Journalisten an der Kandare
Bettelrundbrief an die Staatsbeamten ist eine Einmischung in die Freiheit der Presse
Nein, der zweite Bettelrundbrief bringt niemandem freien Journalismus. Sein Zweck ist, anzuordnen, wie mit Auskunftsersuchen der Presse zu verfahren ist. Jedem Staatsbediensteten ist es gestattet mit ihr zu reden, wenn die dreifache Bedingung der Zustimmung seines Fachministers, der Schweigepflicht in verwaltungsinternen Affären und der Geheimhaltung vertraulicher Fakten erfüllt ist.
Auf diese Weise regelt der Minister nicht bloß den Informationsfluss. Über die Genehmigungspflicht der Mitteilung liefert er zudem die Nachricht selbst. Der neue Rundbrief zementiert die reale Gefügigkeit der Presse, deren redaktionelles Schaffen auf dem ministeriellen Pressereferenten beruht, der die Meldungen im Sinne seines Bosses filtert.
Das erste Bettelrundschreiben hatte es bereits in sich. Es war eine dreiste Einmischung in die Freiheit der Presse. Eine erwiesene Demokratie hätte sie so niemals hingenommen. Die Journalisten allesamt stehen schön allein da. Über ihrem Haupt schwebt konstant das finanzielle Damoklesschwert der Pressehilfe, worauf keiner einfach verzichten kann. Nicht selten wird die Presse so eingewiesen, dass die Sicht der Regierung vorrangig Geltung hat. Eine journalistische Kalamität!
Warum hierbei Demokraten, Sozialisten und Grüne nicht aufmucken, ist mit Blick auf ihre ehrenhafte freiheitliche Tradition einfach nur schleierhaft. Bis sich unser Land von der Prägung dieses politikorientierten Lobbyings freigerüttelt hat, kann es dauern. „Eine freie Presse kann gut oder schlecht sein, aber ohne Freiheit wird die Presse niemals etwas anderes als schlecht sein,“meinte Albert Camus.
Die EU fordert von ihren Mitgliedsstaaten eine freie Presse, die das Recht hat, Informationen ohne Einfluss oder Angst vor Repressalien zu veröffentlichen. Man müsste also annehmen, die EU würde bei gegenläufiger Praxis eingreifen. Sie haut allerdings lieber auf Polen und Orban.
Die Pressefilter der Regierung sind so nicht gemocht. Die dürftigen Auskünfte ihrer Minister werden nicht durchgängig toleriert sein. Die Regierungslogik nimmt deutlich Spannung aus dem politischen Alltag. Sie erdrückt generell das gesellschaftliche Interesse der Bürger an der Politik. Dass ihnen so die Lust gründlich vergeht und Populisten gemächlich das Ruder an sich reißen, da sie bühnengerechter agieren, wird wohl kaum noch abzustellen sein.
Unser Rechtsstaat bedarf freier Journalisten und einer freien Presse und er braucht eine konstante Pressefreiheit. Diese gelingt nicht ohne eine von Schranken entkoppelte Pressehilfe, wo gesichert ist, dass niemand sich einmischt und wo Journalisten sich an der Quelle frei informieren können.
Die Staatsbeamten, an die sich der Rundbrief des Staatsministers richtet, sind nicht die Leibeigenen ihrer Minister auf fünf Jahre. Sie sind zuallererst die Diener des Volkes. Sie bleiben auch mehr als fünf Jahre und müssen den Bürger, ihren tatsächlichen Dienstgeber, in Kenntnis setzen, wenn etwas gehörig schiefläuft.
Georges Simon, Käerch