Der Todesmarsch der Grande Armée
Der Russlandfeldzug markiert den Anfang vom Ende der napoleonischen Herrschaft über Europa
Als Napoleon am 24. Juni 1812 in Russland einmarschiert, geht er von einem schnellen militärischen Sieg aus. Doch der Kaiser der Franzosen, der bis dato einen Großteil von Europa unterworfen hat, unterschätzt die Weite des russischen Raumes und die Zähigkeit seiner Gegner. Von anfänglich fast 600 000 Soldaten – die bis dato größte Streitmacht, die die Welt je gesehen hat -, die die Memel, den damaligen polnisch-russischen Grenzfluss, überschreiten, werden bis Ende Dezember nur etwa 10 000 Mann zurückkehren. Mehr als eine halbe Million Soldaten der Grande Armée bleiben auf den russischen Schlachtfeldern zurück. Im Kampf gefallen, verhungert, erfroren oder von Krankheiten dahingerafft.
Vorspiel
Hintergrund des militärischen Kräftemessens ist die von Napoleon verhängte Handelsblockade gegen Großbritannien (die sogenannte Kontinentalsperre), mit dem das mächtige Empire in die Knie gezwungen werden soll. Doch Zar Alexander I. unterläuft die Bestimmungen der Blockade und öffnet seine Häfen für britische Schiffe. Napoleon schäumt und will, mit einem militärischen Sieg, Russland erneut seine Bedingungen diktieren.
1807 hatte Napoleon den russischen Zaren Alexander I. bereits zwei Mal besiegt und anschließend einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit dem russischen Herrscher geschlossen – den Frieden von Tilsit. An diesem Bündnis will Napoleon trotz Unstimmigkeiten auch weiter festhalten. Denn für den selbst ernannten Kaiser stellt das Bündnis mit dem russischen Zaren auch eine wichtige Legitimationsgrundlage dar, wird er von den Herrscherfamilien Europas doch als Emporkömmling verachtet.
Neben dem Streit um die Kontinentalsperre fürchten die Russen,
dass das von Napoleon im Frieden von Tilsit 1807 auf Kosten Preußens geschaffene Großherzogtum Warschau zur Keimzelle für die Wiedergeburt Polens samt seiner dem Zarenreich einverleibten historischen Gebiete werden könnte. Eine Konfrontation ist auf Dauer unvermeidbar. Ab 1811 – also ein Jahr vor dem Einmarsch – rüsten beide Seiten für den Krieg, auch wenn sie sich noch immer das Gegenteil versichern. Ein Jahr später folgt der Einmarsch Napoleons, ohne vorherige Kriegserklärung.
Schlacht von Borodino
Die von Napoleon angeführte Streitmacht besteht aber nicht nur aus Franzosen, sondern ist eine bunt gemischte Truppe von Soldaten aus unterschiedlichen europäischen Ländern, die Napoleon bis dato unterworfen hat. Darunter unter anderem Italiener, Schweizer, Spanier, Polen und über 100 000 Deutsche aus den Fürstentümern des Rheinbundes. Doch der Vormarsch verläuft anders als geplant. Geschwindigkeit und Überraschung gehören zu den großen Stärken von Napoleons Kriegführung. Außerdem ernährt sich die Grande Armée eigentlich aus dem Land. Dadurch ist sie beweglicher als andere Armeen ihrer Zeit. Doch diese Erfolgsfaktoren spielen im dünn besiedelten, von gewaltigen Entfernungen, schlechten Wegen und klimatischen Härten geprägten Russland keine entscheidende Rolle.
Napoleons ursprünglicher Plan, die Russen schnell zu einer entscheidenden Feldschlacht zu zwingen, geht nicht auf. Stattdessen weichen diese unter der Führung von Oberbefehlshaber Michail Kutusow immer weiter zurück in die Weite des russischen Raumes und hinterlassen dem Feind nur verbrannte Erde, während die Versorgungswege für Napoleons Truppen immer länger werden. Innerhalb weniger Wochen verliert Napoleon fast die Hälfte seiner Soldaten – durch kleinere Scharmützel mit Kosaken-Einheiten, Hunger und Krankheiten. Weil die französischen Versorgungsfuhrwerke im Schlamm stecken bleiben und den vorauseilenden Truppen nicht folgen können, fehlt es an Verpflegung. Sowohl an Nahrung, als auch an Branntwein, der unerlässlich ist, um Trinkwasser genießbar zu machen. In der Folge sterben viele Soldaten an der Ruhr.
Erst bei Borodino, etwa 100 Kilometer vor Moskau, stellen sich die Russen am 7. September 1812 erstmals in einer offenen Feldschlacht, die zu den blutigsten Gemetzeln in der Militärgeschichte gehört. Auf beiden Seiten fallen zusammengerechnet etwa 60 000 Soldaten innerhalb weniger Stunden. Doch einen klaren Sieger gibt es nicht. Die russische Armee kann sich geordnet zurückziehen.
Der Brand von Moskau
Nach der Schlacht zieht Napoleon mit der Grande Armée, die zahlenmäßig mittlerweile bereits stark geschrumpft ist, kampflos in der russischen Hauptstadt Moskau ein und bezieht Quartier in den Gemächern von Zar Alexander I. Er wähnt sich bereits am Ziel und glaubt, dass Russland nun bereit zum Frieden sei und stündlich ein Emissär bei ihm eintreffen müsste. Doch nichts passiert. Zar Alexander
Ein Holzschnitt zeigt Napoleon an der Spitze seiner Grande Armée. Im Hintergrund ist das brennende Moskau zu sehen, das nach der Eroberung im September 1812 von russischen Saboteuren in Brand gesteckt wurde.
Der gescheiterte Russlandfeldzug von Napoleon gräbt sich tief in das kollektive Gedächtnis Moskaus ein, das seitdem eine militärische Invasion aus dem Westen fürchtet.
I. lässt sich weder auf Friedensverhandlungen ein, noch macht er Anstalten, Moskau zurückzuerobern. Denn in Wahrheit ist es eine Falle.
In der ersten Nacht, die Napoleon im Kreml verbringt, geht die Stadt in Flammen auf – gezielt in Brand gesteckt von freigelassenen Häftlingen auf Befehl des russischen Stadtkommandanten. Etwa Dreiviertel der russischen Hauptstadt werden ein Opfer des Flammeninfernos. Die Russen bezichtigen die Franzosen der Tat, was in der Folge den Hass auf den „Antichristen“Napoleon und seine Soldaten weiter anfeuert.
Napoleons Hoffnung, Zar Alexander I. werde nach dem Fall Moskaus verhandeln, löst sich in Luft auf. Mehrfach richtet Napoleon Verhandlungsangebote an ihn und den russischen Oberbefehlshaber Kutusow. Doch er erhält keine Antwort. Am 19. Oktober 1812 gibt er schließlich frustriert den Befehl zum Rückzug in Richtung Westen, der noch verheerender verlaufen sollte als der Vormarsch. Ohne adäquate Winterausrüstung und ausreichend Proviant ausgestattet, schlägt die Grande Armée den gleichen Weg ein, den sie bereits bei ihrem Vormarsch gewählt hatte. Aber aus dem bereits verwüsteten Land können sich die Soldaten nicht mehr ernähren.
„General Winter“
Der Regen verwandelt die Straßen in Schlammpisten. Kosaken setzen den Franzosen nach und machen unerbittlich Jagd auf Nachzügler. Die Grande Armée schrumpft. Am 9. November 1812 werden nur noch knapp 50 000 Soldaten gezählt. Dann schlägt der unerbittliche „General Winter“zu mit seinen eisigen Temperaturen, die in der Nacht auf minus 37 Grad Celsius sinken können. Es kommt zu grauenhaften Szenen: Hungernde Soldaten fallen über Pferde her und weiden sie bei lebendigem Leib aus. In Einzelfällen kommt es gar zu Kannibalismus.
Zehntausende Soldaten kommen beim Rückzug ums Leben. 240 Kilometer westlich von Smolensk muss Napoleon dann mit den Resten seiner Grande Armée den zu diesem Zeitpunkt nicht zugefrorenen Fluss Beresina überschreiten, verfolgt von zwei russischen Ar
meen. Eine endgültige Niederlage scheint nun unausweichlich. Doch mit einer der außergewöhnlichsten Leistungen der Militärgeschichte schaffen es unerschrockene Pioniere, zwei Pontonbrücken aus Holz zu erbauen, über die Napoleon und der Großteil seiner Soldaten entkommen kann. Aber nur wenige Pioniere überleben. Sie versinken im eiskalten Wasser und werden von der Strömung mitgerissen.
Ihr Ziel haben sie aber erreicht. Napoleon entgeht einer Gefangennahme und flieht Anfang Dezember nach Paris. „Die Gesundheit Ihrer Majestät ist nie besser gewesen!“, heißt es ironischerweise in Napoleons letztem Bulletin aus dem Russlandfeldzug. Als schließlich die Reste seiner Grande Armée am 14. Dezember über die Memel nach Polen zurückkehren, zählt die Streitkraft nur noch rund 10 000 Mann.
Die Hybris eines Kaisers
Der Russlandfeldzug steht für die Hybris eines Kaisers, der keine Grenzen kennt, und markiert zugleich den Anfang vom Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa. 20 Jahre lang feiert Napoleon einen Sieg nach dem anderen. Doch mit dem schmachvollen
Rückzug aus Russland ist der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit dahin.
Im Anschluss verbündet sich halb Europa gegen Napoleon. In der Völkerschlacht bei Leipzig folgt 1813 dann die entscheidende militärische Niederlage, die letztlich zu seinem Sturz führen wird. Am Ende ziehen russische Truppen gemeinsam mit ihren preußischen, österreichischen und britischen Verbündeten in Paris ein.
Der gescheiterte Russlandfeldzug gräbt sich aber tief in das kollektive Gedächtnis Moskaus ein, das seitdem eine militärische Invasion aus dem Westen fürchtet. Es sollte nicht die letzte bleiben ...
Trier. Fünf Menschen hatten keine Chance, als der Amokfahrer sie am 1. Dezember 2020 mit seinem Geländewagen in der Fußgängerzone erfasste und tötete. Er kam plötzlich und rasend schnell – und hinterließ in Trier neben den Toten Dutzende Verletzte und rund 300 Traumatisierte. Gestern ist der Täter vor dem Landgericht Trier wegen fünffachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete zugleich die Unterbringung des 52-Jährigen in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an.
Mit der Amokfahrt habe er „unvorstellbares Leid über eine Vielzahl von Familien“gebracht, sagte die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz in ihrer Urteilsbegründung. Die begangenen Taten seien so schwer, dass eine Aussetzung des Vollzugs nach 15 Jahren auch bei günstiger Prognose nicht denkbar sei. „Er wird den Vollzug nicht mehr verlassen“, sagte Oberstaatsanwalt Eric Samel nach dem Urteil.
Der Verurteilte, in Jeans und weißem Hemd bekleidet, nahm den Richterspruch äußerlich regungslos zur Kenntnis. Wie auch an den gut 40 Verhandlungstagen zuvor in dem ziemlich genau einjährigen Prozess saß der Deutsche schweigend hinter mobilen Panzerglasscheiben und machte sich gelegentlich Notizen.
„Racheakt an der Gesellschaft“Die Schwurgerichtskammer des Gerichts war mit dem Urteil den Forderungen der Staatsanwaltschaft gefolgt. Auch ein Großteil der Opferanwälte hatte sich für lebenslange Haft und die Unterbringung des Mannes in der Psychiatrie ausgesprochen. Auch die Verteidigung wollte ihren Mandanten in die forensische Psychiatrie schicken.
Rechtsanwalt Frank K. Peter sagte, die Verteidigung werde nun prüfen, ob sie Revision einlege. „Ich gehe davon aus, dass ja. Und zwar im Hinblick auf die zu diskutierende besondere Schwere der Schuld.“
Laut Richterin Schmitz leidet der 52-Jährige an einer paranoiden Schizophrenie mit bizarren Wahnvorstellungen – und ist gemeingefährlich. Er sehe sich als Opfer eines „großangelegten Komplotts“des Staates gegen ihn, fühle sich verfolgt und beobachtet. So habe er sich früher alle Zähne ziehen lassen, weil er Überwachungssensoren darin wähnte. Oder für 500 000 Euro gekämpft, die ihm angeblich aus einer Versuchsreihe mit radioaktiven Substanzen zustünden.
In den vergangenen Jahren habe er einen Gesellschaftshass entwickelt, sagte Schmitz. „Er sucht die Schuld immer bei anderen.“Die Amokfahrt sei für ihn ein „Racheakt an der Gesellschaft“gewesen, bei dem er Opfer willkürlich ausgesucht habe. Ziel sei es gewesen, möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzten. Bei der Tat starben fünf Menschen: ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und drei Frauen im Alter von 73, 52 und 25 Jahren.
Eine heimtückische Tat
Die Tat, bei der er das Auto als Waffe eingesetzt habe, sei heimtückisch gewesen: Er habe die Argund Wehrlosigkeit ausgenutzt und die meisten Opfer am Rücken erwischt. „Es war kein Entkommen möglich“, sagte Schmitz. Und er habe die Amokfahrt geplant: Er hatte sie vorher bei Bekannten angekündigt. Der gelernte Elektroinstallateur war zur Tatzeit alleinstehend, arbeitslos, ohne festen Wohnsitz.
Die Hinterbliebenen und Betroffenen seien erleichtert, dass der Prozess nach einem Jahr Dauer zu Ende sei, sagte Bernd Steinmetz für die Stiftung Katastrophen-Nachsorge. „Es war schon eine Belastung jetzt über die lange Zeit.“Nun beginne für die Betroffenen eine neue Phase der Aufarbeitung. Die schreckliche Tat werde immer Teil ihres Lebens bleiben.
Der Amokprozess hatte am 19. August 2021 begonnen. Mehr als 100 Zeugen wurden gehört. Sie erzählten von ihren traumatischen Erlebnissen. Wie der Mann gezielt auf seine Opfer zufuhr, die Menschen traf, verletzte und tötete. Zudem berichteten sie, wie schwer das Erlebte sie bis heute belaste: Die Bilder kämen immer wieder zurück, sie erinnerten sich an die Schreie von damals.
Wird das Urteil rechtskräftig, wird laut Staatsanwaltschaft zunächst die Maßregel der Unterbringung in der Psychiatrie vollstreckt. Sie gilt unbefristet. Sollte ein Sachverständiger irgendwann zu dem Ergebnis kommen, dass der Mann geheilt sei, schließe sich der normale Strafvollzug an.
Bei lebenslangen Haftstrafen werde nach 15 Jahren erstmals geprüft, ob eine Außervollzugsetzung vertretbar sei, sagte Oberstaatsanwalt Samel. Im Fall der besonderen Schwere der Schuld sei es unwahrscheinlich, dass dann darüber überhaupt diskutiert werde. dpa