Das Sozialamt stößt an seine Grenzen
Wohnungsnot, administrative Hürden und komplizierte Prozeduren erschweren die Sozialarbeit auf lokaler Ebene
Im Sozialhilfesektor besteht auf vielen Ebenen Verbesserungsbedarf. Besonders die Wohnungssuche macht den Sozialhilfeempfängern zu schaffen. Hinzu kommen administrative Hürden, die auch den Sozialämtern das Leben nicht unbedingt leicht machen. Diese wenig überraschenden Schlüsse ließen sich nach der „Journée du travail social dans les communes“am vergangenen Montag in Mersch ziehen.
Auf Initiative der „Entente des offices sociaux asbl“und des Syvicol diskutierten die Leiter der rund 30 Sozialämter sowie Akteure aus dem Sozialbereich im Mierscher Kulturhaus über die Stärken und Herausforderungen der Sozialarbeit auf lokaler Ebene.
Mehr Zusammenarbeit nötig
Im Anschluss an die Workshops, an denen sich Vertreter aus 21 Gemeinden und 27 Sozialämtern beteiligt hatten, wurden die wichtigsten Problematiken zusammengefasst und in einer Gesprächsrunde mit den beiden Ministerinnen Corinne Cahen (DP) und Taina Bofferding (LSAP) zur Diskussion gestellt.
Die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und Gemeindebeamten sowie den Verantwortlichen und Fachleuten der Sozialämter sei verbesserungsbedürftig, hatte sich unter anderem herauskristallisiert. Um eine umfassende Betreuung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und zu verhindern, dass mehr
Menschen an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt würden, sei diese Synergie von großer Wichtigkeit, unterstrich Syvicol-Präsident Emile Eicher eingangs.
Besonders an der Kommunikation müsse gearbeitet werden, wurde mehrfach hervorgehoben. Da es oft schwer sei, den richtigen Ansprechpartner zu finden, wurde der Wunsch nach einer Referenzperson laut. Das Gesetz vom 18. Dezember 2009 zur Organisation der Sozialhilfe wurde allgemein für gut befunden, dafür gab es aber Kritik am Revis-Gesetz von 2018. Die Mitarbeiter der auf Gemeindeebene tätigen Sozialdienste forderten mehr Austausch, bevor Gesetze zur Abstimmung gebracht werden.
Sowohl die Ministerin für Familie, Integration und die Großregion, Corinne Cahen, als auch Innenministerin Taina Bofferding zeigten Verständnis für die Probleme und stellten gleichzeitig Verbesserungen in Aussicht.
Offenes Ohr für Probleme
Mit der Reform des Revis (Revenue d’inclusion sociale, früher RMG) wurden die Regionalbeauftragten für soziale Eingliederung (ARIS) in die Sozialämter integriert, was den direkten Zugang zu Informationen erleichtern sollte, sagte Cahen. Dennoch räumte sie ein, von Problemen gehört zu haben. Die Idee, ein oder zwei Referenzpersonen für die Sozialämter zu ernennen, würde nicht auf taube Ohren stoßen.
Das Gesetz aus dem Jahr 2009, durch das ein Recht auf Sozialhilfe
eingeführt wurde, müsse überarbeitet werden, meinte die liberale Ministerin. Im Koalitionsabkommen sei dies nicht vorgesehen. „Das sollte man aber in dem nächsten unbedingt festhalten“, so Cahen, die in diesem Kontext auch die Wichtigkeit eines Austauschs mit den „Leuten um Terrain“hervorhob.
Bezahlbarer Wohnraum fehlt
„Die Aufgaben haben sich in den letzten Jahren verändert, es sind neue hinzugekommen, die Bevölkerung wächst. Wir brauchen mehr Personal. Der Personalschlüssel in den Gemeinden muss heraufgesetzt werden. Das wird aber nicht alle Probleme lösen“, gab sie zu bedenken und führte die Wohnungsmarktsituation als größtes Sorgenkind an. Hier müsse dringend nach Lösungen gesucht werden, indem beispielsweise dafür gesorgt werde, dass mehr Wohnungen oder Häuser über die „Agence immobilière sociale“(AIS) vermietet werden.
Innenministerin Taina Bofferding verwies in diesem Kontext auf den Pacte Logement 2.0, mit dem das Angebot an erschwinglichen Wohnungen erhöht werden soll. „Wenn ein neues Wohnviertel entsteht, muss künftig ein gewisser Prozentsatz davon bezahlbarer Wohnraum sein, der in den öffentlichen Besitz übergeht. Uns ist es wichtig, dass ein Teil der sozialen Mietwohnungen in der Hand der Gemeinden bleibt, die so ihren eigenen Wohnpark konsequent ausbauen sollen“, regte sie an.
Unterdessen sei der Wohnungsbauminister dabei, gesetzliche Anpassungen vorzunehmen, um Wohnungen gezielter über einen „Bailleur social“zu vermieten. „Das Wohnungsbauproblem ist so tief verankert, dass wir nicht die eine Lösung haben“, gab sie jedoch zu bedenken.
Mehr Hürden durch Revis-Reform Ginette Jones, Präsidentin der „Entente des offices sociaux“, bemerkte, dass es nicht unbedingt nötig sei, das Personal zu verdoppeln, sondern vielmehr die Prozeduren vereinfacht werden müssten. Das Sozialhilfe-Gesetz aus dem Jahr 2009 sei gut und unkompliziert. Erst die Reform des Revis habe vieles verkompliziert.
„Dadurch ist noch eine andere Prozedur hinzugekommen. Seither treffen Entscheidungsträger und Akteure außerhalb des Sozialamts auch noch Entscheidungen, und das ist eine komische Situation. Da wir nun zwei Gesetze mit zwei unterschiedlichen Prozeduren haben, stellen wir uns oft selbst ein Bein. Es macht keinen Sinn, dass ein Sozialamt zwei informatische Datenbanken hat“, bemerkte sie.
Was die Kommunikation anbelange, so wies Jones darauf hin, dass man es nicht selten mit Menschen zu tun habe, die entweder unser Alphabet nicht kennen würden oder Analphabeten seien.
Mit neuen Realitäten konfrontiert „Wir sind heute mit viel mehr Sprachen konfrontiert. Wenn Klienten ins Sozialamt kommen, stehen unsere Mitarbeiter vor ganz neuen Herausforderungen. Die Prozeduren müssen vereinfacht werden, damit wir diesen Realitäten besser begegnen können. Es muss leichter sein, an die nötigen Informationen zu kommen“, appellierte sie an die beiden Ministerinnen. „Wir sind dabei, das Revis-Gesetz zu evaluieren, um da nachbessern zu können, wo es noch nötig ist“, informierte daraufhin Cahen.
Missbrauch ließe sich wohl nicht komplett vermeiden, jedoch würden 96 Prozent der Klienten sich an das Sozialamt wenden, weil sie die Hilfe wirklich benötigen, unterstrich die Präsidentin der „Entente des offices sociaux“. „Diese Menschen müssen wir ernst nehmen“, hielt Jones fest.
„Das Problem in Luxemburg ist nicht, dass Sozialwohnungen von Menschen blockiert werden, die sie nicht wirklich brauchen, sondern dass wir nicht genug davon haben. Die einzige Lösung ist, die Zahl der Sozialwohnungen zu erhöhen“, brachte es eine Person aus dem Publikum auf den Punkt. Der Großteil der Probleme der sozial schwachen Familien wäre tatsächlich gelöst, wenn ihre Wohnsituationen stabil wäre – da waren sich am Ende alle einig.
Wir müssen die Menschen und ihre Probleme ernst nehmen. Ginette Jones, Präsidentin der „Entente des offices sociaux“