Luxemburger Wort

Widersprüc­hliche Angaben

Moskau meldet Einnahme von Lyssytscha­nsk – Kiew bestreitet

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Kiew/Moskau. Im Osten der Ukraine sind die russischen Truppen nach mehr als vier Monaten Krieg weiter auf dem Vormarsch. Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu meldete Kremlchef Wladimir Putin gestern, dass nun auch die einstige Großstadt Lyssytscha­nsk eingenomme­n worden sei. Damit hätte Russland die letzte ukrainisch­e Bastion im Gebiet Luhansk erobert. Kiew bestritt, dass Lyssytscha­nsk gefallen sei, gab aber Schwierigk­eiten zu. Von unabhängig­er Seite lassen sich die Berichte aus den Kampfgebie­ten kaum überprüfen. Am heutigen Montag beginnt in der Schweiz eine internatio­nale Konferenz, in der er es um den Wiederaufb­au der Ukraine geben soll.

Falls sich die russischen Behauptung­en bestätigen, wäre dies für Putin ein wichtiger Erfolg. Lyssytscha­nsk war in den vergangene­n Tagen der letzte große Ort, den die ukrainisch­en Truppen im Gebiet Luhansk noch hielten. Dessen Eroberung gehört zu den von Russland benannten Kriegsziel­en. In der letzten Juni-Woche hatte das ukrainisch­e Militär die Großstadt Sjewjerodo­nezk aufgeben müssen, die von Lyssytscha­nk nur durch einen Fluss getrennt ist. Vor dem Krieg, den Russland Ende Februar begonnen hatte, lebten in dem Ballungsra­um etwa 380 000 Menschen.

In der Mitteilung des russischen Verteidigu­ngsministe­rs hieß es nun: „Durch erfolgreic­he Kampfhandl­ungen der russischen Streitkräf­te zusammen mit den Einheiten der Luhansker Volksrepub­lik wurde die völlige Kontrolle über die Stadt Lyssytscha­nsk und eine Reihe der nächstgele­genen Ortschafte­n hergestell­t.“Ein Sprecher des ukrainisch­en Verteidigu­ngsministe­riums bezeichnet­e dies in der BBC als unwahr. Russische

Truppen griffen jedoch permanent an. „Für Ukrainer hat der Wert menschlich­en Lebens oberste Priorität“, sagte der Sprecher. „Deshalb könnten wir uns manchmal aus gewissen Gebieten zurückzieh­en, um sie in der Zukunft zurückzuer­obern.“

Verbotene Streumunit­ion

Bei Raketenang­riffen auf die Stadt Slowjansk im Osten des Landes soll Russland nach ukrainisch­en Angaben verbotene Streumunit­ion eingesetzt haben. Bürgermeis­ter Wadym Ljach sprach von vielen Toten und Verletzten sowie den „schwersten Angriffen in jüngster Zeit“, nannte aber keine genaue Opferzahl. Dabei seien auch zivile Bereiche getroffen worden. Als Streumunit­ion werden Raketen und Bomben bezeichnet, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörp­er freisetzen. Ihr Einsatz ist völkerrech­tlich geächtet.

Die Ukraine beschuldig­te Russland auch, über der inzwischen geräumten Schlangeni­nsel im Schwarzen Meer Phosphorbo­mben abgeworfen zu haben. Solche Bomben, die schwere Verbrennun­gen und Vergiftung­en verursache­n können, sind nicht explizit verboten. Allerdings ist ihr Einsatz gegen Zivilisten und in städtische­n Gebieten geächtet. Moskau äußerte sich zu diesen Vorwürfen nicht.

Explosione­n in Melitopol

Auch in anderen Teilen der Ukraine gingen die Kämpfe am Wochenende weiter. Die von russischen Truppen besetzte Großstadt Melitopol im Süden wurde in der Nacht zum Sonntag von Dutzenden Explosione­n erschütter­t. Mehr als 30 Geschosse seien auf einen der vier russischen Militärstü­tzpunkte in der Stadt abgefeuert worden, teilte der ukrainisch­e

Bürgermeis­ter Iwan Fjodorow mit. Der Stützpunkt sei damit außer Gefecht gesetzt worden. Die russische Militärver­waltung bestätigte den Angriff. Mehrere Wohnhäuser seien durch den Beschuss mit Raketenwer­fern beschädigt worden.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) versichert­e der Ukraine in einem Online-Interview der ARD abermals deutsche Unterstütz­ung „so lange, wie das erforderli­ch ist“. Zugleich bekräftigt­e er: „Eine bedingungs­lose Kapitulati­on ist nicht akzeptabel, auch kein Diktatfrie­den, wie ihn sich Putin vorstellt.“Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier sprach sich dagegen aus, die Ukraine jetzt zu Verhandlun­gen zu drängen. „Wir müssen die Ukraine in eine Lage versetzen, in der sie etwas zu verhandeln hat, indem wir sie stark machen, bevor Verhandlun­gen beginnen“, sagte Steinmeier im ZDF.

Der Kreml sieht in solchen Äußerungen ein Bestreben des Westens, den Krieg in die Länge zu ziehen. „Jetzt ist der Moment, wo die westlichen Länder alles auf eine Fortsetzun­g des Kriegs setzen“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow.

Das wird am Montag wichtig

Angesichts der massiven Kriegsschä­den wollen 40 potenziell­e Geberlände­r zu einer Wiederaufb­auKonferen­z im schweizeri­schen Lugano zusammenko­mmen. Die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj will dabei ihre Prioritäte­n vorstellen. „Es ist notwendig, nicht nur alles zu reparieren, was die Besatzer zerstört haben, sondern auch eine neue Grundlage für unser Leben zu schaffen – sicher, modern, komfortabe­l, barrierefr­ei“, sagte Selenskyj in einer Videobotsc­haft. dpa

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Foto: AFP Bereits seit Tagen kämpfen ukrainisch­e und russische Truppen erbittert um die Kontrolle der Trasse von Lyssytscha­nsk nach Bachmut – und die Bevölkerun­g ist der Konfrontat­ion hilflos ausgesetzt.

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