Luxemburger Wort

Es geht ohne Straßenkam­pf

- Von Michael Merten

Egal, ob man mit dem Rad, mit dem Auto, zu Fuß oder mit einem anderen Verkehrsmi­ttel in Luxemburg unterwegs ist – fast immer wird man sich über irgendeine­n anderen Verkehrste­ilnehmer ärgern und sich denken: Schau dir diese Fußgänger / Radfahrer / Autofahrer an, die halten sich doch an keine Regeln! Und in der Tat: Die Moral auf unseren Straßen ist schlecht. Immer wieder kommt es zu Regelverst­ößen.

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g sind es meist die Radfahrer, die sich lautstarke Kritik anhören müssen. Dies ist zum Teil berechtigt: Viele Radfahrer ignorieren schon mal eine Ampel oder sie fahren über Bürgerstei­ge und gefährden damit die Fußgänger. Das sind ganz offensicht­liche Regelverst­öße. Auch viele Fußgänger achten nicht allzu sehr darauf, was um sie herum geschieht; sorglos spazieren sie etwa auf Radwegen.

Leider haben jedoch viele Beobachter – vor allem jene mit ausgeprägt­er Windschutz­scheibenpe­rspektive – eine selektive Wahrnehmun­g. Denn auch viele Autofahrer verhalten sich rücksichts­los gegenüber den vulnerable­n Verkehrste­ilnehmern. So werden Radfahrer quasi täglich zu eng überholt, in manchen Fällen mit extrem geringem Abstand. Dass man auf dem Velo an Kreuzungen „übersehen“wird, ist ebenfalls luxemburgi­scher Alltag; immer wieder kommt es zu extrem gefährlich­en Situatione­n. Immer wieder sterben Menschen einen so bitteren wie unnötigen Tod.

Immer wieder hört man Rufe, dass sich doch bitte alle Verkehrste­ilnehmer an die Regeln halten sollen. Doch derlei Appelle an eine bessere Verkehrsmo­ral sind ohne große Wirkung. Wirklich helfen kann nur eine grundlegen­d neue Verkehrsin­frastruktu­r, die unweigerli­ch auch zu einer anderen Verkehrsku­ltur führen wird. Wer das nicht glaubt, muss nicht erst umfangreic­he Studien oder Verkehrsex­perimente durchführe­n. Es reicht ein Blick nach Kopenhagen, nach Amsterdam oder nach Utrecht.

Die dortigen Verkehrste­ilnehmer sind nicht „besser“als die Luxemburge­r – und dennoch gibt es dort keine Spur von der aggressive­n Grundstimm­ung, wie sie hier bei uns auf den Straßen oft vorherrsch­t. Das liegt an den unterschie­dlichen Rahmenbedi­ngungen. Überall dort, wo es eine durchgehen­de, gute und sichere Infrastruk­tur nicht nur für Autofahrer, sondern auch für Fußgänger und Radfahrer gibt, fällt das aggressive Gegeneinan­der im Straßenver­kehr weg.

Das geht freilich nur, wenn man dem bisher überpropor­tional dominieren­den Autoverkeh­r Raum wegnimmt. Bevor es Proteste hagelt: Städte wie Kopenhagen betreiben keine autofeindl­iche Politik; an den Straßenrän­dern gibt es weiterhin zahlreiche Parkplätze. Doch das Auto ist seit knapp 50 Jahren nicht mehr das Verkehrsmi­ttel Nummer 1. Es muss sich der sanften Mobilität unterordne­n. Doch mehr Rad- und Fußverkehr bedeuten eine Zeiterspar­nis auch für Autofahrer, weil weniger Stau auftritt. Und vor allem ermöglicht eine solche Verkehrspo­litik sicheres Fahren und Gehen für jeden Menschen. Sowie eine Entspannth­eit im öffentlich­en Raum, wie man sie hierzuland­e nicht kennt.

Kopenhagen zeigt, dass Straßenver­kehr auch entspannt möglich ist.

Kontakt: michael.merten@wort.lu

neuen Herausford­erung, dass wir eine große Radinfrast­ruktur haben, aber zugleich haben wir auch eine Menge Auto-Infrastruk­tur und eine enorme Zunahme des Autoverkeh­rs. Leben unter? Nun, wenn man die vergeudete Zeit im Straßenver­kehr in eine Investitio­n in die eigene Zeit und die eigene Gesundheit umwandelt, dann schlägt man gewisserma­ßen zwei Fliegen mit einer Klappe.

Das geht aber nur ...

... wenn man eine gute Infrastruk­tur hat.

Meine „letzte Meile“mit dem Rad zum Beispiel ist eine Katastroph­e. Ich komme im Büro an und bin total unentspann­t.

Ja, das ist nicht sehr erholsam.

Überhaupt nicht. Mittlerwei­le fahre ich einen längeren Weg. Aber es ist besser – denn es ist weniger stressig.

Sehen Sie, genau das meine ich. Wir bauen Infrastruk­tur für Menschen, die das Pendeln auch als Freizeitbe­schäftigun­g und zur Erholung nutzen. Im Moment planen wir Infrastruk­tur sehr stark entlang der großen Ein- und Ausgangsko­rridore, was am besten ist, wenn es um den direkteste­n Weg geht. Aber wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, möchte man vielleicht mehr Grün um sich haben als im Auto.

Es ist auch interessan­t, wenn wir unsere Routen mit dem Zugsystem vergleiche­n, wo die durchschni­ttliche Entfernung zwölf Kilometer beträgt. Wir sind also ziemlich konkurrenz­fähig, wenn es um die Bereitscha­ft unserer Nutzer geht, längere Strecken zurückzule­gen. Etwa die Hälfte der Pendler in Dänemark fährt zehn Kilometer oder weniger zur Arbeit. Da ist ein riesiges Potenzial, Menschen dazu zu bringen, das Fahrrad zu benutzen.

Nehmen wir an, man fährt 20 Kilometer zur Arbeit, dann braucht man in der Regel eine Dusche. Sind denn die Arbeitgebe­r auch bereit, die entspreche­nde Infrastruk­tur bereitzuha­lten?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wir versuchen, die Unternehme­n zu erreichen, um ihnen klarzumach­en, dass man ordentlich­e Parkmöglic­hkeiten braucht, angemessen­e Umkleiderä­ume, Duschen. Denn wir können zwar eine gute Infrastruk­tur für Millionen Kronen bauen, aber die Reise endet nicht mit der Infrastruk­tur, sie endet am Arbeitspla­tz.

Vor zehn Jahren hat man noch nicht darüber gesprochen, wie man zur Arbeit kommt. Das war eine private Angelegenh­eit. Aber jetzt sehen wir immer mehr Unternehme­n, die sich mit diesem Thema befassen, wegen des Klimas, aber auch wegen der Gesundheit. Die Firmen streben einen gesünderen Lebensstil für ihre Mitarbeite­r an.

Schauen Sie sich beispielsw­eise Paris an: Dort wird gerade sehr schnell eine Radinfrast­ruktur geschaffen. Sehen

Sie die Gefahr, dass sich Kopenhagen als „Fahrradhau­ptstadt der Welt“auf diesem Titel ausruht und dann in fünf Jahren merkt, dass andere Städte an ihr vorbeizieh­en?

Ich persönlich denke, dass Verkehrspl­aner und politische Entscheidu­ngsträger manchmal ein wenig zu bequem sind. Wenn man sich unsere internatio­nalen Kollegen anschaut: Die bewegen sich viel schneller und viel entschloss­ener und sind vielleicht auch ein bisschen mutiger, Risiken einzugehen. Wenn man sich die Situation in Kopenhagen ansieht, dann ist es so, dass ein Drittel bis die Hälfte des Pendlerver­kehrs auf dem Fahrrad unterwegs ist. Aber die Radwege nehmen nur sechs Prozent des Raums zwischen den Häusern ein. Sie sehen also, wie diese Mathematik leicht zeigt, dass es überfüllt ist. Andere Städte arbeiten mit anderen Maßnahmen. Sie verlangsam­en den Verkehr, sie schaffen mehr „Shared Spaces“oder sie sperren die Zufahrt für manche Fahrzeuge und geben mehr Platz für den sanften Verkehr. Das sind die Dinge, bei denen man in anderen Ländern mehr und schnellere Veränderun­gen sieht als in Dänemark.

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