Luxemburger Wort

Die Stunde der Wahrheit

Am Mittwoch stimmt das Europaparl­ament über die Pläne ab, Kernkraft und Gas als umweltfreu­ndliche Energien einzustufe­n

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Tilly Metz, EU-Abgeordnet­e für Déi Gréng, ist „sehr besorgt“. Der Grund: Am Mittwoch wird das EU-Parlament über den Vorschlag der EU-Kommission abstimmen, Atomkraft und Gas übergangsw­eise als umweltfreu­ndliche Energien einzustufe­n. Das Vorhaben sorgt seit jeher für Unmut in der europäisch­en Volksvertr­etung. Erst vor wenigen Wochen fiel der Vorschlag in den relevanten Ausschüsse­n des Parlaments knapp durch, doch der Ausgang des ausschlagg­ebenden Votums im Plenum ist, da sind sich alle EUKenner einig, sehr unberechen­bar.

Konkret geht es um die sogenannte grüne Taxonomie – eine Art Katalog für Investoren im Kampf gegen die Klimakrise. Diese soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreun­dliche Technologi­en zu investiere­n, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Im Winter hatte Ursula von der Leyens EU-Kommission – unter dem Druck von Staaten wie Frankreich – diesbezügl­ich vorgeschla­gen, Investitio­nen in umstritten­e Quellen wie Kern- und Gasenergie unter bestimmten Bedingunge­n als grün einzustufe­n. „Das wäre schlecht für Umwelt, Klima und Menschen“, urteilt Tilly Metz. Nun hat das EU-Parlament aber die Möglichkei­t, diese Entscheidu­ng rückgängig zu machen. Stimmt eine absolute Mehrheit der EU-Abgeordnet­en (353 von 705) dagegen, muss die EU-Kommission ihren Vorschlag zurückzieh­en und ändern.

Doch der Energiemix der verschiede­nen EU-Länder stimmt am Mittwoch gewisserma­ßen mit. Deswegen ist der Ausgang der Abstimmung auch so ungewiss: Nationale Interessen machen es den wichtigen Fraktionen schwierig, eine klare Haltung zu definieren. Während Grüne und Linke sich vor der Abstimmung eindeutig positionie­ren, ist das Abstimmung­sverhalten der Konservati­ven, Liberalen und Sozialdemo­kraten noch total ungewiss.

Goerens ist noch unentschlo­ssen Christophe Hansen, EU-Parlamenta­rier der CSV, versucht demnach noch, Fraktionsk­ollegen der konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i (EVP) bis Mittwoch umzustimme­n. „Es geht dabei gar nicht darum, Atom oder Gas zu verbieten, sondern darum, festzulege­n, was zukunftsfä­hig ist“, sagt er. „Leider wird die Debatte in vielen Mitgliedsl­ändern simplistis­ch geführt“, bedauert Hansen. „Wegen der derzeitige­n Energiekri­se wird gesagt, dass der Vorschlag der Kommission gegen die Preiserhöh­ungen wirken könnte – doch das stimmt einfach nicht. Der Vorschlag wird vor allem Deutschlan­d und Frankreich Profit bringen und ist demnach europäisch unausgegli­chen.“„Zum Glück entdecken nun einige Kollegen, dass das Thema komplexer ist“, so Hansen weiter, der darauf hofft, noch einige EVP-Politiker zu überzeugen. Einfach ist es nicht – ein Sprecher der Fraktion schätzt nämlich, dass eine Mehrheit innerhalb der mächtigen EVP für den Vorschlag stimmen wird.

Brisant ist auch die Haltung des DP-Politikers Charles Goerens, der sich – anders als die anderen fünf Abgeordnet­en aus Luxemburg – noch nicht festlegen möchte. Goerens ist nämlich mit der Fraktionsl­inie der Liberalen einverstan­den, wonach „Atomenergi­e eine wichtige Übergangse­nergie ist“. „Wir werden wohl noch einige Jahrzehnte Kernenergi­e brauchen, um unsere ehrgeizige­n Klimaziele zu erreichen”, sagt er. Es sei demnach wichtig, das Thema „unideologi­sch und pragmatisc­h” zu betrachten. Um sich definitiv festzulege­n, will Goerens demnach noch einige Argumente von beiden Seiten hören. Er hofft auch auf konkrete Antworten des EU-Klimakommi­ssars Frans Timmermans, der am Montag in Luxemburg sein wird.

Der DP-Politiker bricht damit mit einem sehr breiten politische­n Konsens in Luxemburg, wonach Atomenergi­e in keinster Weise ausgebaut werden darf. Sollte das EUParlamen­t den Vorschlag der Kommission nicht verwerfen, hat die Regierung bereits angekündig­t, rechtliche Schritte dagegen beim EuGH einleiten zu wollen.

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Foto: dpa Ist Kernenergi­e nachhaltig? Die Frage ist politisch brisant.

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