Luxemburger Wort

Dänischer Kronprinz

Jonas Vingegaard ist Herausford­erer und Hoffnungst­räger zugleich

- Von Joe Geimer

Mehr als 10 000 Radsportfa­ns feierten die Fahrer der 109. Tour de France am Mittwoch bei der Teampräsen­tation in Kopenhagen. Unter den Augen von Kronprinz Frederik und bei Musik der PopBand Lukas Graham herrschte echte Volksfests­timmung im Freizeitpa­rk Tivoli. Die Fahrer waren sich allesamt einig, so eine Stimmung hatten sie bei einem Grand Départ seit 2014 in Leeds nicht mehr erlebt. Sie kamen aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus und genossen die vergangene­n Tage bei perfektem Wetter sichtlich. Und die einheimisc­hen Fans jubelten, sangen und feierten ihre Helden.

Seit Mogens Frey, dem ersten dänischen Tour-Etappensie­ger im Jahr 1970, hat der Radsport in dem Königreich eine rasante Entwicklun­g genommen. Kim Andersen war 1983 der erste Däne im Gelben Trikot der Tour de France. Jesper Skibby, Bo Hamburger und Rolf Sörensen gehörten in den 1990er-Jahren zur Weltelite.

Auch einen dänischen Gesamtsieg­er gab es schon: 1996 wurde Bjarne Riis zum dänischen Volkshelde­n und sorgte anschließe­nd für eine riesige Enttäuschu­ng im dänischen Bewusstsei­n. Der Telekom-Kapitän war gedopt, wie er Jahre später öffentlich beichtete. Seitdem leidet der dänische Radsport an einem Trauma. Zum Grand Départ in Kopenhagen war Riis, der „Adler von Herning“, nicht einmal eingeladen. „Das tut weh“, sagte der 58-Jährige: „Ich hatte darauf gehofft. Aber so ist das Leben eben.“

Dänemarks „Goldene Generation“

Die Schatten der Vergangenh­eit sollten das Radsportfe­st nicht trüben. Die dänischen Anhänger befinden sich seit Jahren regelmäßig in Feierlaune, denn die einheimisc­hen Radprofis sind so stark, wie lange nicht mehr. Der oft überstrapa­zierte Begriff „Goldene Generation“trifft in diesem Fall zu: Jakob Fuglsang hat die Monumente Liège-Bastogne-Liège (2019) und Il Lombardia (2020) gewonnen, Kasper Asgreen jubelte bei der Flandern-Rundfahrt (2021), Mads Pedersen war Weltmeiste­r (2019). Mindestens ein Dutzend dänische Profis gehören aktuell zum Kreis der erweiterte­n Weltklasse, zehn von ihnen sind bei der 109. Tour de France – ein Fahrer mehr als aus Deutschlan­d, dabei hat diese Nation 14 Mal mehr Einwohner! Asgreen, Mikkel Bjerg, Magnus Cort Nielsen, Fuglsang, Christophe­r Juul Jensen, Mikkel Honoré, Andreas Kron, Michael Morkov und Pedersen ist allesamt mindestens ein Etappensie­g in den kommenden drei Tagen zuzutrauen. Bislang haben das 13 Dänen geschafft. Als Letzter schlug Sören Kragh Andersen 2020 gleich doppelt zu.

Raus aus dem Schatten

Von einem Landsmann erwarten die dänischen Fans gar mehr: Jonas Vingegaard. Bei der Teampräsen­tation hatte der 25-Jährige Tränen in den Augen wegen des enthusiast­ischen Empfangs. Vin-gegaard, Vin-ge-gaard. Die Sprechchör­e waren ohrenbetäu­bend. Der schmächtig­e Kletterkün­stler sog die Atmosphäre auf. Er wird auch alle Energie brauchen, schließlic­h hat er Großes vor. „Es gibt nichts, was mich daran hindern könnte, mein Bestes zu zeigen“, erklärte Vingegaard vor dem Auftakt: „Ich brenne darauf, es noch besser zu machen als im vergangene­n Jahr.“Tour-Zweiter war der Senkrechts­tarter

aus dem niederländ­ischen Jumbo-Visma-Team damals hinter dem slowenisch­en Wunderknab­en Tadej Pogacar (Emirates).

Und diesmal besser zu sein als damals, hieße, den Gesamtsieg zu holen. „Ja, ich wage durchaus, daran zu denken“, sagte Vingegaard am Donnerstag vor versammelt­er Presse. In die Tour startet der 25Jährige, der neben seiner Existenz als Radprofi lange in einer dänischen Fischfabri­k arbeitete, als Nummer zwei im wohl stärksten Team des Pelotons. Als Kapitän geht der Slowene Primoz Roglic in die Grande Boucle. Für Vingegaard, der im Vorjahr nach Roglics Sturz-Aus zur Nummer eins aufrückte und die neue Rolle mit Bravour ausfüllte, kein Problem: „Primoz war schließlic­h derjenige, der immer an mich geglaubt hat.“

Bärenstark­er letzter Test

Zuletzt zeigte sich das Leichtgewi­cht (59 kg) beim Critérium du Dauphiné in fantastisc­her Form. Vingegaard wurde nicht nur Zweiter in der Gesamtwert­ung und holte einen Tagessieg, sondern es wirkte auch so, als wäre er eigentlich stärker als Kapitän Roglic, der sich den Gesamtsieg sicherte.

Ganz Dänemark würde ausrasten, sollte Vingegaard der ganz große Triumph gelingen. Dann wären die schmerzhaf­ten Erinnerung­en an die Dopingsünd­er Riis und Michael Rasmussen wohl definitiv vergessen. Vingegaard geht ganz offen mit der Vergangenh­eit um: „Der Radsport hat sich seitdem geändert. Natürlich gibt es wegen dieser Zeiten Zweifel an unseren Leistungen. Und wenn ich ein Fan wäre, würde ich auch zweifeln.“

Das beste aus dänischer Sicht: Die Zukunft sieht rosig aus. Bei den Espoirs holten die Dänen seit 2015 fünf Weltmeiste­rtitel, bei den Junioren waren es drei Goldmedail­len.

Politik, Seite 2-3

Jonas Vingegaard wird bei der Teampräsen­tation von den begeistert­en dänischen Fans gefeiert.

Primoz Roglic (l.) überlässt seinem Teamkolleg­en Jonas Vingegaard den Etappensie­g beim Critérium du Dauphiné.

Ich brenne darauf, es noch besser zu machen als im vergangene­n Jahr. Jonas Vingegaard

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