Glockengießen – ein Stolzemburger Drama
Nach tausendjährigem Vorbild wird ein Klangkörper gegossen – doch dann geschieht Unvorhergesehenes
Stolzemburg. Mit Spannung wurde der 14. August in Stolzemburg erwartet. Am vergangenen Sonntag sollte auf dem Gelände des Hofes LienersSchank die neue Bienenkorbglocke aus Kupfer und Zinn für den aktuell verwaisten Glockenturm – das älteste Bauwerk des Ortes, von 1671 – gegossen werden. Alle Schritte sind am großen Tag bis ins Detail geplant, sodass der Glockenguss gegen 19 Uhr erfolgen soll.
Doch es kommt alles anders. Das Projekt muss um zwei Tage verschoben werden. Und auch dann bahnt sich weiteres Unheil an.
Gießen wie vor 1 000 Jahren
Ohne Zweifel handelt es sich bei dem Projekt um ein besonderes Vorhaben: Einerseits wird nämlich erstmals eine Glocke vor Ort produziert und anderseits wird diese nach der Methode des Benediktinermönchs Theophilus Presbyter aus dem 12. Jahrhundert hergestellt. Verantwortlich dafür ist der ausgebildete Kunstgießer und Gründer des Labors Archäometallurgie im deutschen Kenzingen bei Freiburg, Bastian Asmus.
Und so wundert es auch nicht, dass am frühen Sonntagnachmittag bereits reges Treiben auf dem Areal herrscht. Bierbänke, ein Zelt und ein Getränkestand stehen bereit. Immer wieder kommen Schaulustige vorbei, machen sich ein Bild von den Tätigkeiten und versichern, dass sie sich das Glockengießen am Abend nicht entgehen lassen werden.
Die Vorbereitungen für den Glockenguss laufen bereits seit dem 20. Juni. „Hierbei handelt es sich um ein Glockengussverfahren, wie es ganz zu Anfang des Glockengusses verwendet wurde“, erklärt Bastian Asmus. Ziel sollte es nämlich sein, eine Glocke, wie jene aus der Zeit des Schutzpatrons der Kapelle – Odo von Cluny, der im neunten und zehnten Jahrhundert lebte – herzustellen.
Ich fand es schade, dass im Dorf ein historischer Glockenturm steht, der nicht genutzt wird. Christophe Unkelhäusser, Initiator des Projekts.
Ein erheblicher Aufwand
Eine Methode, der der Kunstgießer sich während drei Jahren annäherte. In Zusammenarbeit mit dem Freilichtmuseum „Campus Galli“in Meßkirch (Baden-Württemberg) versuchte er das Herstellungsverfahren der ältesten, noch erhaltenen gegossenen Kirchenglocke, die Glocke von Camino aus dem siebten, achten Jahrhundert, die sich in den vatikanischen Museen befindet, nachzustellen und hatte Erfolg.
Mehrere Kirchen und Museen bestellen im Anschluss Glocken bei ihm. So wird man auch in Stolzemburg auf seine Arbeit aufmerksam: „Ich fand es schade, dass im Dorf ein historischer Glockenturm steht, der nicht genutzt wird“, erklärt Christophe Unkelhäusser, der Initiator des Projekts. „Nach einigen Recherchen stieß ich auf den Kunstgießer Bastian Asmus.“Besonders stolz ist Unkelhäusser darauf, dass er mit seiner Idee das ganze Dorf begeistern konnte.
Im Gegensatz zu den moderneren Verfahren ist bei dieser Methode der Arbeitsaufwand jedoch deutlich größer, was denn auch zu höheren Kosten führt. Insgesamt 30 000 Euro soll die neue Glocke inklusive Arbeitsstunden kosten. „Dies ist eine beachtliche Summe. Doch wir haben es geschafft, das Geld mithilfe der Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse-Charlotte, der Gemeinde und zahlreicher Sponsoren zusammenzubekommen“, betont Fernand Zanter, Präsident des lokalen Tourismussyndikats.
Wie groß der Arbeitsaufwand ist, wird denn auch vor Ort deutlich. Seit dem 20. Juni ist Bastian Asmus, damit beschäftigt, den Guss vorzubereiten. Die Herstellung der Bienenkorbglocke nach Theophilus Presbyter besteht aus der Herstellung des Glockenkerns, dem
Aufbau und Abdrehen des Glockenmodells aus Bienenwachs sowie dem Aufbau der Lehmform. Diese Form wird unter anderem mit einem speziellen Lehm und Pferdeäpfeln zur Verbesserung der plastischen Eigenschaften sowie viel Magerung (feuerfeste Stoffe) in einer Dammgrube vorbereitet.
Hochspannung bis zuletzt
Am vergangenen Sonntag folgen die letzten Etappen: „Wir graben die 70 Zentimeter hohe Glockenform nach und nach ein“, so Asmus. Ist der Schmelztiegel heiß genug, wird dieser in die Form gegossen. Für diesen besonderen Tag setzt der Glockengießer neben den freiwilligen Helfern auch auf erfahrene Mitarbeiter des Campus Galli zurück. Diese sind am Sonntag denn auch bei den Vorbereitungen im Einsatz. Neben dem Eingraben der Form muss auch der Schmelzofen vorbereitet und auf die nötige Temperatur gebracht werden.
Allerdings kommt es dabei zu Problemen. Der Ofen erreicht die erforderliche Temperatur nicht, sodass der Glockenguss am späten Abend abgebrochen werden muss. Am Dienstagabend wird schließlich der zweite Versuch
gestartet. Je näher der Glockenguss rückt, umso mehr steigt die Spannung unter den vielen Schaulustigen. Dann ist endlich der lang erwartete Moment gekommen und die geschmolzene Kupfer-Zinn-Mischung wird in die Form gegossen. Doch plötzlich kommt Unruhe auf.
Als der Trichter komplett gefüllt ist, beginnt das Metall sich wieder abzusetzen und der Eingusstrichter wird immer leerer. Lange ist nicht klar, an welcher Stelle die Form undicht ist. Am Ende stellt sich heraus, dass sich ein Leck von der Größe von circa drei bis vier Millimetern entlang des Kloppelanhängers befindet. „An dieser Stelle unterhalb der Krone liefen etwa 25 Kilogramm Metall aus“, erklärt Bastian Asmus. Die Enttäuschung ist groß – insbesondere bei dem Kunstgießer selbst.
Aufgeben will man in Stolzemburg jedoch nicht: Da der gesamte Klangkörper schadlos gegossen wurde, fehlt lediglich die Krone. „Dies passierte übrigens auch den Gießern im Mittelalter. So existieren noch heute Glocken aus dieser Zeit, die eine nachträglich angefügte Krone besitzen“, betont Asmus. Nach diesem Vorbild soll nun auch diese Glocke mit einer neuen Krone versehen werden.
Immerhin will man am Datum für die feierliche Weihung und dem Aufhängen der Glocke im Glockenturm am 18. November, dem Tag des heiligen Odo von Cluny, festhalten.