Es geht ohne Straßenkampf
Egal, ob man mit dem Rad, mit dem Auto, zu Fuß oder mit einem anderen Verkehrsmittel in Luxemburg unterwegs ist – fast immer wird man sich über irgendeinen anderen Verkehrsteilnehmer ärgern und sich denken: Schau dir diese Fußgänger / Radfahrer / Autofahrer an, die halten sich doch an keine Regeln! Und in der Tat: Die Moral auf unseren Straßen ist schlecht. Immer wieder kommt es zu Regelverstößen.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind es meist die Radfahrer, die sich lautstarke Kritik anhören müssen. Dies ist zum Teil berechtigt: Viele Radfahrer ignorieren schon mal eine Ampel oder sie fahren über Bürgersteige und gefährden damit die Fußgänger. Das sind ganz offensichtliche Regelverstöße. Auch viele Fußgänger achten nicht allzu sehr darauf, was um sie herum geschieht; sorglos spazieren sie etwa auf Radwegen.
Leider haben jedoch viele Beobachter – vor allem jene mit ausgeprägter Windschutzscheibenperspektive – eine selektive Wahrnehmung. Denn auch viele Autofahrer verhalten sich rücksichtslos gegenüber den vulnerablen Verkehrsteilnehmern. So werden Radfahrer quasi täglich zu eng überholt, in manchen Fällen mit extrem geringem Abstand. Dass man auf dem Velo an Kreuzungen „übersehen“wird, ist ebenfalls luxemburgischer Alltag; immer wieder kommt es zu extrem gefährlichen Situationen. Immer wieder sterben Menschen einen so bitteren wie unnötigen Tod.
Immer wieder hört man Rufe, dass sich doch bitte alle Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten sollen. Doch derlei Appelle an eine bessere Verkehrsmoral sind ohne große Wirkung. Wirklich helfen kann nur eine grundlegend neue Verkehrsinfrastruktur, die unweigerlich auch zu einer anderen Verkehrskultur führen wird. Wer das nicht glaubt, muss nicht erst umfangreiche Studien oder Verkehrsexperimente durchführen. Es reicht ein Blick nach Kopenhagen, nach Amsterdam oder nach Utrecht.
Die dortigen Verkehrsteilnehmer sind nicht „besser“als die Luxemburger – und dennoch gibt es dort keine Spur von der aggressiven Grundstimmung, wie sie hier bei uns auf den Straßen oft vorherrscht. Das liegt an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Überall dort, wo es eine durchgehende, gute und sichere Infrastruktur nicht nur für Autofahrer, sondern auch für Fußgänger und Radfahrer gibt, fällt das aggressive Gegeneinander im Straßenverkehr weg.
Das geht freilich nur, wenn man dem bisher überproportional dominierenden Autoverkehr Raum wegnimmt. Bevor es Proteste hagelt: Städte wie Kopenhagen betreiben keine autofeindliche Politik; an den Straßenrändern gibt es weiterhin zahlreiche Parkplätze. Doch das Auto ist seit knapp 50 Jahren nicht mehr das Verkehrsmittel Nummer 1. Es muss sich der sanften Mobilität unterordnen. Doch mehr Rad- und Fußverkehr bedeuten eine Zeitersparnis auch für Autofahrer, weil weniger Stau auftritt. Und vor allem ermöglicht eine solche Verkehrspolitik sicheres Fahren und Gehen für jeden Menschen. Sowie eine Entspanntheit im öffentlichen Raum, wie man sie hierzulande nicht kennt.
Kopenhagen zeigt, dass Straßenverkehr auch entspannt möglich ist.
Kontakt: michael.merten@wort.lu
neuen Herausforderung, dass wir eine große Radinfrastruktur haben, aber zugleich haben wir auch eine Menge Auto-Infrastruktur und eine enorme Zunahme des Autoverkehrs. Leben unter? Nun, wenn man die vergeudete Zeit im Straßenverkehr in eine Investition in die eigene Zeit und die eigene Gesundheit umwandelt, dann schlägt man gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe.
Das geht aber nur ...
... wenn man eine gute Infrastruktur hat.
Meine „letzte Meile“mit dem Rad zum Beispiel ist eine Katastrophe. Ich komme im Büro an und bin total unentspannt.
Ja, das ist nicht sehr erholsam.
Überhaupt nicht. Mittlerweile fahre ich einen längeren Weg. Aber es ist besser – denn es ist weniger stressig.
Sehen Sie, genau das meine ich. Wir bauen Infrastruktur für Menschen, die das Pendeln auch als Freizeitbeschäftigung und zur Erholung nutzen. Im Moment planen wir Infrastruktur sehr stark entlang der großen Ein- und Ausgangskorridore, was am besten ist, wenn es um den direktesten Weg geht. Aber wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, möchte man vielleicht mehr Grün um sich haben als im Auto.
Es ist auch interessant, wenn wir unsere Routen mit dem Zugsystem vergleichen, wo die durchschnittliche Entfernung zwölf Kilometer beträgt. Wir sind also ziemlich konkurrenzfähig, wenn es um die Bereitschaft unserer Nutzer geht, längere Strecken zurückzulegen. Etwa die Hälfte der Pendler in Dänemark fährt zehn Kilometer oder weniger zur Arbeit. Da ist ein riesiges Potenzial, Menschen dazu zu bringen, das Fahrrad zu benutzen.
Nehmen wir an, man fährt 20 Kilometer zur Arbeit, dann braucht man in der Regel eine Dusche. Sind denn die Arbeitgeber auch bereit, die entsprechende Infrastruktur bereitzuhalten?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir versuchen, die Unternehmen zu erreichen, um ihnen klarzumachen, dass man ordentliche Parkmöglichkeiten braucht, angemessene Umkleideräume, Duschen. Denn wir können zwar eine gute Infrastruktur für Millionen Kronen bauen, aber die Reise endet nicht mit der Infrastruktur, sie endet am Arbeitsplatz.
Vor zehn Jahren hat man noch nicht darüber gesprochen, wie man zur Arbeit kommt. Das war eine private Angelegenheit. Aber jetzt sehen wir immer mehr Unternehmen, die sich mit diesem Thema befassen, wegen des Klimas, aber auch wegen der Gesundheit. Die Firmen streben einen gesünderen Lebensstil für ihre Mitarbeiter an.
Schauen Sie sich beispielsweise Paris an: Dort wird gerade sehr schnell eine Radinfrastruktur geschaffen. Sehen
Sie die Gefahr, dass sich Kopenhagen als „Fahrradhauptstadt der Welt“auf diesem Titel ausruht und dann in fünf Jahren merkt, dass andere Städte an ihr vorbeiziehen?
Ich persönlich denke, dass Verkehrsplaner und politische Entscheidungsträger manchmal ein wenig zu bequem sind. Wenn man sich unsere internationalen Kollegen anschaut: Die bewegen sich viel schneller und viel entschlossener und sind vielleicht auch ein bisschen mutiger, Risiken einzugehen. Wenn man sich die Situation in Kopenhagen ansieht, dann ist es so, dass ein Drittel bis die Hälfte des Pendlerverkehrs auf dem Fahrrad unterwegs ist. Aber die Radwege nehmen nur sechs Prozent des Raums zwischen den Häusern ein. Sie sehen also, wie diese Mathematik leicht zeigt, dass es überfüllt ist. Andere Städte arbeiten mit anderen Maßnahmen. Sie verlangsamen den Verkehr, sie schaffen mehr „Shared Spaces“oder sie sperren die Zufahrt für manche Fahrzeuge und geben mehr Platz für den sanften Verkehr. Das sind die Dinge, bei denen man in anderen Ländern mehr und schnellere Veränderungen sieht als in Dänemark.