prozent reduzieren, in Städten sogar zu 35 Prozent. Attraktiver öffentlicher Nahverkehr und Carsharing können das Verkehrsaufkommen tatsächlich reduzieren. Wie es aussieht, wird der Autoverkehr Batteriebetrieb haben, während beim Lastverkehr vielleicht Biokraftstoffe und Wasserstoff eingesetzt werden. Auch weil nach 2035 ja weiterhin Verbrennerautos vorhanden sind, könnten die ebenfalls mit Biokraftstoffen fahren, während Wasserstoff dort zum Tragen kommt, wo die Batterie ihre Grenzen erreicht, vielleicht bei Schwerlastverkehr, Luftfahrt oder Industrie. Schlussendlich wird es also ein Portfolio an Technologieanwendungen werden.