Luxemburger Wort

Das Sozialamt stößt an seine Grenzen

Wohnungsno­t, administra­tive Hürden und komplizier­te Prozeduren erschweren die Sozialarbe­it auf lokaler Ebene

- Von Simone Molitor

Im Sozialhilf­esektor besteht auf vielen Ebenen Verbesseru­ngsbedarf. Besonders die Wohnungssu­che macht den Sozialhilf­eempfänger­n zu schaffen. Hinzu kommen administra­tive Hürden, die auch den Sozialämte­rn das Leben nicht unbedingt leicht machen. Diese wenig überrasche­nden Schlüsse ließen sich nach der „Journée du travail social dans les communes“am vergangene­n Montag in Mersch ziehen.

Auf Initiative der „Entente des offices sociaux asbl“und des Syvicol diskutiert­en die Leiter der rund 30 Sozialämte­r sowie Akteure aus dem Sozialbere­ich im Mierscher Kulturhaus über die Stärken und Herausford­erungen der Sozialarbe­it auf lokaler Ebene.

Mehr Zusammenar­beit nötig

Im Anschluss an die Workshops, an denen sich Vertreter aus 21 Gemeinden und 27 Sozialämte­rn beteiligt hatten, wurden die wichtigste­n Problemati­ken zusammenge­fasst und in einer Gesprächsr­unde mit den beiden Ministerin­nen Corinne Cahen (DP) und Taina Bofferding (LSAP) zur Diskussion gestellt.

Die Zusammenar­beit zwischen den gewählten Vertretern und Gemeindebe­amten sowie den Verantwort­lichen und Fachleuten der Sozialämte­r sei verbesseru­ngsbedürft­ig, hatte sich unter anderem herauskris­tallisiert. Um eine umfassende Betreuung der Bürgerinne­n und Bürger zu gewährleis­ten und zu verhindern, dass mehr

Menschen an den Rand unserer Gesellscha­ft gedrängt würden, sei diese Synergie von großer Wichtigkei­t, unterstric­h Syvicol-Präsident Emile Eicher eingangs.

Besonders an der Kommunikat­ion müsse gearbeitet werden, wurde mehrfach hervorgeho­ben. Da es oft schwer sei, den richtigen Ansprechpa­rtner zu finden, wurde der Wunsch nach einer Referenzpe­rson laut. Das Gesetz vom 18. Dezember 2009 zur Organisati­on der Sozialhilf­e wurde allgemein für gut befunden, dafür gab es aber Kritik am Revis-Gesetz von 2018. Die Mitarbeite­r der auf Gemeindeeb­ene tätigen Sozialdien­ste forderten mehr Austausch, bevor Gesetze zur Abstimmung gebracht werden.

Sowohl die Ministerin für Familie, Integratio­n und die Großregion, Corinne Cahen, als auch Innenminis­terin Taina Bofferding zeigten Verständni­s für die Probleme und stellten gleichzeit­ig Verbesseru­ngen in Aussicht.

Offenes Ohr für Probleme

Mit der Reform des Revis (Revenue d’inclusion sociale, früher RMG) wurden die Regionalbe­auftragten für soziale Einglieder­ung (ARIS) in die Sozialämte­r integriert, was den direkten Zugang zu Informatio­nen erleichter­n sollte, sagte Cahen. Dennoch räumte sie ein, von Problemen gehört zu haben. Die Idee, ein oder zwei Referenzpe­rsonen für die Sozialämte­r zu ernennen, würde nicht auf taube Ohren stoßen.

Das Gesetz aus dem Jahr 2009, durch das ein Recht auf Sozialhilf­e

eingeführt wurde, müsse überarbeit­et werden, meinte die liberale Ministerin. Im Koalitions­abkommen sei dies nicht vorgesehen. „Das sollte man aber in dem nächsten unbedingt festhalten“, so Cahen, die in diesem Kontext auch die Wichtigkei­t eines Austauschs mit den „Leuten um Terrain“hervorhob.

Bezahlbare­r Wohnraum fehlt

„Die Aufgaben haben sich in den letzten Jahren verändert, es sind neue hinzugekom­men, die Bevölkerun­g wächst. Wir brauchen mehr Personal. Der Personalsc­hlüssel in den Gemeinden muss heraufgese­tzt werden. Das wird aber nicht alle Probleme lösen“, gab sie zu bedenken und führte die Wohnungsma­rktsituati­on als größtes Sorgenkind an. Hier müsse dringend nach Lösungen gesucht werden, indem beispielsw­eise dafür gesorgt werde, dass mehr Wohnungen oder Häuser über die „Agence immobilièr­e sociale“(AIS) vermietet werden.

Innenminis­terin Taina Bofferding verwies in diesem Kontext auf den Pacte Logement 2.0, mit dem das Angebot an erschwingl­ichen Wohnungen erhöht werden soll. „Wenn ein neues Wohnvierte­l entsteht, muss künftig ein gewisser Prozentsat­z davon bezahlbare­r Wohnraum sein, der in den öffentlich­en Besitz übergeht. Uns ist es wichtig, dass ein Teil der sozialen Mietwohnun­gen in der Hand der Gemeinden bleibt, die so ihren eigenen Wohnpark konsequent ausbauen sollen“, regte sie an.

Unterdesse­n sei der Wohnungsba­uminister dabei, gesetzlich­e Anpassunge­n vorzunehme­n, um Wohnungen gezielter über einen „Bailleur social“zu vermieten. „Das Wohnungsba­uproblem ist so tief verankert, dass wir nicht die eine Lösung haben“, gab sie jedoch zu bedenken.

Mehr Hürden durch Revis-Reform Ginette Jones, Präsidenti­n der „Entente des offices sociaux“, bemerkte, dass es nicht unbedingt nötig sei, das Personal zu verdoppeln, sondern vielmehr die Prozeduren vereinfach­t werden müssten. Das Sozialhilf­e-Gesetz aus dem Jahr 2009 sei gut und unkomplizi­ert. Erst die Reform des Revis habe vieles verkompliz­iert.

„Dadurch ist noch eine andere Prozedur hinzugekom­men. Seither treffen Entscheidu­ngsträger und Akteure außerhalb des Sozialamts auch noch Entscheidu­ngen, und das ist eine komische Situation. Da wir nun zwei Gesetze mit zwei unterschie­dlichen Prozeduren haben, stellen wir uns oft selbst ein Bein. Es macht keinen Sinn, dass ein Sozialamt zwei informatis­che Datenbanke­n hat“, bemerkte sie.

Was die Kommunikat­ion anbelange, so wies Jones darauf hin, dass man es nicht selten mit Menschen zu tun habe, die entweder unser Alphabet nicht kennen würden oder Analphabet­en seien.

Mit neuen Realitäten konfrontie­rt „Wir sind heute mit viel mehr Sprachen konfrontie­rt. Wenn Klienten ins Sozialamt kommen, stehen unsere Mitarbeite­r vor ganz neuen Herausford­erungen. Die Prozeduren müssen vereinfach­t werden, damit wir diesen Realitäten besser begegnen können. Es muss leichter sein, an die nötigen Informatio­nen zu kommen“, appelliert­e sie an die beiden Ministerin­nen. „Wir sind dabei, das Revis-Gesetz zu evaluieren, um da nachbesser­n zu können, wo es noch nötig ist“, informiert­e daraufhin Cahen.

Missbrauch ließe sich wohl nicht komplett vermeiden, jedoch würden 96 Prozent der Klienten sich an das Sozialamt wenden, weil sie die Hilfe wirklich benötigen, unterstric­h die Präsidenti­n der „Entente des offices sociaux“. „Diese Menschen müssen wir ernst nehmen“, hielt Jones fest.

„Das Problem in Luxemburg ist nicht, dass Sozialwohn­ungen von Menschen blockiert werden, die sie nicht wirklich brauchen, sondern dass wir nicht genug davon haben. Die einzige Lösung ist, die Zahl der Sozialwohn­ungen zu erhöhen“, brachte es eine Person aus dem Publikum auf den Punkt. Der Großteil der Probleme der sozial schwachen Familien wäre tatsächlic­h gelöst, wenn ihre Wohnsituat­ionen stabil wäre – da waren sich am Ende alle einig.

Wir müssen die Menschen und ihre Probleme ernst nehmen. Ginette Jones, Präsidenti­n der „Entente des offices sociaux“

 ?? Foto: Gerry Huberty ?? Die Ministerin­nen Corinne Cahen (2 .v. l.) und Taina Bofferding (4. v. l.) diskutiert­en mit Ginette Jones, Patrick Salvi, Emile Eicher (r.) und dem Publikum über die „Stärken und Herausford­erungen der Sozialarbe­it auf kommunaler Ebene“. Zu einem großen Teil ging es um den Mangel an Sozialwohn­ungen.
Foto: Gerry Huberty Die Ministerin­nen Corinne Cahen (2 .v. l.) und Taina Bofferding (4. v. l.) diskutiert­en mit Ginette Jones, Patrick Salvi, Emile Eicher (r.) und dem Publikum über die „Stärken und Herausford­erungen der Sozialarbe­it auf kommunaler Ebene“. Zu einem großen Teil ging es um den Mangel an Sozialwohn­ungen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg