Die Stunde der Wahrheit
Am Mittwoch stimmt das Europaparlament über die Pläne ab, Kernkraft und Gas als umweltfreundliche Energien einzustufen
Tilly Metz, EU-Abgeordnete für Déi Gréng, ist „sehr besorgt“. Der Grund: Am Mittwoch wird das EU-Parlament über den Vorschlag der EU-Kommission abstimmen, Atomkraft und Gas übergangsweise als umweltfreundliche Energien einzustufen. Das Vorhaben sorgt seit jeher für Unmut in der europäischen Volksvertretung. Erst vor wenigen Wochen fiel der Vorschlag in den relevanten Ausschüssen des Parlaments knapp durch, doch der Ausgang des ausschlaggebenden Votums im Plenum ist, da sind sich alle EUKenner einig, sehr unberechenbar.
Konkret geht es um die sogenannte grüne Taxonomie – eine Art Katalog für Investoren im Kampf gegen die Klimakrise. Diese soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreundliche Technologien zu investieren, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Im Winter hatte Ursula von der Leyens EU-Kommission – unter dem Druck von Staaten wie Frankreich – diesbezüglich vorgeschlagen, Investitionen in umstrittene Quellen wie Kern- und Gasenergie unter bestimmten Bedingungen als grün einzustufen. „Das wäre schlecht für Umwelt, Klima und Menschen“, urteilt Tilly Metz. Nun hat das EU-Parlament aber die Möglichkeit, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Stimmt eine absolute Mehrheit der EU-Abgeordneten (353 von 705) dagegen, muss die EU-Kommission ihren Vorschlag zurückziehen und ändern.
Doch der Energiemix der verschiedenen EU-Länder stimmt am Mittwoch gewissermaßen mit. Deswegen ist der Ausgang der Abstimmung auch so ungewiss: Nationale Interessen machen es den wichtigen Fraktionen schwierig, eine klare Haltung zu definieren. Während Grüne und Linke sich vor der Abstimmung eindeutig positionieren, ist das Abstimmungsverhalten der Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten noch total ungewiss.
Goerens ist noch unentschlossen Christophe Hansen, EU-Parlamentarier der CSV, versucht demnach noch, Fraktionskollegen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) bis Mittwoch umzustimmen. „Es geht dabei gar nicht darum, Atom oder Gas zu verbieten, sondern darum, festzulegen, was zukunftsfähig ist“, sagt er. „Leider wird die Debatte in vielen Mitgliedsländern simplistisch geführt“, bedauert Hansen. „Wegen der derzeitigen Energiekrise wird gesagt, dass der Vorschlag der Kommission gegen die Preiserhöhungen wirken könnte – doch das stimmt einfach nicht. Der Vorschlag wird vor allem Deutschland und Frankreich Profit bringen und ist demnach europäisch unausgeglichen.“„Zum Glück entdecken nun einige Kollegen, dass das Thema komplexer ist“, so Hansen weiter, der darauf hofft, noch einige EVP-Politiker zu überzeugen. Einfach ist es nicht – ein Sprecher der Fraktion schätzt nämlich, dass eine Mehrheit innerhalb der mächtigen EVP für den Vorschlag stimmen wird.
Brisant ist auch die Haltung des DP-Politikers Charles Goerens, der sich – anders als die anderen fünf Abgeordneten aus Luxemburg – noch nicht festlegen möchte. Goerens ist nämlich mit der Fraktionslinie der Liberalen einverstanden, wonach „Atomenergie eine wichtige Übergangsenergie ist“. „Wir werden wohl noch einige Jahrzehnte Kernenergie brauchen, um unsere ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen”, sagt er. Es sei demnach wichtig, das Thema „unideologisch und pragmatisch” zu betrachten. Um sich definitiv festzulegen, will Goerens demnach noch einige Argumente von beiden Seiten hören. Er hofft auch auf konkrete Antworten des EU-Klimakommissars Frans Timmermans, der am Montag in Luxemburg sein wird.
Der DP-Politiker bricht damit mit einem sehr breiten politischen Konsens in Luxemburg, wonach Atomenergie in keinster Weise ausgebaut werden darf. Sollte das EUParlament den Vorschlag der Kommission nicht verwerfen, hat die Regierung bereits angekündigt, rechtliche Schritte dagegen beim EuGH einleiten zu wollen.