Zwischen Hoffnung und Ungewissheit
In der Republik Moldau wird mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet, was sich derzeit in der Ukraine zuträgt
Ein kleines Konzert im Park, moldauische und EU-Fähnchen. Das ist alles. Nein, Feierstimmung herrscht keine in Chisinau in diesen so historischen Tagen für das Land. Denn da war dieser Pfeil auf einer Landkarte, die der belarussische Diktator Lukaschenko Anfang März 2022 seinem Sicherheitsrat präsentierte. Und was Pfeile auf einer Karte wie dieser symbolisieren, war in der Ukraine gerade blutige Realität geworden. Kiew war belagert. Die Pfeile auf der Karte reichen aus dem Donbass in die Zentralukraine, aus Belarus in die Nordwestukraine, aus Russland in die Ostukraine, von der Krim nach Odessa – und von Odessa weiter, direkt in die Republik Moldau.
Der Krieg strahlt aus nach Moldau. Hunderttausende Ukrainer waren zwischenzeitlich in dem kleinen Land. Und zugleich sind da all die direkten Drohungen seitens Russlands inklusive lautem Säbelrasseln in Moldaus abtrünniger, prorussischer Region Transnistrien. Und nun hat Moldau inmitten all dem also den Status eines EUBeitrittskandidaten erhalten.
Kein Jubel, als die Nachricht durchs Netz ging. In einer Weinbar im Zentrum Chisinaus liest ein junger Mann seinen Freunden die Nachricht vor. Allgemeines Kopfnicken, Zustimmung. Das war es aber auch schon. Euphorie kommt keine auf in Chisinau. „Es gibt Hoffnung“, drückt es Daniela Domici aus, eine Filmemacherin. Hand in Hand gehe diese Hoffnung allerdings, wie sie zugleich aber auch sagt, mit viel Ungewissheit. Weil: „Wir wissen nicht, wie sich die Dinge verändern werden.“Und immerhin sei es ein langer Weg bis zum Beitritt.
Es ist die Ungewissheit, die dominiert. Und sie ist es auch, die die Entscheidung der EU, Moldau die Türen zu öffnen, als etwas dazwischen erscheinen lässt. Als einen Schritt unter vielen. Aber viel eher eben auch als Beginn eines vielfach wohl mühsamen und vor allem auch konfliktträchtigen Prozesses.
Reformregierung mit solider Mehrheit Für Mihail Popsoi ist die Entscheidung aber doch immerhin ein „moralischer Ansporn“. Mihail Popsoi ist Parlamentspräsident und einer der TopVertreter der regierenden „Partei der Aktion und Solidarität“(PAS), die Präsidentin und Regierung stellt. „Wir hätten es natürlich vorgezogen, wenn dieser Prozess in Zeiten des Friedens stattgefunden hätte“, sagt er. „Aber die Geschichte wählt Zeitpunkte nicht aus.“Und in diesem jetzigen geopolitischen Kontext gebe es eben auch keine Alternative für die EU, als die Einbindung der Ukraine und Moldaus. Denn Zögern seitens der EU, so sagt Mihail Popsoi, würde in einer Lage wie dieser seitens des Aggressors sofort als „Zeichen von Schwäche“ausgelegt werden.
Als Moldaus prowestliche Präsidentin Maia Sandu im Dezember 2020 das Amt antrat, gab es keine Pandemie. Der Krieg in der Ukraine war ein festgefahrener, wie ihn Moldau selbst mit der abtrünnigen Region Transnistrien seit den 1990er-Jahren kennt. Als die prowestliche PAS bei den Parlamentswahlen im Sommer 2021 dann die absolute Mehrheit holte, da schien ein Krieg in dem Ausmaß, wie er heute in der Ukraine tobt, ebenso irreal wie ein Beitritt Moldaus zur EU.
Aber immerhin: Erstmals seit Jahren hatte das Land mit Maia Sandu als besonnen agierende, aber zugleich klar westliche orientierter Präsidentin sowie einer klaren Mehrheit für die westlich-orientierte PAS im Parlament nach vielen Jahren politischer Instabilität eine Reformregierung mit solider Mehrheit. Und selbst, als Russland im Herbst 2021 Moldau das Gas abdreht, roch das eigentlich noch wie business as usual im Umgang mit einem Land, das eben genau das tut, wenn unangenehme Regierungen ans Ruder kommen, in Staaten, die es zur eigenen Einflusssphäre zählt.
Angst vor russischer „Intervention“Und jetzt: In Transnistrien sind mehrere Tausend russische Soldaten stationiert. Offiziell sind es 1 500. Und wie real die Bedrohung ist, die von dieser russischen Militärpräsenz im Land ausgeht, verdeutlichen Stellungnahmen russischer Amtsträger: Erst die Pfeile auf Lukaschenkos Landkarte, dann gab es eine Serie an ungeklärten Explosionen in Transnistrien, für die Transnistrien und Russland Moldau oder auch die Ukraine verantwortlich machten, hinter denen Moldau und die Ukraine aber wiederum den Versuch sahen, Transnistrien militärisch zu mobilisieren und Moldau zu destabilisieren. Und in Folge hagelte es im April dann direkte Drohungen aus Moskau und Warnungen
vor einem Szenario, in dem Russland „intervenieren“müsse.
Nachdem Moldaus Regierung dann russische Kriegspropaganda unter Strafe stellte und die Ausstrahlung russischer TV-Kanäle unterband, kamen weitere Drohungen aus Moskau. Maia Sandu werde im „Mülleimer der Geschichte“landen, so der russische Senator Alexej Puschkow: „Sie sollte sich vorsichtiger gegenüber Russland und seinen Symbolen äußern, umso mehr, da Chisinau nicht für russisches Gas zahlen kann.“
Sandus Linie ist dabei klar. Bereits im März hatte sie vor der UNO sehr direkt den Abzug der russischen Truppen gefordert. Mihail Popsoi bezeichnet dieses immer größer zu werden scheinende Bedrohungsszenario zum jetzigen Zeitpunkt aber als „zum Glück theoretisch“. Hinweise auf eine tatsächliche direkte akute Bedrohungslage habe es bisher nicht gegeben. Und den EU-Kandidatenstatus beschreibt er als eingeschlagenen geopolitischen Pflock. Weil, so sagt er, Moldaus Ansinnen, der EU beizutreten, damit irreversibel gemacht werde.
Ein steiniger Weg in die EU
Maia Sandu nannte die Verleihung des Status eines Beitrittskandidaten ihrerseits „historisch“. Doch der Weg zur Mitgliedschaft ist voller Hürden, Fallstricke und Ungewissheiten. Bisher war Moldaus Annäherung an die EU ein Auf und Ab. Je nachdem, wer in Chisinau die Fäden zog, pendelte das Land zwischen einer Annäherung an Europa oder Flirts mit Moskau – wie etwa unter Sandus Vorgänger Igor Dodon.
Dass es vor allem inhaltlich ein langer Weg sein wird in die EU, daran hat auch kaum jemand Zweifel. Denn Problemfelder gibt es zuhauf. Da ist die Korruption, da ist ein ineffizienter und politisierter Justizapparat, und da sind nicht zuletzt eben auch ganz unterschiedliche Strömungen im Land selbst. In Gagausien etwa, einer turksprachigen, zugleich aber russophilen autonomen Region im Dreiländereck zwischen Rumänien und der Ukraine im Süden Moldaus, regen sich aktuell wieder Abspaltungstendenzen.
Da ist Transnistrien als bereits über Jahrzehnte festgefahrener, aber ebenso etablierter und damit einigermaßen berechenbarer Konflikt. Da ist vor allem aber der Krieg in der Ukraine als Erinnerung daran, was es bedeuten kann, Russland den Rücken zuzukehren. Und all das in einem Land von gerade einmal 2,6 Millionen Einwohnern, das mit sinkender Bevölkerungszahl, chronischen Abwanderungstendenzen vor allem junger Menschen und ebenso epidemischem politischem Intrigentum ringt.
Wenn also von Hoffnung die Rede ist in Moldau, dann ist es die Ungewissheit, die den Grundton vorgibt. Denn zuletzt hatte sich auch gegen Sandu Widerstand formiert. Vor allem wegen der Inflation und der für moldauische Einkommen wahnwitzigen Preise für Lebensmittel.„Es wird sehr wahrscheinlich sehr lange dauern, bis Moldau der EU tatsächlich beitreten wird können“, sagt auch Mihail Popsoi. „Aber wir sind dem Ziel verpflichtet.“Das klingt nach Hoffnung.
Wir wissen nicht, wie sich die Dinge verändern werden. Daniela Domici, Filmemacherin