Der Knast als loses Wundpflaster
Vom gescheiterten Umgang mit jungen Straftätern – ein Gespräch mit dem Jugend-Ombudsman
Schrassig. Seit Beginn der Pandemie werden minderjährige Straftäter in der Haftanstalt Schrassig mit Erwachsenen gemeinsam in einer Abteilung untergebracht. Das hatte das „Luxemburger Wort“am Freitag offenbart. „Es ist eine erschreckende Situation“, kommentiert der Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher (Okaju), Charel Schmit, die Lage in Schrassig. „Das ist aus einer kinderrechtlichen und menschenrechtlichen Perspektive absolut zu verurteilen.“
Auf die Geschehnisse der letzten Tage – ein brutaler Angriff eines Minderjährigen auf erwachsene Untersuchungshäftlinge und ein weiterer eines anderen Minderjährigen auf Gefängnismitarbeiter – möchte er explizit nicht eingehen. Natürlich werde man laufend informiert und besuche die Inhaftierten. Aber: „Wir dürfen uns in der Diskussion nicht von Einzelfällen und von Extremfällen treiben lassen“, wehrt der Okaju ab. Das Problem sei ein ganzheitliches und müsse auch als solches behandelt werden.
Wie vor 30 Jahren
Schrassig sei einfach völlig ungeeignet für eine Arbeit mit Minderjährigen. Das Jugendgefängnis in Dreiborn nicht ausreichend gewappnet. Und das Gesetz aus dem Jahr 1992 trage den bedeutsamen Entwicklungen im Bereich des Jugendschutzes aus den vergangenen 30 Jahren eben nicht Rechnung.
Ja, es sei ein neuer gesetzlicher Rahmen für den Umgang mit straffälligen Minderjährigen auf dem Instanzenweg. Dass dieser eben aus dem Jugendschutz eine Jugendstrafprozessordnung mache, die einen klaren Rahmen für Personen im Alter bis zu 21 Jahren schaffe, sei wegweisend.
Doch ist das alles auch ausreichend? Nein, meint Charel Schmit. „Uns fehlt es dramatisch an Erkenntnissen über das Phänomen der Jugendkriminalität und jener von Menschen im Übergangsalter“, bekräftigt er. „Es gibt keine veröffentlichten Statistiken, keine methodische Auswertung der Antworten, welche die Justiz derzeit gibt. Und kriminologisch befinden wir uns in einer Wüste.“Da brauche es einen Kompass, eine Landkarte und Fixpunkte, um sich zu orientieren. Diese würden aber immer noch in der ganzen Debatte fehlen. Zu Jugendkriminalität gebe es weit mehr zu sagen, als das, was in das Policebulletin passe.
Gesamtbild bleibt lückenhaft
„Wir müssen uns eine Wissensbasis geben, um eine Politik, die auf Grundrechten und Kinderrechten begründet, auf den Weg zu bringen“, meint der Jugend-Ombudsman. „Ansatzweise wird diese durch die neuen Gesetzesprojekte geschaffen“, räumt der Kinderrechtsbeauftragte Schmit ein. „Aber das reicht nicht. Die passenden Infrastrukturen fehlen. Ebenso wie die Konzepte, wie mit den Jugendlichen gearbeitet werden soll.“Und ohnehin kämen die Reformen 20 Jahre zu spät.
Das Gesamtbild weiche allzu schnell aus dem Blick: „Laut den Aussagen, die uns von den zuständigen Stellen zugetragen werden, nimmt das Phänomen der Jugendkriminalität nämlich eben nicht zu – auch nicht im restlichen Europa. Es verlagert sich aber und es nimmt andere Gesichter an“, unterstreicht der Okaju.
„Das Ziel aller Maßnahmen muss sein, den Menschen zu sehen“, führt Schmit aus. „Die Opfer, deren Rechte gestärkt werden müssen. Die Mitarbeiter aus den befassten Strukturen, in denen mit den Jugendlichen gearbeitet wird, müssen geschützt werden. Und sie müssen vorbereitet sein. Denn auch sie benötigen das notwendige Rahmenprogramm, um die schweren Fälle auffangen zu können.“Diese Arbeit müsse zudem vollends interdisziplinär erfolgen, mit psychiatrischen und medizinischen Partnern. Andererseits müsse auch die Jugendgerichtshilfe gestärkt werden.
„Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis einer Fehlentwicklung, die sich über die letzten Jahrzehnte erstreckt“, stellt Charel Schmit fest. „Die müssen wir jetzt korrigieren!“Und das nehme Zeit in Anspruch. „Vor zwei oder drei Jahren hieß es, man bringe keine Minderjährigen mehr nach Schrassig“, fährt der Okaju fort. „Dass das jetzt noch immer geschieht, verdeutlicht nur die absolute Dringlichkeit der Situation. Das Jugendgefängnis in Schrassig muss der einzige Ort sein, die für die schweren Fälle unter den straffälligen Jugendlichen in Frage kommt.“
St. Hubert und Wittlich
Es gebe Überlegungen für eine Übergangszeit, in der Dreiborn zu einer geeigneteren Anlage umgebaut würde, straffällige Minderjährige in einem abgetrennten Bereich des neuen Untersuchungsgefängnisses Uerschterhaff in Sassenheim unterzubringen. Diese wird in diesem Herbst in Betrieb gehen. „Das kann man für eine Übergangszeit akzeptieren, aber es darf keine langfristige Lösung sein“, meint Schmit.
Aber das Problem müsse hier und jetzt angegangen werden. Denn auch wenn nun seit Freitag Minderjährige in Schrassig nicht mehr gemeinsam in einer Abteilung mit Erwachsenen untergebracht werden, bleibe das Problem das Gleiche. Schrassig sei völlig ungeeignet.
„Die Frage ist daher berechtigt, ob nicht kurzfristig eine Zusammenarbeit mit anderen Institutionen angestrengt werden soll“, fährt Schmit fort. „Ob das nun im belgischen St. Hubert oder im deutschen Wittlich ist. Wenn wir dauerhaft feststellen, dass der Betreuungsrahmen in Luxemburg nicht adäquat ist, um mit diesem Teil der Bevölkerung adäquat umzugehen, dann muss man auch in diese Richtung überlegen.“
Das erlaube es dann auch parallel, die für die Reformen erforderlichen Konzepte, Infrastrukturen und Manpower zu organisieren.
Auch Landwirtschaftsmaschinen waren zu bestaunen.