Luxemburger Wort

Zwischen Hoffnung und Ungewisshe­it

In der Republik Moldau wird mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet, was sich derzeit in der Ukraine zuträgt

- Von Stefan Schocher (Chisinau)

Ein kleines Konzert im Park, moldauisch­e und EU-Fähnchen. Das ist alles. Nein, Feierstimm­ung herrscht keine in Chisinau in diesen so historisch­en Tagen für das Land. Denn da war dieser Pfeil auf einer Landkarte, die der belarussis­che Diktator Lukaschenk­o Anfang März 2022 seinem Sicherheit­srat präsentier­te. Und was Pfeile auf einer Karte wie dieser symbolisie­ren, war in der Ukraine gerade blutige Realität geworden. Kiew war belagert. Die Pfeile auf der Karte reichen aus dem Donbass in die Zentralukr­aine, aus Belarus in die Nordwestuk­raine, aus Russland in die Ostukraine, von der Krim nach Odessa – und von Odessa weiter, direkt in die Republik Moldau.

Der Krieg strahlt aus nach Moldau. Hunderttau­sende Ukrainer waren zwischenze­itlich in dem kleinen Land. Und zugleich sind da all die direkten Drohungen seitens Russlands inklusive lautem Säbelrasse­ln in Moldaus abtrünnige­r, prorussisc­her Region Transnistr­ien. Und nun hat Moldau inmitten all dem also den Status eines EUBeitritt­skandidate­n erhalten.

Kein Jubel, als die Nachricht durchs Netz ging. In einer Weinbar im Zentrum Chisinaus liest ein junger Mann seinen Freunden die Nachricht vor. Allgemeine­s Kopfnicken, Zustimmung. Das war es aber auch schon. Euphorie kommt keine auf in Chisinau. „Es gibt Hoffnung“, drückt es Daniela Domici aus, eine Filmemache­rin. Hand in Hand gehe diese Hoffnung allerdings, wie sie zugleich aber auch sagt, mit viel Ungewisshe­it. Weil: „Wir wissen nicht, wie sich die Dinge verändern werden.“Und immerhin sei es ein langer Weg bis zum Beitritt.

Es ist die Ungewisshe­it, die dominiert. Und sie ist es auch, die die Entscheidu­ng der EU, Moldau die Türen zu öffnen, als etwas dazwischen erscheinen lässt. Als einen Schritt unter vielen. Aber viel eher eben auch als Beginn eines vielfach wohl mühsamen und vor allem auch konflikttr­ächtigen Prozesses.

Reformregi­erung mit solider Mehrheit Für Mihail Popsoi ist die Entscheidu­ng aber doch immerhin ein „moralische­r Ansporn“. Mihail Popsoi ist Parlaments­präsident und einer der TopVertret­er der regierende­n „Partei der Aktion und Solidaritä­t“(PAS), die Präsidenti­n und Regierung stellt. „Wir hätten es natürlich vorgezogen, wenn dieser Prozess in Zeiten des Friedens stattgefun­den hätte“, sagt er. „Aber die Geschichte wählt Zeitpunkte nicht aus.“Und in diesem jetzigen geopolitis­chen Kontext gebe es eben auch keine Alternativ­e für die EU, als die Einbindung der Ukraine und Moldaus. Denn Zögern seitens der EU, so sagt Mihail Popsoi, würde in einer Lage wie dieser seitens des Aggressors sofort als „Zeichen von Schwäche“ausgelegt werden.

Als Moldaus prowestlic­he Präsidenti­n Maia Sandu im Dezember 2020 das Amt antrat, gab es keine Pandemie. Der Krieg in der Ukraine war ein festgefahr­ener, wie ihn Moldau selbst mit der abtrünnige­n Region Transnistr­ien seit den 1990er-Jahren kennt. Als die prowestlic­he PAS bei den Parlaments­wahlen im Sommer 2021 dann die absolute Mehrheit holte, da schien ein Krieg in dem Ausmaß, wie er heute in der Ukraine tobt, ebenso irreal wie ein Beitritt Moldaus zur EU.

Aber immerhin: Erstmals seit Jahren hatte das Land mit Maia Sandu als besonnen agierende, aber zugleich klar westliche orientiert­er Präsidenti­n sowie einer klaren Mehrheit für die westlich-orientiert­e PAS im Parlament nach vielen Jahren politische­r Instabilit­ät eine Reformregi­erung mit solider Mehrheit. Und selbst, als Russland im Herbst 2021 Moldau das Gas abdreht, roch das eigentlich noch wie business as usual im Umgang mit einem Land, das eben genau das tut, wenn unangenehm­e Regierunge­n ans Ruder kommen, in Staaten, die es zur eigenen Einflusssp­häre zählt.

Angst vor russischer „Interventi­on“Und jetzt: In Transnistr­ien sind mehrere Tausend russische Soldaten stationier­t. Offiziell sind es 1 500. Und wie real die Bedrohung ist, die von dieser russischen Militärprä­senz im Land ausgeht, verdeutlic­hen Stellungna­hmen russischer Amtsträger: Erst die Pfeile auf Lukaschenk­os Landkarte, dann gab es eine Serie an ungeklärte­n Explosione­n in Transnistr­ien, für die Transnistr­ien und Russland Moldau oder auch die Ukraine verantwort­lich machten, hinter denen Moldau und die Ukraine aber wiederum den Versuch sahen, Transnistr­ien militärisc­h zu mobilisier­en und Moldau zu destabilis­ieren. Und in Folge hagelte es im April dann direkte Drohungen aus Moskau und Warnungen

vor einem Szenario, in dem Russland „intervenie­ren“müsse.

Nachdem Moldaus Regierung dann russische Kriegsprop­aganda unter Strafe stellte und die Ausstrahlu­ng russischer TV-Kanäle unterband, kamen weitere Drohungen aus Moskau. Maia Sandu werde im „Mülleimer der Geschichte“landen, so der russische Senator Alexej Puschkow: „Sie sollte sich vorsichtig­er gegenüber Russland und seinen Symbolen äußern, umso mehr, da Chisinau nicht für russisches Gas zahlen kann.“

Sandus Linie ist dabei klar. Bereits im März hatte sie vor der UNO sehr direkt den Abzug der russischen Truppen gefordert. Mihail Popsoi bezeichnet dieses immer größer zu werden scheinende Bedrohungs­szenario zum jetzigen Zeitpunkt aber als „zum Glück theoretisc­h“. Hinweise auf eine tatsächlic­he direkte akute Bedrohungs­lage habe es bisher nicht gegeben. Und den EU-Kandidaten­status beschreibt er als eingeschla­genen geopolitis­chen Pflock. Weil, so sagt er, Moldaus Ansinnen, der EU beizutrete­n, damit irreversib­el gemacht werde.

Ein steiniger Weg in die EU

Maia Sandu nannte die Verleihung des Status eines Beitrittsk­andidaten ihrerseits „historisch“. Doch der Weg zur Mitgliedsc­haft ist voller Hürden, Fallstrick­e und Ungewisshe­iten. Bisher war Moldaus Annäherung an die EU ein Auf und Ab. Je nachdem, wer in Chisinau die Fäden zog, pendelte das Land zwischen einer Annäherung an Europa oder Flirts mit Moskau – wie etwa unter Sandus Vorgänger Igor Dodon.

Dass es vor allem inhaltlich ein langer Weg sein wird in die EU, daran hat auch kaum jemand Zweifel. Denn Problemfel­der gibt es zuhauf. Da ist die Korruption, da ist ein ineffizien­ter und politisier­ter Justizappa­rat, und da sind nicht zuletzt eben auch ganz unterschie­dliche Strömungen im Land selbst. In Gagausien etwa, einer turksprach­igen, zugleich aber russophile­n autonomen Region im Dreiländer­eck zwischen Rumänien und der Ukraine im Süden Moldaus, regen sich aktuell wieder Abspaltung­stendenzen.

Da ist Transnistr­ien als bereits über Jahrzehnte festgefahr­ener, aber ebenso etablierte­r und damit einigermaß­en berechenba­rer Konflikt. Da ist vor allem aber der Krieg in der Ukraine als Erinnerung daran, was es bedeuten kann, Russland den Rücken zuzukehren. Und all das in einem Land von gerade einmal 2,6 Millionen Einwohnern, das mit sinkender Bevölkerun­gszahl, chronische­n Abwanderun­gstendenze­n vor allem junger Menschen und ebenso epidemisch­em politische­m Intrigentu­m ringt.

Wenn also von Hoffnung die Rede ist in Moldau, dann ist es die Ungewisshe­it, die den Grundton vorgibt. Denn zuletzt hatte sich auch gegen Sandu Widerstand formiert. Vor allem wegen der Inflation und der für moldauisch­e Einkommen wahnwitzig­en Preise für Lebensmitt­el.„Es wird sehr wahrschein­lich sehr lange dauern, bis Moldau der EU tatsächlic­h beitreten wird können“, sagt auch Mihail Popsoi. „Aber wir sind dem Ziel verpflicht­et.“Das klingt nach Hoffnung.

Wir wissen nicht, wie sich die Dinge verändern werden. Daniela Domici, Filmemache­rin

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Fotos: M. Schumann Die EU hat der Republik Moldau den Kandidaten­status verliehen. Aber Feierlaune kommt in der Hauptstadt Chisinau trotzdem nicht auf. Zu groß ist die Angst vor einer russischen Invasion.
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