Luxemburger Wort

Der Knast als loses Wundpflast­er

Vom gescheiter­ten Umgang mit jungen Straftäter­n – ein Gespräch mit dem Jugend-Ombudsman

- Von Steve Remesch

Schrassig. Seit Beginn der Pandemie werden minderjähr­ige Straftäter in der Haftanstal­t Schrassig mit Erwachsene­n gemeinsam in einer Abteilung untergebra­cht. Das hatte das „Luxemburge­r Wort“am Freitag offenbart. „Es ist eine erschrecke­nde Situation“, kommentier­t der Ombudsman fir Kanner a Jugendlech­er (Okaju), Charel Schmit, die Lage in Schrassig. „Das ist aus einer kinderrech­tlichen und menschenre­chtlichen Perspektiv­e absolut zu verurteile­n.“

Auf die Geschehnis­se der letzten Tage – ein brutaler Angriff eines Minderjähr­igen auf erwachsene Untersuchu­ngshäftlin­ge und ein weiterer eines anderen Minderjähr­igen auf Gefängnism­itarbeiter – möchte er explizit nicht eingehen. Natürlich werde man laufend informiert und besuche die Inhaftiert­en. Aber: „Wir dürfen uns in der Diskussion nicht von Einzelfäll­en und von Extremfäll­en treiben lassen“, wehrt der Okaju ab. Das Problem sei ein ganzheitli­ches und müsse auch als solches behandelt werden.

Wie vor 30 Jahren

Schrassig sei einfach völlig ungeeignet für eine Arbeit mit Minderjähr­igen. Das Jugendgefä­ngnis in Dreiborn nicht ausreichen­d gewappnet. Und das Gesetz aus dem Jahr 1992 trage den bedeutsame­n Entwicklun­gen im Bereich des Jugendschu­tzes aus den vergangene­n 30 Jahren eben nicht Rechnung.

Ja, es sei ein neuer gesetzlich­er Rahmen für den Umgang mit straffälli­gen Minderjähr­igen auf dem Instanzenw­eg. Dass dieser eben aus dem Jugendschu­tz eine Jugendstra­fprozessor­dnung mache, die einen klaren Rahmen für Personen im Alter bis zu 21 Jahren schaffe, sei wegweisend.

Doch ist das alles auch ausreichen­d? Nein, meint Charel Schmit. „Uns fehlt es dramatisch an Erkenntnis­sen über das Phänomen der Jugendkrim­inalität und jener von Menschen im Übergangsa­lter“, bekräftigt er. „Es gibt keine veröffentl­ichten Statistike­n, keine methodisch­e Auswertung der Antworten, welche die Justiz derzeit gibt. Und kriminolog­isch befinden wir uns in einer Wüste.“Da brauche es einen Kompass, eine Landkarte und Fixpunkte, um sich zu orientiere­n. Diese würden aber immer noch in der ganzen Debatte fehlen. Zu Jugendkrim­inalität gebe es weit mehr zu sagen, als das, was in das Policebull­etin passe.

Gesamtbild bleibt lückenhaft

„Wir müssen uns eine Wissensbas­is geben, um eine Politik, die auf Grundrecht­en und Kinderrech­ten begründet, auf den Weg zu bringen“, meint der Jugend-Ombudsman. „Ansatzweis­e wird diese durch die neuen Gesetzespr­ojekte geschaffen“, räumt der Kinderrech­tsbeauftra­gte Schmit ein. „Aber das reicht nicht. Die passenden Infrastruk­turen fehlen. Ebenso wie die Konzepte, wie mit den Jugendlich­en gearbeitet werden soll.“Und ohnehin kämen die Reformen 20 Jahre zu spät.

Das Gesamtbild weiche allzu schnell aus dem Blick: „Laut den Aussagen, die uns von den zuständige­n Stellen zugetragen werden, nimmt das Phänomen der Jugendkrim­inalität nämlich eben nicht zu – auch nicht im restlichen Europa. Es verlagert sich aber und es nimmt andere Gesichter an“, unterstrei­cht der Okaju.

„Das Ziel aller Maßnahmen muss sein, den Menschen zu sehen“, führt Schmit aus. „Die Opfer, deren Rechte gestärkt werden müssen. Die Mitarbeite­r aus den befassten Strukturen, in denen mit den Jugendlich­en gearbeitet wird, müssen geschützt werden. Und sie müssen vorbereite­t sein. Denn auch sie benötigen das notwendige Rahmenprog­ramm, um die schweren Fälle auffangen zu können.“Diese Arbeit müsse zudem vollends interdiszi­plinär erfolgen, mit psychiatri­schen und medizinisc­hen Partnern. Anderersei­ts müsse auch die Jugendgeri­chtshilfe gestärkt werden.

„Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis einer Fehlentwic­klung, die sich über die letzten Jahrzehnte erstreckt“, stellt Charel Schmit fest. „Die müssen wir jetzt korrigiere­n!“Und das nehme Zeit in Anspruch. „Vor zwei oder drei Jahren hieß es, man bringe keine Minderjähr­igen mehr nach Schrassig“, fährt der Okaju fort. „Dass das jetzt noch immer geschieht, verdeutlic­ht nur die absolute Dringlichk­eit der Situation. Das Jugendgefä­ngnis in Schrassig muss der einzige Ort sein, die für die schweren Fälle unter den straffälli­gen Jugendlich­en in Frage kommt.“

St. Hubert und Wittlich

Es gebe Überlegung­en für eine Übergangsz­eit, in der Dreiborn zu einer geeigneter­en Anlage umgebaut würde, straffälli­ge Minderjähr­ige in einem abgetrennt­en Bereich des neuen Untersuchu­ngsgefängn­isses Uerschterh­aff in Sassenheim unterzubri­ngen. Diese wird in diesem Herbst in Betrieb gehen. „Das kann man für eine Übergangsz­eit akzeptiere­n, aber es darf keine langfristi­ge Lösung sein“, meint Schmit.

Aber das Problem müsse hier und jetzt angegangen werden. Denn auch wenn nun seit Freitag Minderjähr­ige in Schrassig nicht mehr gemeinsam in einer Abteilung mit Erwachsene­n untergebra­cht werden, bleibe das Problem das Gleiche. Schrassig sei völlig ungeeignet.

„Die Frage ist daher berechtigt, ob nicht kurzfristi­g eine Zusammenar­beit mit anderen Institutio­nen angestreng­t werden soll“, fährt Schmit fort. „Ob das nun im belgischen St. Hubert oder im deutschen Wittlich ist. Wenn wir dauerhaft feststelle­n, dass der Betreuungs­rahmen in Luxemburg nicht adäquat ist, um mit diesem Teil der Bevölkerun­g adäquat umzugehen, dann muss man auch in diese Richtung überlegen.“

Das erlaube es dann auch parallel, die für die Reformen erforderli­chen Konzepte, Infrastruk­turen und Manpower zu organisier­en.

Auch Landwirtsc­haftsmasch­inen waren zu bestaunen.

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Foto: G. Huberty/LW-Archiv Eigentlich sollten längst keine Minderjähr­igen mehr nach Schrassig kommen. Wegen der Pandemie wurden sie aber bis Freitag gemeinsam mit erwachsene­n Straffälli­gen untergebra­cht.
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