Luxemburger Wort

Außer Kontrolle

Stefanos Tsitsipas verliert im Duell mit Nick Kyrgios die Nerven und scheidet in Wimbledon aus

- Von Jörg Allmeroth

Am Ende des stundenlan­gen Ausnahmezu­stands hatte die TV-Weltregie dann noch einen ziemlich kleinmütig­en Vorsichtsa­nfall. Kaum hatte Nick Kyrgios das rowdyhafte Drittrunde­n-Duell mit Griechenla­nds Apoll Stefanos Tsitsipas in Wimbledon gewonnen, blendeten die Fernsehmac­her ein Grüppchen brav klatschend­er Zuschauer ein. Es wirkte, als befürchtet­en die Bilderprod­uzenten eine ernsthafte Keilerei der beiden Matadore, eine Schlägerei nach dem Schlaggewi­tter auf offener Wimbledon-Bühne. Kyrgios und Tsitsipas gaben sich allerdings ganz gewöhnlich, wenn auch frostig, die Hände – während die sozialen Medien ein letztes Mal an diesem denkwürdig­en Abend explodiert­en. „Wie, zum Teufel, kann man den Handschlag verpassen“, lärmte aus der Ferne Ex-US-Star Andy Roddick.

Wären sich Kyrgios, der notorische Bad Boy des Tennisbetr­iebs, und sein auch umstritten­er Gegenspiel­er Tsitsipas, an die Gurgel gegangen, hätte es an diesem elektrisie­renden Abend im Theater der Tennisträu­me kaum überrasche­n können. Denn abseits jeglicher Etikette wurde ein kraftmeier­isches Volksschau­spiel aufgeführt, in dem die zugeteilte­n Rollen zwischen Gut (Tsitsipas) und Böse (Kyrgios) längst nicht klar ersichtlic­h waren. Wahrheit und Lüge kamen auch im Plot vor, ganz zuletzt beim halb genialen, halb wahnsinnig­en Kyrgios. Der schloss die höchst eigenwilli­ge Vorführung mit der Bemerkung ab, er „liebe“seinen Gegner Tsitsipas: „Ich habe größte Hochachtun­g vor ihm. Und seine Brüder sind meine Freunde.“

Von inniger Zuneigung oder Fairness war allerdings mehr als drei Stunden lang auf dem grünen Spielfeld wenig zu sehen. Es ging zu wie im römischen Kolosseum, mit zwei massiv aufgeladen­en Gladiatore­n, die sich nichts schenkten, schon gar nicht irgendwelc­hen Respekt. Eine „dunkle, böse“Seite sei in Kyrgios' Charakter drin, stellte Tsitsipas anschließe­nd fest. Der Australier sei vermutlich schon als Kind ein „Tyrann“gewesen: „Er geht praktisch die ganze Zeit den Gegner an, bedrängt und belästigt ihn. So kann das nicht weitergehe­n.“

An der Disqualifi­kation vorbeigesc­hrammt

Was in gewisser Weise ein Schuss aus dem Glashaus war: Denn der Weltrangli­sten-Vierte war an diesem sehr speziellen Samstag auch alles andere als ein Kind von Traurigkei­t: Als er nach verpatztem zweiten Satz aufgebrach­t einen Ball in die Zuschauerr­änge schoss, hätte er eigentlich disqualifi­ziert werden müssen, nicht nur nach Meinung von Kyrgios. Und dass er Kyrgios mehrfach einigermaß­en brutal auf den Körper schoss und nicht immer verfehlte, war auch weit weg von der feinen Wimbledon-Art. Tsitsipas sei einfach ein „bisschen zu weich“, befand Kyrgios: „Er hat die Nerven verloren, wir sind nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt.“

Kyrgios selbst führte sein übliche Spektakel auf. Als sich der 27Jährige mit Schiedsric­hter Damien Dumusois wegen der ungeahndet­en Verfehlung­en von Tsitsipas anlegte, fingen die Mikrofone beispielsw­eise diese Tirade ein: „Bist du dumm? Du bist eine Schande. Du machst die Regeln, wie du willst.“Den herbeiziti­erten Supervisor Andreas Egli forderte Kyrgios auf: „Beschaffe dir einen neuen Schiedsric­hter.“Dem Wunsch allerdings konnte der Schweizer nicht entspreche­n. Spät in der Partie monierte Kyrgios dann auch noch emotionale Dürre bei seinem eigenen Team. Lauthals beschimpft­e er Coaches und Familienan­hang für die laue Anfeuerung in kritischer Lage und fragte sarkastisc­h: „Wann kriegt ihr mal euren Hintern hoch.“

In den Weiten des Internets waren die Reaktionen wie stets gespalten – Anhänger von Kyrgios und Tsitsipas lieferten sich heftige Scharmütze­l. Und, was Kyrgios anging, blieb die vertraute Teilung in grenzenlos­e Bewunderer und naserümpfe­nde Gegner. „Eine Wohltat für den wunderschö­nen, aber verstaubte­n Sport Tennis“sei dieser Kyrgios, hieß es auf der Fanseite. Während im Gegenzug die konservati­ve Einschätzu­ng so lautete: „Entertainm­ent ist das ungehobelt­e Verhalten nicht!“

Wo immer er hinkomme, liefere er die „beste Show überhaupt“ab, hatte Kyrgios kürzlich einmal gesagt. Und in Wimbledon entschiede­n bekräftigt: „Ich bin eine der wichtigste­n Personen in diesem Sport.“Heute geht der Zirkus mit ihm weiter, dann gegen das USamerikan­ische

Nachwuchst­alent Brandon Nakashima. Und auch dann gilt das Motto: Niemand weiß, was gegen Kyrgios passiert.

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Foto: dpa Kühler Abschied nach hitzigem Duell: Beim Handschlag zwischen Stefanos Tsitsipas (l.) und Nick Kyrgios kommt es nicht zum Eklat.
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Tsitsipas ist auch kein
Kind
Foto: AFP Der Grieche von Traurigkei­t. Stefanos Tsitsipas ist auch kein Kind

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