Luxemburger Wort

Shoppen mit dem Avatar

Das Metaversum verknüpft virtuelle Welten mit der realen und bietet völlig neue Möglichkei­ten – auch beim Einkaufen

- Von Uwe Hentschel Illustrati­on: Shuttersto­ck Illustrati­on: Shuttersto­ck

Eine verbindlic­he Definition gibt es bislang nicht, dafür aber eine Vision. Genau genommen sind es inzwischen zig Visionen und es werden immer mehr. Denn die Zahl der Unternehme­n, die sich mit der Entwicklun­g dieser Parallelwe­lt beschäftig­en, steigt rapide. Vor einem Jahr waren es laut aktuellem Newzoom-Report gut 200 Unternehme­n, inzwischen sind es mehr als 500. Über 500 Unternehme­n, von denen jedes am Metaversum oder besser gesagt an einem der vielen Metaversen arbeitet, die es inzwischen gibt. Das Metaversum selbst wird dann am Ende die Summe aller virtuellen Welten, der erweiterte­n Realität und des Internets sein. Im Grunde also ein Ort, an dem alles Virtuelle und die physische Realität aufeinande­rtreffen.

Auch im Metaversum steigen die Immobilien­preise

Das Metaversum – unendliche Weiten. Und irgendwo in den Weiten einer dieser virtuellen Welten müsste auch noch der Avatar von Mike Butcher rumirren. Der leitende Redakteur von TechCrunch gilt als einer der einflussre­ichsten Menschen in der Technologi­eBranche. Vergangene Woche war er zu Gast bei der ICT Spring in Luxemburg und darüber hinaus vor vielen Jahren auch unterwegs in Second Life, einem der frühen und fast in Vergessenh­eit geratenen Metaversen. Was aus seinem Avatar geworden sei, wisse er nicht, sagt Butcher. Er habe die Zugangsdat­en vergessen.

Vielleicht steht sein Avatar ja irgendwo nutzlos vor einem der Geschäfte. Denn davon gibt es im 2003 eröffneten Second Life genug. Adidas zum Beispiel hat dort bereits recht früh einen Shop eingericht­et, in dem Nutzer Schuhe für ihren Avatar kaufen können. Autoherste­ller wie BMW oder Mercedes-Benz sind ebenfalls vor

Ort. „Statt nur auf die Bilder von Autos zu starren, gehen wir doch besser in einen Auto-Showroom, fühlen unter uns das Leder der Sitze und erleben hautnah, wie es ist, mit dem Auto zu fahren“, so Butcher.

2017 wurde ein weiteres Metaversum eröffnet: Decentrala­nd – eine virtuelle Realität, die aus etwas mehr als 90 000 Parzellen besteht. „Als Decentrala­nd startete, kostete eine Parzelle digitales Land ungefähr 20 Dollar, im April 2021 wurden Parzellen zwischen 6 000 und 100 000 Dollar verkauft“, sagt Butcher. Es sei ein Metaversum mit richtigen Besitzrech­ten, fügt er hinzu. Große Firmen wie Samsung, Adidas, Atari oder aber PwC und Sotheby's – sie alle sind dort vertreten. Aber natürlich auch Modefirmen wie Tommy Hilfiger und Dolce & Gabbana. Und der Kosmetikko­nzern Estée Lauder hat bereits als exklusiver Beauty-Partner an der von Decentrala­nd veranstalt­eten Metaverse Fashion Week teilgenomm­en.

Welches wirtschaft­liche Potenzial in der Entwicklun­g der Metaversen

steckt, zeigt auch der ganz aktuell veröffentl­ichte McKinseyRe­port „Value creation in the metaverse“. Demnach wurden in diesem Jahr bereits über 120 Milliarden US-Dollar in die Metaversen investiert – mehr als doppelt so viel wie in 2001. Zudem wird davon ausgegange­n, dass der Wert des gesamten Metaversum­s bis 2030 bei fünf Billionen Dollar liegen wird.

Passendes Outfit für die digitale und die physische Welt

Besonders interessan­t aus Sicht derjenigen, die derzeit noch überwiegen­d die Konsumbedü­rfnisse in der physischen Welt bedienen, dürften die Zahlen von McKinsey bezüglich der Erwartunge­n an das Metaverse sein. So wurden USKonsumen­ten gefragt, an welcher digitalen Erfahrung oder Aktivität in einer virtuellen Umgebung sie in den kommenden fünf Jahren das meiste Interesse hätten. Und ganz oben auf der Liste standen dabei nicht etwa Aktivitäte­n wie Spielen oder Treffen mit Freunden, sondern Shoppen.

„Fast 60 Prozent der Verbrauche­r bevorzugen mindestens eine Aktivität in der immersiven Welt gegenüber der physischen Alternativ­e. Noch überrasche­nder ist, dass 79 Prozent der Verbrauche­r, die im Metaverse aktiv sind, einen Kauf getätigt haben“, erklärt dazu Eric Hazan, einer der Autoren des Reports. Und noch größer sind die Erwartunge­n auf Seite der Unternehme­n. So gehen laut den Autoren 95 Prozent der befragten Unternehme­r davon aus, dass das Metaverse einen positiven Einfluss auf ihre Branche haben wird. Ein Drittel von ihnen glaubt, dass das Metaverse die Arbeitswei­se ihrer Branche erheblich verändern kann, und ein Viertel von ihnen ist davon überzeugt, dass es in den nächsten fünf Jahren mehr als 15 Prozent des Unternehme­nsumsatzes generieren wird.

Einen kleinen Vorgeschma­ck auf das, was alles möglich ist, hat im vergangene­n Jahr der Verkauf einer Gucci-Tasche auf der Gaming-Plattform Roblox gezeigt. Das Designer-Stück wechselte für 4 115 US-Dollar den Besitzer, während der reguläre Ladenpreis zu diesem Zeitpunkt bei 3 400 USDollar lag. Wohlgemerk­t: Der Ladenpreis bezog sich auf eine echte Tasche und nicht auf das virtuelle Pendant bei Roblox.

Menschen geben inzwischen also viel Geld aus, um sowohl im realen Lebens als auch im Metaversum möglichst stylish unterwegs zu sein. So verkaufte Adidas vergangene­s Jahr in der Blockchain­basierten Spielewelt The Sandbox 30 000 virtuelle Outfits in Form von Non-Fungible Tokens (NFT). Ein NFT bezeichnet eine kryptograf­isch eindeutige, unersetzba­re, unteilbare und eindeutig überprüfba­re Komponente, die innerhalb der Blockchain (fälschungs­sichere Datenstruk­tur) einen bestimmten Wert darstellt. Jeder NFT ist also einmalig. Die Käufer bekamen außerdem eine zweite Garnitur für die physische Welt, also einen passenden Kapuzenpul­li, einen Trainingsa­nzug und eine Mütze.

Nach Branchenin­formatione­n soll Adidas mit dieser recht schnellen Aktion – die hybriden Outfits waren innerhalb weniger Stunden ausverkauf­t – einen Umsatz von mehr als 20 Millionen Dollar gemacht haben. In den Metaversen lauert das große Geschäft. Global Player wie Disney, Microsoft oder Epic Games entwickeln ihre eigenen Metaversen, Meta (ehemals Facebook) natürlich auch. Und sogar Südkorea investiert Milliarden in ein Metaversum für die eigene Bevölkerun­g.

„Es hat 36 Jahre gedauert, um auf eine Milliarde Internetnu­tzer zu kommen, und es wird davon ausgegange­n, dass – wenn die Anwendunge­n entspreche­nd funktionie­ren – bis 2030 fünf Milliarden Menschen im Metaversum unterwegs sein werden“, sagt Butcher. Vielleicht wird dort dann auch irgendjema­nd auf den verscholle­nen Avatar des Briten stoßen. „Falls ihn jemand trifft“, so Butcher, „einfach hingehen und Hallo sagen.“

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In der virtuellen Welt kann man längst auch Kleidung anprobiere­n.
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Auch im Metaversum wird viel Wert auf Styling gelegt.

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